Der Mittelstand hat es nicht leicht: Sein Renommee ist überschaubar, aber die Probleme sind genauso groß wie in den Konzernen. Das ist undankbar. Doch es bietet auch die Chance, sich zu verwirklichen. Zumindest die IT kann Lösungen entwickeln, die auch größeren Unternehmen gut zu Gesicht stehen würden. Schließlich ist Innovation keine Frage der Masse, sondern der Denke. So wie bei Andreas Hankel, Vice President Technology der Berliner ImmobilienScout GmbH. Er ist "CIO des Jahres 2014" im Bereich Mittelstand. Und er hat sogar noch die Zeit, eine persönliche E-Mail in die Redaktion zu schicken, in der er explizit darauf verweist: "Die gesamte Projektleistung ist keine Einzelleistung von mir, sondern eine Teamleistung." Auch das zeichnet den Mittelstand aus.
Hankel ist für den Betrieb einer Website verantwortlich, die pro Monat über zehn Millionen Unique Visitors aufweist. In seinem Teamprojekt "FFC = Faster, more Flexible and Cheaper infrastructure" hat er in drei Jahren und während des laufenden Betriebs eine preiswürdige Private Cloud-Infrastruktur aufgebaut und den Serverbetrieb wieder ins Unternehmen zurückgeholt. Zudem wechselte er das Server-Betriebssystem und die Virtualisierungs-Plattform, entwickelte eine eigene Lösung zur Service-Orchestrierung, führte agile Methoden im IT-Betrieb und verbreitete die DevOps-Kultur in der gesamten IT. Außergewöhnlich ist Hankel auch in einen anderen Punkt: Sein IT-Budget liegt bei rund zehn Prozent vom Umsatz. Eine strategische IT ist kein Privileg der Konzerne.
Kommentar von Jury-Mitglied Manfred Broy: "Hankel hat sein Projekt in jeder Hinsicht mit hoher Sachkundigkeit und mit großem Erfolg durchgeführt. Was entstanden ist, ist vorbildlich und weist den Weg für die Gestaltung von Systemen der Zukunft."
Auf dem zweiten Platz landete Jens Riegel von der Lohmann SE aus Cuxhaven, einem Hersteller von Geflügel-Impfstoffen und Futtermittel-Zusätzen. Unter dem Namen "Processes for Vitamins" hat der IT-Leiter einen Prozessmanagement-Ansatz für das Vitamin-Geschäft etabliert und ein System zur Entscheidungsunterstützung für den globalen Vertrieb entwickelt.Dieses berücksichtigt Parameter wie beispielsweise Transportkosten, Provisionen, QM-Kosten, aktuelle Rohstoffkosten, aktuelle Herstellkosten und die allgemeine Marktsituation, damit der Vertriebsmitarbeiter den Betriebsgewinn optimieren kann. Der Return on Investment (RoI) wurde innerhalb weniger Monate erreicht.
Kommentar von Jury-Mitglied Reinhard Jung: "Jens Riegel hat ein anspruchsvolles Business-Projekt in der IT umgesetzt und darüber hinaus solide Arbeit im Bereich Operations geleistet."
Platz 3: BI für alle bei M-net
Dritter im Bunde der Sieger ist Christian Grodau, CIO der Münchner M-net Telekommunikations GmbH. Er brachte endlich Leben in die "Wüste" der Business Intelligence mit dem Projekt "GoBI - Go Business Intelligence". Der Sprung vom Operational Reporting zum Enterprise Datawarehouse wurde in nur einem Jahr und mit einem verhältnismäßig geringen Ressourceneinsatz geschafft. Durch die abstrakte Modellierung der Businessprozesse im Core-Layer ist die Architektur auf den Austausch beziehungsweise die Erweiterung von operativen Quellsystemen vorbereitet. Außerdem wurde im ersten Jahr bereits die Basis für einen CRM-Datamart gelegt, um Kampagnenselektion und Kampagnenauswertungen als BI-Service anbieten zu können.
Kommentar von Jury-Mitglied Arnold Picot: "Grodaus Projekt "GoBI" zeichnet sich unter anderem durch die hohe Kosteneffizienz und Orientierung an den spezifischen Erfordernissen der Fachbereiche aus."
Auch im KMU-Feld wurde keine Unterscheidung im Ranking der übrigen Positionen in den Top-Ten vorgenommen. Interessante Erkenntnis aus den Bewerbungen der CIOs: Die medialen Hype-Themen der IT spielen in konkreten Projekten des Mittelstands kaum eine Rolle. Big Data, Cloud, Social und Mobility sind Fernziele, die mit kleinen Schritten angegangen werden. Isabelle Droll von TUIfly, einziger weiblicher CIO im Feld, hat immerhin in einem Projekt die Netbooks der Kabinenbesatzungen durch iPads ersetzt. Die Tablets mit der hohen Usability sollen nicht nur den Verkauf an Bord optimieren und steigern, sondern auch die Geschäftsprozesse in der Abwicklung effizient und leicht abschließen.
