Innovationsmanagement

In den Mitarbeiterköpfen schlummern Milliarden

27.01.2014 von Peter Ilg
Jeder dritte Beschäftigte beteiligt sich einer Studie zufolge am Ideen-Management. Zu wenig, meinen Experten. Milliarden würden vergeudet, weil es in vielen Unternehmen an einer wertschätzenden Unternehmenskultur mangele.

Ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte. Das dachte sich ein Telekom-Mitarbeiter, der ein Tool entwickelte, das die Leistungsdokumentation der Außendiensttechniker vereinfacht. Bislang mussten sie alle Arbeiten in ein System eintragen und penibel dokumentieren, was genau vor Ort gemacht und welche Fehler behoben wurden. Sie mussten auch den Folgeprozess kennen und diesen durch entsprechende Dateneingabe anstoßen. Das nun entwickelte Tool, eine Art Bildkatalog, führt die Dokumentationen weitgehend automatisch aus. Über Bilder aus einem hinterlegten Katalog kann der Techniker aus einer Liste vordefinierter Leistungen die von ihm erbrachten auswählen.

3,6 Millionen Euro Prämien

Rund 70 Prozent der Firmen haben ein Ideen- und Innovations-Management.
Foto: Peshkova - Fotolia.com

Durch die Idee sparen Tausende Telekom-Außendiensttechniker erheblich Zeit bei der Dokumentation. Die Idee des Mitarbeiters hat der Telekom Einsparungen im einstelligen Millionenbereich beschert. Wie viel an den Mitarbeiter ausgeschüttet wurde, war nicht zu erfahren, um keinen Neid unter den Kollegen zu schüren. Es habe sich aber für den kreativen Mitarbeiter gelohnt.

Seit 1969 betreibt die Telekom ein betriebliches Vorschlagswesen, das seit 2008 Ideen-Management heißt. Insgesamt reichten die Beschäftigten im vergangenen Jahr 13.000 Ideen ein, fast 1000 davon wurden umgesetzt. Der Nutzen fürs Unternehmen lag bei rund 104 Millionen Euro, als Prämie schüttete die Telekom 3,6 Millionen Euro aus. Eingegeben werden die Ideen in ein Tool, in dem 40.000 Mitarbeiter angemeldet sind. Jeder dritte Telekom-Beschäftigte beteiligt sich am Ideen-Management.

Die Teilnehmer stammen querbeet aus allen Mitarbeiterschichten. Jede vierte eingereichte Idee hat einen technischen Hintergrund. Andere Vorschläge betreffen Prozesse, Organisation oder Umweltschutz.

Ideen-Management nimmt zu

Ideen-Management findet überall in Deutschlands Unternehmen statt - mit stark steigender Teilnehmerzahl. 2012 wurden gegenüber dem Vorjahr doppelt so viele Vorschläge eingereicht: pro 100 Mitarbeiter 164 Vorschläge. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie des Deutschen Instituts für Betriebswirtschaft, Frankfurt am Main, an der 145 Unternehmen mit rund 1,6 Millionen Beschäftigen teilnahmen. Die guten Ideen brachten den Firmen einen Nutzen im Wert von 1,15 Milliarden Euro. Jeder dritte Mitarbeiter beteiligte sich am Ideen-Management, die durchschnittlich gezahlte Prämie für jeden prämierten Vorschlag betrug 74 Euro.

Christoph Gutknecht leitet das Ideen- und Innovations-Management am Deutschen Institut für Betriebswirtschaft. Er berichtet: "Die Grundlagen für das heutige Ideen-Management legte Alfred Krupp bereits 1872 fest." Führungskräfte sollten das Ideenpotenzial der Mitarbeiter nutzen. Das war der Anfang des betrieblichen Vorschlagswesens. In den 1980er Jahren erlebte es durch den Zwang kostengünstiger Produktion eine Belebung: Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, Lean Management und Total Quality waren damals Trends. Mit deren Einführung wurde aus dem bürokratischen Akt des betrieblichen Vorschlagswesens das Ideen-Management. Die Vorgesetzten sollten ihre Mitarbeiter motivieren, über den eigenen Zuständigkeitsbereich hinauszudenken.

Verbesserung durch Selbsthilfe und Eigeninitiative

Jedes Unternehmen ist daran interessiert, sich permanent zu verbessern. "Selbsthilfe und Eigeninitiative sind dabei die besten Möglichkeiten, weil sie von Mitarbeitern kommen und im Unternehmen daher einen breiten Konsens finden", sagt Gutknecht. Externe Berater würden viel Staub aufwirbeln, wodurch Barrieren und Ablehnung entständen. Dass sich Mitarbeiter am Ideen-Management beteiligen, begründen Arbeitspsychologen damit, dass Menschen durch Anerkennung motiviert werden.

