Da hocken sie auf dem Boden, die gutbezahlten Ingenieure, und spielen mit Lego. Beschäftigungstherapie? Nein. Innovation. Die Männer und Frauen, allesamt Mitarbeiter von Bayer, bauen einen Prototypen, den sie am nächsten Produktionsstandort vorstellen wollen. Er basiert auf den Erfahrungen der Kollegen aus dem Standort, den sie zuletzt besucht haben. "Die Erfahrungen, die wir vor Ort gewinnen, bekämen wir niemals in einem Meeting-Raum", erklärt Tom Maes, Innovation Manager bei Bayer, "und deshalb fahren wir mit dem Bus von Ort zu Ort."
Innovationsbus nennt sich das Gefährt. Die Sache kam ins Rollen, als Maes voriges Jahr auf einem Corporate Startup Summit in Frankfurt Marko Müller traf, einen der Gründer des Startups Innovation Radicals. Dessen Idee: möglichst viele Entscheider dorthin zu bringen, wo im jeweiligen Unternehmen die konkrete Arbeit stattfindet. Manager an die Werkbank sozusagen oder in diesem Fall eben an die Produktionsstandorte und in die Labore. "Wir fragen Blue Collar, was White Collar nicht weiß", umschreibt Müller den Grundgedanken. Sein Team übernimmt Konzeption und Moderation der Bus-Tour.
"Keiner muss im Bus schlafen oder duschen"
Außerdem organisiert Innovation Radicals Bus und Fahrer, kümmert sich um die technologische Ausstattung wie etwa den Internetzugang und lässt das Fahrzeug für die Dauer der "Innovation On Wheels"-Tour optisch nach den Wünschen von Bayer gestalten. Bayer bucht die Hotels, in denen die Busreisenden übernachten. "Keiner muss im Bus schlafen oder duschen", betont Müller. Was das geistige Eigentum betrifft, sichern schriftliche Secrecy Agreements Bayer ab.
Tom Maes und Maria Luisa Binda, Head of Innovation Management, Corporate Technology & Manufacturing bei der Bayer AG, formulierten für die erste Bus-Tour eine konkrete Frage: Wie kann das Internet der Dinge Bayers Supply Chain verwandeln, verändern oder weiterentwickeln? Die Idee mit dem Bus gefiel ihnen, die Tour war in diesem Fall auf vier Tage angesetzt und fuhr die Standorte Leverkusen, Bitterfeld, Frankfurt und Berlin ab. Zur Teilnahme gezwungen wurde niemand. "Über unsere Unternehmensplattform haben wir verschiedene Abteilungen informiert. Aus allen Abteilungen, die die Tour mitfinanziert haben, konnten sich dann Mitarbeiter um die Teilnahme bewerben", berichtet Maes. "Denn mehr als 26 Leute, inklusive Moderator, passen in einen solchen Bus nun mal nicht rein", ergänzt Müller. Hardware-Grenzen der ganz anderen Art.
Schließlich kam ein Team aus Bayer-Kollegen, Studierenden der TU Dortmund und Innovation Radicals zusammen - und wer nun meint, das waren nur junge Leute, der irrt. "Wir hatten eine gute Mischung von ganz jung bis um die sechzig", sagt Maes. Ingenieure, Lieferketten Manager, Informatiker setzten sich in den Bus und rollten los. Maes zieht den Hut vor ihnen: "In so einem Bus ist es auch eng, man muss das mögen", sagt er, "das ist nicht trivial."
Innovation Radicals-Gründer Müller weiß, dass die Teilnehmer an jedem Tag einen Tiefpunkt samt "Social Break" durchfahren müssen. "Einmal standen wir drei Stunden im Stau und hatten zu wenig Getränke an Bord", erinnert er sich, "aber nach jedem Tiefpunkt geht die Reise dann richtig ab!" Das zeigt sich im Fall Bayer ganz konkret an zwölf Prototypen, die die Teilnehmer gebaut und vor Ort einem Reality-Check durch die dortigen Kollegen unterzogen haben.
Nach Reiseabschluss konkurrierten diese zwölf Prototypen um die Realisierung durch den Konzern. Maes und das ganze Team luden die Entscheider aus dem Business zur Präsentation und ließen abstimmen. Als Feedback gab es "Standing Ovations vom Top Management", sagt Maes. Sein Fazit: "Die ganzen Erfahrungen haben bleibenden Eindruck hinterlassen." Vier Prototypen werden nun gebaut.
"Ab dem dritten Tag menschelt es ziemlich"
Und die Teilnehmer der Bus-Tour? Sie zehren noch immer von der Fahrt, berichtet der Innovation Manager. Seine Erfahrung: "Ab dem dritten Tag menschelt es ziemlich." Die Busreisenden hätten ein extrem gutes Netzwerk gebildet, das abstrakte Begriffe wie Collaboration und Wissens-Management, Innovationskultur und Cocreation ganz handfest lebt. Ein Mitglied dieses Netzwerk ist übrigens einer der Dortmunder TU-Studenten. Er hat jetzt bei Bayer angefangen.
Im Konzern war man so überzeugt, dass eine vergleichbare Tour inzwischen in den USA stattfand. Deren Motto lautete "Skyrocketing our flexibility". "In den USA haben wir mehr Kilometer gemacht, in Deutschland standen wir mehr im Stau", sagt Müller schmunzelnd über die Unterschiede zwischen den Touren.
Eine dritte Reise sei bereits in Planung, aber noch im Anfangsstadium, sagt Maes. Maria Luisa Binda und er feilen noch an der "Forschungsfrage", unter der die neue Tour starten soll. Eines jedenfalls steht für Maes fest: "So ein Bus gibt uns die Möglichkeit, Probleme vor Ort in ihrem Kontext ansehen zu können. Wenn wir immer nur im Meeting-Raum sitzen, kommen wir nicht weit!"