Markus Grimm, CIO der Verwertungsgesellschaft GEMA, und Matthias Rausch von der Kässbohrer Geländefahrzeug AG haben sich mit Projekten qualifizieren können, in denen die IT selbst im Fokus stand. Grimm leitete eine Neuausrichtung der IT-Architektur und IT-Organisation ein, um Veränderungen der Verwertungsgesellschaften durch Digitalisierung und zunehmenden Wettbewerb zu unterstützen. Darüber hinaus sollten Dienste für weitere Verwertungsgesellschaften in Europa im Zuge einer internationalen Kooperation entwickelt werden. Neben einer EAI-Plattform kam verstärkt eine deutsche Standardsoftware zum Einsatz.
Kässbohrer planiert nicht nur Pisten
IT-Leiter Rausch von Kässbohrer krempelte die eigene IT-Infrastruktur um. Ziel des gut 18 Monate laufenden Projekts war es, zukunftsfähige, flexible und sichere Infrastruktur-Services aufzubauen. Teilprojekte betrafen das Rechenzentrum, den Speicher und das Netzwerk ebenso wie die ITK-Infrastruktur sowie die Virtualisierung von Servern und Desktops. Alles sollte explizit intern abgebildet werden - eine Umsetzung zentraler Elemente als Cloud-Services war im Rahmen der Risikoanalyse zum damaligen Zeitpunkt ausgeschlossen worden.
Peter Ringbeck, IT-Leiter der DG HYP, hat mit dem Projekt "Zentraler Datenhaushalt" (ZDH) einen seit 20 Jahren bestehenden, schwer wartbaren Datenhaushalt durch moderne IT-Lösungen abgelöst und damit eine Grundlage für bestehende und künftige Reporting- sowie Datenanforderungen geschaffen. Das wesentliche Ergebnis des Projektes ist - ähnlich wie beim drittplatzierten Projekt des Carriers M-net - ein "Single Point of Truth", der sicherstellen soll, dass unternehmensweit konsistente und redundanzfreie Daten verwendet werden. Dadurch sinken die Fehler und der Aufwand, während die Data-Governance gestärkt und die Möglichkeit eines zukunftsfähigen und flexiblen Reportings geschaffen wird. Zudem wurde noch eine Vielzahl individueller Reporting-Lösungen abgeschaltet.
Prozess- statt Silodenken
Mit dem SCM-Projekt "SupplyMACS" ging Sacha Dannewitz von Miltenyi Biotec in den Wettbewerb. Dabei setzte er sich viele Ziele, darunter eine hohe Verfügbarkeit der Endprodukte, kurze Lieferzeiten, reduzierte Expresskosten, optimierte Bestände und die Steigerung der Prozesseffizienz durch Prozessstandardisierung und -harmonisierung. Außerdem sollte nachhaltiges Wachstums sichergestellt werden durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, den Aufbau des Mitarbeiter-Know-hows und durch ein neues Kennzahlensystem. "Prozessdenken statt Silodenken" war die Devise, folglich stand Change-Management stark im Fokus.
Burkhard Fertig, IT-Leiter der Firma Suffel Fördertechnik, adressierte die Interessen der Kunden mit einem neuen Service-Portal. Sie erhalten Wartungsinformationen für ihre Geräte, können sich Kostenübersichten anzeigen lassen, sehen wichtige Service-Termine, Aufträge, Gerätehistorien und Lieferfristen. Service-Techniker können eingeplant und anschließend im Portal bewertet werden. Dazu gibt es noch eine technische Datenbank für Ersatzteile. Ziel der Anwendung war eine Steigerung der Kundenbindung durch größtmögliche Transparenz. Herausragend: Es war eines der seltenen Projekte, bei denen es den Angaben zufolge in den Fachbereichen keine Widerstände gab.
Den Abschluss bildet Andreas Hinder, Leiter IT der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH, mit "BANGI - BayArena Next Generation Infotainment". Im "Stadion der Zukunft" können Fans auf ihren Smartphones mit der Stadion-App Zusatzinformationen rund um das Spiel betrachten. Rund 20.000 Besucher sollen die Dienste im kostenlosen WLAN der Arena nutzen können, die WLAN-Authentifizierung muss rund 800 Anmeldungen pro Minute verarbeiten. Auf Infrastruktur-Seite wurde ein Multicast-fähiges Netzwerk geschaffen, in dem nicht nur der WLAN-Zugang, sondern auch alle 2.500 LAN-Ports im Stadion via 802.1x-Authentifizierung abgesichert sind. Zudem bildet BANGI die Grundlage für viele Erweiterungen einschließlich neuer Wertschöpfungsoptionen.
Fazit
Der Mittelstand muss sich in puncto Innovationskraft nicht hinter den Konzernen verstecken. Neben den klassischen Projekten zur Stärkung der IT gibt es auch hier viele interessante Vorhaben, um entweder die eigenen Fachabteilungen zu stärken oder den Kunden neue Services zur Verfügung zu stellen. Hier kann die IT ihre Aufgabe voll ausspielen, Prozesse zu optimieren, neue Abläufe zu ermöglichen oder Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln. Das bindet in jedem Fall Kunden - ganz gleich, ob sie im Fußball-Stadion sitzen, im eigenen Vertrieb oder in einem Flurförderzeug.