Was die Art der Vorschläge betrifft, sieht Gutknecht einen Wandel und eine Ausweitung auf andere Branchen. Bislang waren die meisten Vorschläge technischer Natur und das Ideen-Management überwiegend auch in Hightech-Unternehmen installiert. Jetzt breitet es sich aus, und mit neuen Zielgruppen und in Branchen wie Banken, Handel, aber auch in Krankenhäusern und Verwaltungen reifen neue Ideen, etwa für einen schlanken Workflow.

So entstehen neue Ideen
So entstehen innovative Ideen
Die besten Ideengeber im Unternehmen sind nicht die Führungskräfte, sondern die Mitarbeiter und die Kunden, sagt Anne M. Schüller.
1. Ist-Analyse:
Beleuchten Sie die zu optimierende Situation beziehungsweise das zu lösende Problem aus verschiedenen Perspektiven, vor allem aber aus der Sicht des Kunden. Machen Sie dazu Kunden- und Konkurrenzbeobachtungen sowie Interviews mit Mitarbeitern und Externen. Auch Branchenfremde können sinnvolle Beiträge liefern.
2. Ziel-Definition:
Wo wollen Sie hin, was soll am Ende des Prozesses erreicht sein? Dies muss deutlich werden, damit die Ideen-Generierung eine Richtung bekommt. Gehen Sie dabei von kundenrelevanten, differenzierenden Merkmalen aus: Was können wir für unsere Kunden besser, schneller, einfacher, billiger machen. Formulieren Sie all das schriftlich.
3. Zusammenstellung des Teams:
Dazu gehören insbesondere die Mitarbeiter, die von der späteren Umsetzung betroffen sind. Damit minimieren Sie von vorne herein aufkommende Widerstände. Sorgen Sie für Visionäre, Querdenker, Missionare, Macher, Kundenbotschafter und Bedenkenträger im Team ebenso wie für Experten und Laien. Mischen Sie alt und jung, Männer und Frauen. Briefen Sie das Team sorgfältig. Ein geschulter Moderator kann helfen, die Prozessschritte zielgerichtet zu steuern.
4. Ideen-Generierung:
Begeben Sie sich an einen neutralen, störungsfreien, inspirierenden Ort und setzen Sie passende Kreativitätstechniken ein. Sorgen Sie am Anfang für gute Laune und ein Kreativ-Warm-up. Zeiteinheiten von 30 bis 60 Minuten sind optimal. Hören Sie nicht zu schnell auf, in dieser frühen Phase benötigen Sie ein Maximum an Ideen. Speichern Sie alle Ideen. Und beachten Sie die drei goldenen Regeln einer Kreativ-Sitzung: - Quantität vor Qualität, Inspiration ist erwünscht - alle Teilnehmer sind gleichberechtigt, keine Hierarchie - keinerlei Kritik, weder positiver noch negativer Art
5. Ideen-Bewertung und -Selektion:
Benutzen Sie jeweils passende Bewertungs- und Selektionstechniken, um die gefundenen Ideen zu verdichten, zu kombinieren und die Spreu vom Weizen zu trennen. Dies kann ein separates Bewertungsteam tun, dem auch Kunden angehören. Erstellen Sie eine Prioritäten-Liste, sortieren Sie nach Marktfähigkeit, Machbarkeit, Zeithorizont, Wirtschaftlichkeit und Nichtkopierbarkeit. Dabei kommt es erfahrungsgemäß zu weiteren Ideen. Am Ende dieses Prozesses verbleiben einige wenige aussichtsreiche Favoriten. Geben Sie diesen Namen und definieren Sie das weitere Vorgehen, beispielsweise in Form eines Projekts.
6. Implementierung:
Sorgen Sie zunächst für interne Akzeptanz, vor allem bei den ‚betroffenen‘ Mitarbeitern. Dies erfolgt am besten durch Involvieren und frühzeitige, regelmäßige, offene Kommunikation. Stellen Sie die notwendigen Ressourcen bereit. Kommunizieren Sie aktiv mit dem Markt, insbesondere mit den anvisierten Zielgruppen und mit der Presse. Bringen Sie Ihre Idee beziehungsweise Innovation zügig in den Markt, und zwar zum richtigen Zeitpunkt. Experimentieren Sie und testen Sie Varianten. Lassen Sie die Kunden schließlich mitentscheiden.
7. Kontrolle und Optimierung:
Vergleichen Sie die Ergebnisse mit Ihrer Zieldefinition. Holen Sie sich Feedback vom Kunden, hören Sie dabei auch auf die leisen Töne und die kritischen Hinweise. Optimieren Sie kontinuierlich, das heißt: Beginnen Sie diesen Prozess von vorn. Sorgen Sie für einen regelmäßigen Nachschub an unverbrauchten, außergewöhnlichen Ideen.

