McKinsey

Indien verliert an Boden im Offshoring-Markt

05.10.2009 von Werner Kurzlechner
Der Weltmarkt für Offshore-Business explodiert noch einmal: Von derzeit 80 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz auf 500 Milliarden im Jahr 2020, wenn man McKinsey glaubt. Die Berater prophezeien aber auch, dass die Marktmacht Indiens zu bröckeln beginnt und raten zu mehr Differenzierung.

Gleich in mehreren Beiträgen hat sich McKinsey jüngst mit dem Thema Offshoring beschäftigt und prägt damit wieder einmal eine Debatte. Sie wird in den Vereinigten Staaten ebenso lebhaft geführt wie im bisherigen Offshore-Paradies Indien und in Europa. Kritik an den Strategen in Nadelstreifen bleibt dabei ebensowenig aus wie handfeste Zukunftssorgen.

Die macht sich beispielsweise Noshir Kaka, McKinsey-Direktor in Mumbai, um seinen Heimatstandort. Zwar geht McKinsey von einem nachgerade unerschöpflichen Wachstum aus, dessen Potenzial auch über Jahrzehnte nur zum Bruchteil ausgeschöpft werden wird. Vom immer größeren Kuchen kann sich Indien auch künftig satt essen, aber für andere fällt mehr ab als bisher - zum Verdruss von Kaka. "Ein weiteres Problem ist, dass jeder bei der Party dabei sein will", so der Analyst aus Indien.

China, Ägypten, viele osteuropäische Staaten und Dutzende weiterer Wettbewerber kämpften aggressiv um Marktanteile, so Kaka. Neben einer beargwöhnten Passivität der politischen Entscheidungsträger versetzen ihn zwei Probleme in Sorge. Zum einen ist die Infrastruktur in Offshoring-Metropolen wie Hyderabad und Chennai den Anforderungen allmählich nicht mehr gewachsen.

Der Verkehrkollaps droht genauso wie das Zusammenbrechen von Energie- und Wasserversorgung. Zum anderen werden in Indien allmählich die Talente knapp. Drei Millionen Universitätsabsolventen jährlich genügten nicht, um den Marktanteil zu halten - zumal etwa Ägypten mit einem ehrgeizigen Hochschulprogramm seiner Industrie bereits im kommenden Jahr 32000 potenzielle Führungskräfte bereit stellen wolle.

Vorbeugendes Wehklagen auf hohem Niveau, so klingt es ein bisschen. In der Tat sinkt der indische Marktanteil laut McKinsey-Prognose in den kommenden elf Jahren von 51 auf 40 Prozent. Andererseits: Neue Nachfrager aus Brasilien und Indien oder Russland sorgen ebenso für einen Schub wie kleine und mittlere Unternehmen oder Branchen wie Health Care, die erst allmählich zu neuen Ufern aufbrechen. So zumindest lautet die globale Prognose des Beratungshauses.

Wie es Barack Obama mit dem Offshoring hält, erscheint noch unklar.

Dennoch sind elf Jahre eine lange Zeit, und schon jetzt zeichnen sich vielerlei Unwägbarkeiten ab. Das beginnt schon mit der Frage, wie sich der mächtigste Mann der Welt zum Offshoring stellen wird. US-Präsident Barack Obama kündigte während des Wahlkampfes im vergangenen Jahr an, Firmen nicht länger steuerlich begünstigen zu wollen, die Arbeitsplätze jenseits der Landesgrenze verlagern. Dieses Statement lässt immerhin darauf schließen, dass Obama mögliche negative Folgen des Offshoring für die US-Ökonomie durchaus bewusst sind.

Alte Rezepte helfen nicht mehr so einfach

Auf cio.co.uk kommt Arpit Kaushik, der das Londoner Outsourcing-Unternehmen Crystals leitet, zu dem Schluss, dass die Haltung der US-Regierung zum Offshoring noch nicht klar erkennbar sei. Er verweist darauf, dass Obama mit der Leiterin des McKinsey Global Institute (MGI), Diana Farrell, eine ausgewiesene Offshoring-Apologetin in seinen Beraterstab geholt hat. Das MGI hatte vor einigen Jahren vorgerechnet, dass jeder US-Dollar, der für Business Process-Outsourcing nach Indien ausgegeben wird, der heimischen Volkswirtschaft letztlich mindestens 1,12 Dollar wieder einbringe.

Dieser MGI-Report von 2003 sei "als eigennütziges Lobbying-Dokument, das eine unrealistisch optimistische Einschätzung des Effektes von Offshore-Outsourcing präsentiert, zu betrachten", urteilen die Politik-Professoren Ron und Anil Hira, die im Gegenzug die Folgekosten von Offshoring für die US-Bürger betonen.

Wie auch immer: Die Debatte darüber, ob Offshoring ein Win-Win-Geschäft für alle ist, wird in den USA weiter kontrovers geführt. Und die politischen Konsequenzen daraus werden für die Entwicklung des Offshoring-Marktes nicht folgenlos bleiben.

Jenseits der optimistischen Global-Prognose kommt McKinsey in einem Beitrag der Analysten Tor Mesoy, Barnik Maitra und Matthias Daub zu dem Ergebnis, dass das Offshoring-Geschäft in jedem Fall vor gewaltigen Herausforderung steht. Aufgrund abrupter Veränderungen des Währungs- und Lohnniveaus, eines verschärften Wettbewerbs um Mitarbeiter und regulatorischer Schranken erscheint das Erfolgsrezept der vergangenen Jahre in Frage gestellt. Einfach möglichst viele Leute dort zusammen zu suchen, wo die Arbeitskosten am niedrigsten sind und das Qualifikationslevel einigermaßen stimmt, geht so leicht nicht mehr auf.

Zum einen fanden die Berater auf der Mikroebene heraus, dass in den großen indischen Delivery-Zentren die Performance abfällt, sobald mehr als 3000 Mitarbeiter dort beschäftigt werden. Zum anderen erscheinen die lokalen Risiken immer schwerer kalkulierbar, so dass eine massive Konzentration an einem Ort sich als problematisch erweist.

Risikostreuung empfiehlt sich

Das McKinsey-Trio aus Oslo, Delhi und Frankfurt am Main empfiehlt deshalb ein neues Offshoring-Modell, das größere Vorhersehbarkeit beim Kostenmanagement ebenso mit sich bringt wie bessere Koordination und Flexibilität. Einerseits gilt es dabei, eine zu starke Fokussierung auf eine Region zu vermeiden. Andererseits raten die Berater dazu, das Spektrum an Aktivitäten an den einzelnen Offshoring-Plätzen zu differenzieren. Nicht nur eine Massierung von Billiglohn-Jobs anzubieten hat beispielsweise auch den Effekt, den Mitarbeitern Aufstiegsmöglichkeiten aufzuzeigen und ihre Motivation zu erhöhen.

Dass Indien auch durch diese Strategie zwangsläufig etwas an Boden verliert, verdeutlicht das Beispiel einer französischen Firma, die sich gegen ein Komplett-Offshoring nach Bangalore entschied. Zwar verlagerte das Unternehmen mit 1300 Job einen Großteil der Stellen nach Indien. Jeweils 300 wanderten indes nach Ägypten und Rumänien, 100 blieben in Lille. Nach Ansicht von McKinsey ein sinnvoller Weg der Risikostreuung.

McKinseys Gedanken zur Offshoring-Strategie der Zukunft sind im Papier "Rethinking the model for offshoring services" nachzulesen, Noshir Kakas indische Perspektive trägt den Titel "Strengthening India's offshoring industry".