Nahezu alle Branchen und Unternehmen räumen Frauen nicht die gleichen Karrierechancen ein wie Männern. Die candidate select (case) GmbH, eine Ausgründung der Universität Bonn, spricht in einer Analyse von einer signifikanten "Gender Hierarchy Gap". Das Tech-Unternehmen, das sich mit der Analyse von Lebensläufen beschäftigt, hat gemessen und verglichen, welche Hierarchiestufen Männer und Frauen in den verschiedenen Branchen durchschnittlich erreichen. Die Auswertung (PDF) stützt sich auf die Analyse von 659 Unternehmen aus zehn Branchen in Deutschland, wobei als Grundlage die Jobtitel von 1,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer herangezogen wurden.
Mithilfe eines eigens entwickelten KI-Modells gelang es, diese Jobtitel den folgenden Hierarchiestufen zuzuordnen:
Praktikum/Werkstudium (unterste Ebene)
Junior-Position
Senior-Positionen
Management-Positionen
C-Level, Gründer, Partner (oberste Ebene)
Anschließend wurde untersucht, wie viele Frauen und Männer auf diesen Hierarchieebenen angesiedelt sind. So entstand ein Scoring, das zeigt, in welchen Branchen und Unternehmen Männer oder Frauen einen Hierarchievorteil haben und wo eine "Gender Parity" besteht, wie es bei case heißt, also ein Gleichgewicht der Geschlechter in Sachen Aufstiegschancen.
Consulting-Unternehmen am fairsten
Zu den Ergebnissen: Die größte Fairness in Sachen Hierarchie gibt es in Consulting-Unternehmen, gefolgt von der Finanzbranche. Auf dem letzten Platz landet der Bereich "Media/Marketing". Während 40 Prozent der Unternehmensberatungen genauso viele oder mehr Frauen wie Männer auf den jeweils gleichen Hierarchiestufen beschäftigen, schaffen das in der Media- und Marketing-Branche nur 18 Prozent.
Dabei gibt es keinen Zusammenhang zwischen dem Anteil an Mitarbeiterinnen an der Gesamtbelegschaft und den durchschnittlich erreichten Positionen in der Unternehmenshierarchie. Mit anderen Worten: Auch wo weniger Frauen beschäftigt werden, können diese überdurchschnittlich oft auf höheren Hierarchieebenen repräsentiert sein.
"Im Bereich Medien und Marketing sind zu mehr als 50 Prozent Frauen beschäftigt, dennoch erreichen diese nur selten höhere Positionen", beobachtet Phillipp Karl Seegers, Gründer und CEO von case und Arbeitsmarkt-Ökonom an der Maastricht University. Im Consulting sei die Situation anders. Dort würden zwar nur 35 Prozent der Jobs mit Frauen besetzt, dafür arbeiteten diese viel häufiger gleichberechtigt.
Folgendes Ranking nach Branchen zeigt, in wie vielen Unternehmen jeweils Frauen in Sachen Aufstieg mindestens gleichgestellt sind (Gender Parity) oder sogar mehr Frauen als Männer in Führungspositionen haben:
Consulting: 40 %
Finance: 37 %
IT/Software/Hardware: 35 %
Logistics/Mobility/Tourism: 32 %
Automotive: 32 %
Consumer Goods/Food: 30 %
Biotech/Healthcare: 29 %
Engineering/Construction: 27 %
Energy/Utilities: 26 %
Media/Marketing: 18 %
Der Bewertung der Marktforschern liegt folgende siebenstufige Skala zugrunde:
Sehr starker Hierarchievorteil für Frauen (F+++)
Starker Hierarchievorteil für Frauen (F++)
Schwacher Hierarchievorteil für Frauen (F+)
Gender Parity (0)
Schwacher Hierarchievorteil für Männer (M+)
Starker Hierarchievorteil für Männer (M++)
Sehr starker Hierarchievorteil für Männer (M+++)
Im IT-Markt ist Meta das Vorbild für alle
Einer der zehn untersuchten vertikalen Märkte ist die IT-Branche. Dort verhält sich Meta (mit den Marken Facebook, Instagram, WhatsApp) in Sachen Karrierechancen für Frauen am fairsten: Als einziges Unternehmen erreicht die Zuckerberg-Company den zweithöchsten Wert F++. Auch TeamViewer, eBay, Sony, Cisco, Fujitsu, Celonis, Apple und Computer Futures setzen mit der Bewertung F+ ein überdurchschnittlich deutliches Zeichen für Frauen in hochrangigen Positionen. Gar nicht gut fällt die Bilanz indes für Groupon, About You, United Digital Group (UDG), PTV Group, TWT und dSpace aus: Sie alle erhalten im Ranking die Bewertung M+++.
Der Fairness halber sei gesagt, dass in der IT-Branche eine Reihe von Unternehmen "Gender Parity" (0) erreichen, darunter namhafte Konzerne wie Amazon, Computacenter, CGI, Microsoft, HP, IBM, Salesforce, Google, Infosys Adobe, Texas Instruments, Reply und andere. Andererseits soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass bekannte Firmen wie Valantic, Materna, Avanade, NTT Data, Delivery Hero, iteratec, diconium, Dell, Senacor, Xing und Unity Media einen "starken Hierarchievorteil für Männer" attestiert bekommen haben, also im Ranking ein M++ erhalten.
Für Leserinnen und Leser der COMPUTERWOCHE dürfte auch die Branche der Unternehmensberatungen interessant sein, die - wie beschrieben - im Vergleich recht gut dasteht. Einen "sehr starken Hierarchievorteil für Männer" (M+++) muss sich hier kein Anbieter vorwerfen lassen. Allerdings agieren die Beratungshäuser Inverto, P3 Group, Mercedes-Benz Consulting, Goetzpartners, Kearney, Strategy&, Curacon, Exxeta, Dentons, Unity und Business Technology Consulting mit der Bewertung M++ stark Männer-lastig.
Im besten Fall gibt es in dieser Branche Unternehmen mit einem schwachen Hierarchievorteil für Frauen (F+). Diesen bieten vier Anbieter: Oscar, ADVANT Beiten, Expleo Group und WTS. Eine Reihe von Beratungen erreichen immerhin Gender Parity (0), darunter Accenture, KPMG, Simon-Kucher & Partners, Arthur D. Little, DXC Technology, Rödl & Partner, Baker & McKenzie sowie Clifford Chance.
BMW hinkt hinterher
Zum Schluss noch ein Blick auf den für die deutsche Volkswirtschaft so wichtigen Automotive-Sektor. Mit General Motors, Porsche und BorgWarner schaffen hier nur drei Unternehmen ein F+, den drittbesten Wert also. Parität bieten unter anderem Tesla, Fiat Chrysler, Daimler, Ford, Bentley, Webasto, Bertrandt und einige andere. Zwei Unternehmen müssen sich vorhalten lassen, Männern einen überaus starken Hierarchievorteil (M+++) zu gewähren: die Draexlmaier Group und Mubea. Nicht viel besser schneiden Schaeffler, Hella, ZF Friedrichshafen, Seat, ElringKlinger, Rolls-Royce, BMW, Brose und Michelin ab, jeweils mit dem Ranking-Wert M++. (hv)