Ideen kommen aus der Produktion

Ideen-Management ist ein Instrument, das nicht nur Konzerne wie die Telekom nutzen. Christiane Kersting, Geschäftsführerin im Deutschen Institut für Ideen- und Innovations-Management, schätzt die Verbreitung im Mittelstand auf rund 70 Prozent und auf 20 Prozent in kleinen Betrieben. Die Ideen kommen eher aus der Produktion; aus der Forschung und Entwicklung beteiligen sich nur wenige. "Das Selbstverständnis, dass man aufgrund seiner Ausbildung sowieso ständig an Produktverbesserungen arbeitet, ist in deren Köpfen fest verankert, trifft aber in der Wirklichkeit nicht häufig zu", so Kersting. Auch dieses Institut hat eine Studie zum Stand des Ideen-Managements erstellt und herausgefunden, dass sich Unternehmen einen Ausfall von Milliarden Euro leisten, "weil sie das Ideenpotenzial ihrer Mitarbeiter nicht oder nicht genug ausschöpfen". Zwar sei das Ideen-Management weit verbreitet, doch nicht systematisch installiert: "Es wird von vielen Managern noch nicht als tägliche Führungsaufgabe verstanden."

Das Ideen-Management gehört regelmäßig auf die Tagesordnung von Führungskräfte-Meetings, meint Christiane Kersting vom Deutschen Institut für Ideen- und Innovations-Management. Nur wenn Geschäftsführer mit gutem Beispiel vorangingen, könne es sich etablieren.

Christiane Kersting, Deutsches Institut für Ideen- und Innovations-Management: "Das Ideen-Management gehört auf die Tagesordnung der Führungskräfte-Meetings.
Foto: Deutsches Institut für Ideen- und Innovationsmanagement

Müssten gute und loyale Mitarbeiter nicht von sich aus das Potenzial von Verbesserungen erkennen und es ansprechen, ohne die Hand aufzuhalten?

Christiane Kersting: Das würde eine wertschätzende Unternehmenskultur voraussetzen. Doch eine solche ist in den meisten Unternehmen eher in den Hochglanzbroschüren zu finden als in der gelebten Praxis. Was wir aber jetzt schon haben, ist das Ideen-Management. Es kann als Motor angesehen werden, die Unternehmenskultur dahingehend zu verändern, dass jede Idee eines jeden Mitarbeiters willkommen ist und bearbeitet wird. Auf dem Weg zu einer wertschätzenden Unternehmenskultur halte ich ein solches institutionalisiertes System im Sinne eines Katalysators für notwendig.

Was für Mitarbeiter, reichen Ideen ein? Stehen sie am Band, oder sind es eher die studierten Entwickler?

Christiane Kersting: Heute kommen die Einreicher aus allen Bereichen der Unternehmen. Historisch gesehen stammt das Ideen-Management aus dem produzierenden Gewerbe. Aufgrund der langen Tradition sind es vor allem die Werker, die sich mit Verbesserungen der Produktion und des Produkts beschäftigen und ihre Ideen dazu einreichen. Ihr Anteil ist am größten. Der Dienstleistungssektor und die Verwaltungen haben das Instrument erst in den letzten Jahren für sich entdeckt. In der Verwaltung eines Unternehmens oder in Forschung und Entwicklung gibt es eine deutlich geringere Beteiligung.

Was gehört zu einem funktionierenden Ideen-Management?

Christiane Kersting: Das Wichtigste ist, dass der Vorstand oder die Geschäftsführung vorangehen. Ohne deren Aufmerksamkeit und Unterstützung wird das Ideen-Management zwar formal funktionieren, aber nicht zu einem großen Erfolg werden. Die Führungskräfte, die eine wichtige Rolle im System spielen, orientieren sich nämlich an dem Verhalten, nicht an den Worten ihrer Vorstände oder Geschäftsführer. Deshalb gehört das Ideen-Management regelmäßig auf die Tagesordnung der Führungskräfte-Meetings. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist das richtige Modell. Ich halte das Führungskräfte-Modell für das beste. In diesem sind die Führungskräfte für die Ideen ihrer Mitarbeiter verantwortlich - und zwar von der Minute der Einreichung bis zum Zeitpunkt der Umsetzung, falls die Idee für gut befunden wird. Ideen-Management sollte kein Parallelprozess sein, sondern tagtägliche Führungsaufgabe.

Von wem und unter welchen Kriterien werden typischerweise Ideen ausgesucht und prämiert?

Christiane Kersting: Im Führungskräfte-Modell sind es die unmittelbaren Führungskräfte der jeweiligen Einreicher, die darüber entscheiden, ob der Vorschlag eine Idee im Sinne der Betriebsvereinbarung ist und ob die Entscheidung zur Realisierung in den eigenen Kompetenzbereich fällt. Trifft beides zu, dann hat die Führungskraft zu entscheiden. Bereichs- oder unternehmensübergreifende Ideen werden in einem Gremium, der Ideen-Management-Kommission, entschieden. Diese ist paritätisch besetzt und stellt sicher, dass die Mitarbeiter angemessen und fair am Erfolg ihrer Ideen beteiligt werden.