Die Geschichte des Online-Händlers Amazon.com ist eine der großen Erfolgsstorys der Internet-Ära. Aus den Gedankenspielen von Gründer Jeff Bezos vor zwei Jahrzehnten im 40. Stock eines New Yorker Wolkenkratzers wurde ein weltumspannender Gigant, der nicht nur dem stationären Einzelhandel zusetzt, sondern mit seinem Cloud-Geschäft auch unzählige Startups am Laufen hält. Zugleich ist die Expansion noch lange nicht abgeschlossen:Amazon fährt bestenfalls schmale Gewinne ein und steckt jeden Dollar in den Ausbau des Geschäfts. Die Anleger, die diesen Kurs jahrelang mit immer weiteren Kurssteigerungen befeuerten, lassen inzwischen gelegentlich Ungeduld bei den Quartalszahlen aufblitzen.
Bezos zog 1994 aus einem komfortablen Jobs an der Wall Street in eine Garage in Seattle für eine große Vision: Alles mögliche über das Internet zu verkaufen. Er startete zunächst mit Büchern - weil sie robust beim Versand und unkompliziert in der Logistik waren sowie eine ordentliche Marge boten.
Nach rund einem Jahr Anlaufzeit - gegründet wurde Amazon.com bereits am 6. Juli 1994 - und einem Namenswechsel von Cadabra.com zu Amazon wurde am 16. Juli 1995 das erste Buch an einen externen Kunden verkauft, ein über 500 Seiten dickes Fachbuch über das Denken. Heute steht ein Exemplar von "Fluid Concepts and Creative Analogies: Computer Models of the Fundamental Mechanisms of Thought" hinter Glas am Eingang des Amazon-Hauptgebäudes in Seattle. Zum 20. Jubiläum versucht Amazon, so etwas wie einen eigenen internationalen Feiertag zu etablieren: Den "Prime Day" mit Sonderangeboten nur für Nutzer seines kostenpflichtigen Abo-Dienstes "Prime" (die Schnäppchen gibt es auch bei kostenloser 30-tägiger Probemitgliedschaft).
Der heute 51 Jahre alte Bezos drückte Amazon in jeder Hinsicht seinen Stempel auf (wir erinnern uns immer wieder gern an unser Interview mit Bezos vom November 1998). Dazu gehört neben dem gebetsmühlenartig beschworenen Fokus auf den Kunden die anfangs rigorose Sparsamkeit. Die damals aus alten Türen zusammengebauten Tische sind heute noch zur Erinnerung über die Firmengebäude verteilt. Das half Amazon immerhin auch, im Gegensatz zu manchem anderen Börsenliebling das Platzen der Internet-Blase zu überstehen.
Bezos sei ein "passionierter Problemlöser", beschrieb ihn der amerikanische Technologiejournalist Brad Stone in seiner Biografie "Der Allesverkäufer". Zugleich sei er ein "Micromanager mit einer endlosen Flut neuer Ideen" - und zum Teil schroffen Reaktionen, wenn Mitarbeiter seinen Standards nicht gerecht werden.
Eine der vielen verworfenen Ideen war, für den schnelleren Versand Waren bei Kunden zwischenzulagern. Aus einer anderen - die technischen Überkapazitäten für Stoßzeiten wie das Weihnachtsgeschäft im Rest des Jahres zu vermieten - entstand der Cloud-Provider Amazon Web Services (AWS). Die Sparte überraschte im ersten Quartal bei ihren erstmals veröffentlichten Zahlen trotz eines heftigen Preiskampfs mit Google und Microsoft mit einem operativen Gewinn von gut einer Viertelmilliarde Dollar.
In seinem dritten Jahrzehnt arbeitet Amazon daran, sich als "Allesverkäufer" tief im Alltag der Kunden auszubreiten. In den USA experimentiert der Konzern unter anderem mit drahtlosen Knöpfen, die überall im Haushalt angebracht werden können. Auf Knopfdruck wird die nächste Ladung Waschmittel, Zahnpasta oder Windeln nachbestellt. Der vernetzte Amazon-Lautsprecher "Echo" kann auf Sprachbefehl den gewünschten Song spielen und beim Kochrezept aushelfen - oder ebenfalls eine Amazon-Bestellung annehmen.
Beim Versuch, den Kunden ein Smartphone als Einkaufsmaschine in die Tasche zu stecken, erlitt Bezos jedoch im ersten Anlauf einen seltenen Flop. Das "Fire Phone", das unter anderem Artikel auf Grundlage eines Fotos erkennen und bestellen kann, blieb ein Ladenhüter und bescherte Amazon einen Abschreibung von rund 170 Millionen Dollar.
Für die Einzelhändler, die Amazon quer durch die Welt massiv unter Druck gesetzt hat, zeigt Bezos wenig Mitgefühl. "Sie werden sich weiterentwickeln, sie werden nicht aufgeben. Wettbewerb löst immer eine Evolution aus", konterte er in einem dpa-Interview. "Zweitens ist es einfach unser Job, den Kunden das beste Angebot und den besten Service zu bieten. Die Kunden entscheiden, wo sie kaufen, nicht wir." (dpa/tc)