EU-Osterweiterung

Im Osten viel Neues

06.10.2003 von Marita Vogel
Am 1. Mai 2004 wächst die EU um zehn Staaten. In den Beitrittsländern sind viele IT-Dienstleister auf dem Sprung in den Westen - mit einem deutlich niedrigeren Gehaltsniveau. Noch billiger wird IT-Arbeit, wenn 2007 weitere Länder beitreten.

Die Diskussionen um den Beitritt der neuen EU-Länder sind verebbt, Informationen gibt es nur noch sporadisch. Doch im Hintergrund gehen die Vorbereitungen weiter. Einer Umfrage des Industrie- und Handelskammertags zufolge planen 24 Prozent der deutschen Unternehmen, kommendes Jahr im Ausland zu investieren - und besonders häufig im osteuropäischen Raum.

Der Grund dafür sind die hohen Arbeitskosten und Steuern: Während im Jahr 2000 ein Arbeitsplatz hierzulande durchschnittlich 3556 Euro pro Monat kostete, lagen die Polen bei 672 Euro. In Litauen fielen 402, in Bulgarien sogar nur 196 Euro pro Arbeitsmonat an.

Ein entsprechendes Gefälle zeigt sich auch für die IT-Branche: Kostete ein deutscher Softwareingenieur bei Siemens 2001 pro Stunde 56 Euro, mussten für den ungarischen Siemens-Kollegen nur knapp 30, für den slowakischen gerade 13 Euro bezahlt werden; im Nicht-EU-Land Rumänien sind es sogar nur 9,20 Euro.

Rumänien soll erst 2007 in die EU aufgenommen werden. Doch schon jetzt gehen die ersten Unternehmen an den Start: Die LBS Bayerische Landesbausparkasse in München gründete im Sommer ein Tochterunternehmen in Bukarest, die Erste Bausparkasse; die rumänische Sparkasse C.E.C. ist Minderheitspartner.

Keine kleine Herausforderung für Helmut Blahusch, IT-Leiter der Bausparkasse. Obwohl die Münchener durch die C.E.C. auf eine Grundstruktur zurückgreifen konnten, musste die gesamte IT neu entwickelt werden. Blahuschs Resümee: "Sprachlich war das nicht ganz unkompliziert, aber fachlich lief es wirklich sehr gut."

Slowenischer Code ins Deutsche übersetzt

Ungewöhnlich viel Mehrarbeit entstand für den 45Jährigen durch die Softwareentwicklung. Nach einer Marktsondierung hatten sich die Münchener mit einer detaillierten Leistungsbeschreibung an drei Anbieter gewandt. Zu "wirklich sehr günstigen Preisen", so Blahusch, gewann schließlich eine slowenische Softwareschmiede die Ausschreibung. Die verfasste die Programme in ihrer Landessprache, die Übersetzung erfolgte in München: "Wir verstehen die Bausparsprache einfach am besten", erklärt Blahusch dazu. Dieses Manuskript übersetzten schließlich deutschsprachige Rumänen in Bukarest ins Rumänische.

Blahuschs Auslandsengagement ist zeitlich begrenzt. Sobald die Technik laufe, werde die IT-Verantwortung auf Bukarest übergehen, so der IT-Leiter. "Natürlich werden wir kontrollieren, aber eine komplette Steuerung aus München ist sinnlos."

Besonders positiv beurteilt der LBS-IT-Chef die fachlichen Fähigkeiten der IT-Bewerber. "Deren Qualifikation ist sehr gut; die Ausbildungsstandards scheinen die gleichen zu sein wie in Deutschland."

Auch für deutsche IT-Dienstleister ist der osteuropäische IT-Markt viel versprechend. Nach einer Studie des US-Marktforschers IDC legt etwa der polnische Markt dieses Jahr um 13 Prozent auf 3,5 Milliarden Dollar zu, während Westeuropa wohl nur auf 2,5 Prozent Wachstum kommt.

Durch die Annäherung an die EU rechnet Heinz Hartinger, Managing Director für Zentral- und Osteuropa bei SAP, mit einer wachsenden Nachfrage nach IT-Lösungen: "Diese Staaten stehen zurzeit unter verstärktem Termindruck, ihre Verwaltungseinrichtungen zu erneuern." Zwei Großaufträge hat beispielsweise die IT-Services-Sparte von Siemens bereits an Land gezogen: SBS erhielt im Sommer Aufträge von der öffentlichen Hand aus Lettland und Ungarn im Wert von insgesamt 28 Millionen Euro.

Viele kleinere Aufträge gehen momentan beim IT-Dienstleister S&T in Wien ein. Das österreichische Unternehmen hat ein Netzwerk aus 18 mittel- und osteuropäischen Staaten aufgebaut. Der große Vorteil sei "eine starke Präsenz vor Ort", sagt CFO Martin Bergler. Deshalb greifen die Österreicher auf lokale Mitarbeiter zurück, die dann geschult und weitergebildet werden. Die Ausrichtung auf Osteuropa erfolgte bereits 1993: "Unser Grundgedanke war, dass in den ost- und mitteleuropäischen Märkten mittelfristig die gleichen ITStandards wie bei uns zu erwarten sind", so Bergler. Der Standort Österreich sei von Vorteil, weil "es keine Berührungsängste gibt und die kulturellen Barrieren nicht allzu hoch sind".

Ohnehin scheint die österreichische Wirtschaft das Thema EU-Erweiterung stärker zu interessieren als die deutsche. So veröffentlichte das Institut für Höhere Studien in Wien unlängst eine Analyse, nach der die Lohnkosten der Industrie in Österreich nicht nur 30 Prozent günstiger seien als in Deutschland - sie seien auch niedriger als in Ungarn oder Polen. Grund sei die kontinuierlich steigende Produktivität, mit der der Standortnachteil der hohen Lohnkosten mehr als ausgeglichen werden könne.

Bitkom: keine Sorgen um Arbeitsplätze

Nach Einschätzung des Branchenverbands Bitkom müssen sich Informatiker in Deutschland angesichts der osteuropäischen Konkurrenz jedoch keine Gedanken um den eigenen Arbeitsplatz machen: Eine Auswandererschwemme sei nicht zu erwarten. Das zeige sich schon daran, dass bis Ende 2002 lediglich knapp 1800 Greencard-Besitzer aus diesen Ländern gekommen seien.

Allerdings bemühen sich die IT-Unternehmen der Beitrittsländer selbst, im deutschen Markt Fuß zu fassen: Beinahe jede zweite Firma versucht, Partnerschaften oder Netzwerke im Ausland aufzubauen. Das ergab eine Umfrage des Berliner IT-Dienstleisters Skilldeal unter 75 osteuropäischen IT-Firmen. Schon jetzt nimmt immerhin jedes vierte Unternehmen an ausländischen Ausschreibungen teil. Größtes Hindernis bei Vertragsabschlüssen sei noch das mangelnde Vertrauen in mittel- und osteuropäische Anbieter. Wichtigster Vorteil: der niedrige Preis.