Hitzebedingte Mortalität

In der Großstadt leiden Menschen am meisten unter Hitze

20.06.2022
Der Hochsommer steht vor der Tür. Bereits Mitte Juni überschritten die Temperaturen in den meisten Regionen die 30-Grad-Marke. Für einige Gruppen kann Hitze besonders belastend sein.
Sommer in Berlin: Die gesundheitlichen Auswirkungen der Hitze sind nur ein Aspekt von vielen Folgen des Klimawandels.
Foto: hanohiki - shutterstock.com

Wenn die Wohnung auch nachts nicht abkühlt, die nackte Haut beim Anfassen von Beton förmlich brennt und einen schon das Nichtstun erschöpft, weiß man: Der Hochsommer ist da. Ganz besonders spürbar ist er in Großstädten wie Berlin. Dabei ist Hitze nicht nur enorm anstrengend - sie kann auch krank machen oder sogar tödlich sein.

Deshalb hat ein neues Aktionsbündnis Hitzeschutzpläne für das Gesundheitswesen in Berlin entwickelt, um Menschen vor gesundheitlichen Folgen extremer Hitze zu schützen. Die Pläne sollten am Montag vorgestellt werden. Ähnliche Konzepte gibt es bereits in Köln und Mannheim.

Wärmeinsel-Effekt

Aber warum haben Großstädter ein erhöhtes Risiko, an gesundheitlichen Hitzefolgen zu leiden? Laut Jürgen Kropp, Leiter der Forschungsgruppe Urbane Transformation am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in Potsdam, liegt das unter anderem am sogenannten urbanen Wärmeinsel-Effekt. Denn der Beton speichert Wärme besser als natürliche Materialien. Weil Wärme immer von einem wärmeren zum kälteren System fließt, wird sie etwa von aufgeheizten Gebäuden an die Umgebungsluft abgegeben, sobald die Temperaturen abends sinken. Dann herrscht in Innenräumen, aber auch in Großstädten generell selbst nachts eine höhere Temperatur als auf dem Land. Bei Hitzewellen schwinden so die Chancen auf Erholung für den Körper.

Diesen Wärmeinsel-Effekt gab es grundsätzlich auch früher schon. Wie etwa Autoren einer französischen Studie im "International Journal of Environmental Research and Public Health" erwähnen, verstärken häufigere und intensivere Hitzewellen aber das von dem Effekt ausgehende Risiko für Stadtbewohner. Dies sei eine unmittelbare Folge des Klimawandels.

Über 5.000 zusätzlichen Sterbefällen pro Jahr durch Hitze

Das Umweltbundesamt verweist auf seiner Webseite auf Modellrechnungen, die für Deutschland prognostizieren, "dass zukünftig mit einem Anstieg hitzebedingter Mortalität von eins bis sechs Prozent pro einem Grad Celsius Temperaturanstieg zu rechnen ist, dies entspräche über 5.000 zusätzlichen Sterbefällen pro Jahr durch Hitze bereits bis Mitte dieses Jahrhunderts".

Zwar gibt es laut Robert Koch-Institut (RKI) kein bundesweites Überwachungssystem, das die Zahl hitzebedingter Sterbefälle in ganz Deutschland erfasst. Berlin und Hessen schätzten 2018 nach RKI-Angaben aber die Hitzetoten: Demnach starben in der Hauptstadt etwa 490 Menschen aufgrund der Hitze-Einwirkung, etwa 740 waren es in Hessen.

Risiko für ältere Menschen

Ganz besonders betrifft das die älteren Menschen, sagt die Ärztin Nathalie Nidens, die bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug) in Berlin im Bereich Hitzeschutz tätig ist. Das zeigen auch die Schätzungen des RKI zu den Zahlen aus Hessen und Berlin von 2018: Während dort insgesamt rund zwölf von 100.000 Menschen wegen Hitze starben, waren es in den Altersgruppen der 75- bis 84-Jährigen etwa 60 von 100.000 - bei den über 84-Jährigen sogar etwa 300 von 100.000.

Der Grund liegt auf der Hand: Das habe ganz mit dem natürlichen Alterungsprozess zu tun, sagt Nidens. Ältere Menschen hätten ein geringeres Durstgefühl, ihr Kreislaufsystem sei nicht mehr so leistungsfähig. Hinzu komme der soziale Aspekt. Viele Ältere lebten allein und hätten niemanden, der ihnen während der Hitzewellen helfen könnte, sagt Klug-Mitarbeiterin Jelka Wickham. Besonders betroffen seien aber auch die vielen wohnungslosen Menschen in Berlin, Schwangere, Säuglinge, Kleinkinder und Vorerkrankte.

Steigendes Risiko für Herzinfarkte durch Hitze

Die Bandbreite der gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze ist groß. Sie reiche von Schwindel und Erschöpfung über Schwellungen an Füßen und im Extremfall auch bis zum Tod, erläutert die Ärztin. "In starken Hitzeperioden steigt beispielsweise das Risiko für Herzinfarkte und ein Herzinfarkt kann auch mit bleibenden Einschränkungen verbunden sein", sagt Nidens.

Nun stellt sich also die Frage: Was können die besonders betroffenen Großstädte tun? "Ein Aspekt ist sicherlich, die Städte mit Vegetation zu versehen", sagt PIK-Professor Kropp. Denn Pflanzen - insbesondere Bäume - verdunsten Wasser und kühlen so ihre unmittelbare Umgebung. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) weist beispielsweise auch immer wieder auf die positiven Auswirkungen von Dach- oder Fassadenbegrünung hin.

Als eine weitere Maßnahme nennt Kropp den Holzbau. Holz sei ein Isolator und gebe so etwa die aufgenommene Wärme nicht so stark in Innenräume ab. Damit könne man etwa Bürogebäude bauen, die höher sind als 80 bis 100 Meter.

Ausweisen von kühlen Orten in der Stadt

Wickham ist zwar auch für den Ausbau der Grünflächen und eine veränderte Stadtinfrastruktur. Sie merkt aber an, dass dies langfristige Maßnahmen seien, die viel Zeit zur Realisation benötigten. Deshalb müssten auch kurzfristige Lösungen her. Dazu gehöre vor allem die Information der Bevölkerung und die Einbindung des Gesundheitswesens, wie etwa Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen, sagt Wickham. Aber auch der Einsatz von Trinkwasserspendern oder das Ausweisen von kühlen Orten in der Stadt sei wichtig.

Dabei betont Wickham: "All diese Maßnahmen sind nur ein Ausgleich für das, was vorher schon schief gelaufen ist. Wir haben den Klimawandel verursacht und das heißt, wir müssen gucken, dass wir jetzt Maßnahmen zur Behebung dieses Fehlers ergreifen, die das ursprüngliche Problem nicht verstärken."

Die gesundheitlichen Auswirkungen der Hitze sind aber nur ein Aspekt von vielen Folgen des Klimawandels. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen immer wieder, dass extreme Hitzewellen in verschiedenen Regionen der Welt zu Dürre und damit zu Mangelernährung führen können. Zu den Folgen kann verstärkte Migration zählen, etwa wenn Regionen nicht mehr bewohnbar sind. (dpa/rs)