Das Projekt "Industrie 4.0" wurde von der Bundesregierung mit dem Ziel ins Leben gerufen, deutsche Unternehmen für die Zukunft global wettbewerbsfähig zu positionieren. Industrie 4.0 basiert auf der "Smart Factory", der intelligenten Fabrik, deren Produktionsprozesse weitgehend autark, das heißt ohne menschliche Eingriffe, organisiert sind.
Zahlreiche flankierende Technologien
Technologien, die mit Industrie 4.0 einhergehen, stellen für die Unternehmen heute sowohl eine Unterstützung als auch Herausforderung dar. Um den steigenden Kundenanforderungen gerecht zu werden, treiben viele Betriebe zum Beispiel die Individualisierung ihrer Produkte voran. Dazu müssen flexible und transparente Produktionsketten geschaffen werden, da einer großen Produktvielfalt komplexe und vielgestaltige Geschäftsprozesse zugrunde liegen, die anfällig für Fehler sind.
Die Umsetzung autonomer Produktionsketten durch die Kombination verschiedener Technologien ruft gleichzeitig Fragen nach der IT-Sicherheit auf: Welche Daten soll ein Unternehmen mit seinen Geschäftspartnern teilen, welche für sich behalten? Während ein reger Informationsaustausch einerseits eine hohe Integrität bedeutet, kann damit auch ein Machtverlust des eigenen Unternehmens einhergehen.
Die Beispiele zeigen: Industrie 4.0 ist ein weites Feld an Möglichkeiten, bereits vorhandene Technologien miteinander zu vernetzen. Viele Unternehmen stehen heute vor der Frage, welche sie nutzen sollen, um ihre Wertschöpfungskette optimal zu integrieren.
Pharma 4.0 ?
Die Industrie 4.0-Initiative der Bundesregierung beeinflusst Unternehmen aller Branchen, so auch die Pharma-Industrie. Diese muss die damit verbundenen Herausforderungen trotz hoher Sicherheitsanforderungen, des Wettbewerbs in Niedriglohnländern und einer ungewissen Zukunft annehmen.
Pharma-Unternehmen haben primär die Aufgabe, die Produktqualität sicherzustellen, um das Patientenwohl zu gewährleisten. Darüber hinaus stehen die Senkung der Produktionskosten, die Vermehrung des Vermögenswertes und die Sicherung von Investitionen auf der Agenda.
Um die pharmazeutischen Prozesse erfolgreich zu gestalten, sind präzise und hochwertige Echtzeitdaten erforderlich. Für die Produktqualität spielt die Serialisierung eine Rolle, mit der die einzelnen verkaufsfähigen Produkte durch Seriennummern identifiziert werden können. In Kombination mit der genauen Ortung und Zustandsbeschreibung (z.B. Temperatur) der Produkte kann der komplette Lebenszyklus wiedergegeben werden (Track and Trace). Die RFID-Technologie ermöglicht das automatische Identifizieren und Lokalisieren von Objekten über Radiowellen und wirkt damit möglichen Fälschungen von Pharmazeutika entgegen.
Auch innerhalb der Produktion setzt die Pharma-Industrie Technologien wie Sensoren ein. Wird etwa die Messgröße eines Sensors überschritten, der die Menge der Produktionsmaterialien in einer Fertigungsmaschine überprüft, sendet dieser Sensor einen Befehl zur Nachlieferung aus dem Lager. Sobald diese die Fertigungsmaschine erreicht hat, prüft das Lagerverwaltungssystem, ob eine neue Bestellung aufgegeben werden muss oder der aktuelle Lagerbestand noch über dem Mindeststand ist.
Diese Prozesse werden vordefiniert und automatisch ausgeführt. Durch das Zusammenspiel von Sensoren und Aktoren ist den Pharma-Unternehmen ein proaktives Handeln möglich, mit dem sich unter anderem die hohen Lagerhaltungskosten von Chemieprodukten minimieren lassen. Gleichzeitig können diese Produkte zeitlich exakt verarbeitet werden.
Wenn die operativen Daten adäquat gepflegt sind, können sie von Business Intelligence-Systemen, basierend auf historischen und Echtzeitdaten, analysiert werden. Diese Auswertungen stellen die Basis für zukunftsbetreffende Entscheidungen dar und können zur Optimierung aktueller Produktionsprozesse dienen.
Neben der nachhaltigen Gewährleistung einer hohen Produktqualität stellt eine schnelle Markteinführung neuer Produkte im pharmazeutischen Bereich einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor dar, da damit hohe Forschungs- und Entwicklungskosten verbunden sind. Durch die steigende Virtualisierung und ihre Simulationsmöglichkeiten können enorme Einsparpotenziale sowohl bei der Produktentwicklung als auch Prozessgestaltung gehoben werden.
Stammdaten-Management im Rahmen von Industrie 4.0
Besonders in der Pharma-Industrie ist das Stammdaten-Management ein wichtiger Stellhebel für den Geschäftserfolg. Verstärkt wird der Handlungsbedarf durch die branchenübliche Vielzahl an Mergers & Acquisitions, die zu fragmentierten Datenbeständen über verschiedene Systeme führt. Produkt- und kundenbezogene Daten bilden unter anderem den Ausgangspunkt für erfolgreiche Initiativen in der Forschung & Entwicklung sowie für Sales- und Marketing-Analysen, zum Beispiel für zielgruppengerechte Promotion-Aktionen.
Eine der größten Herausforderungen im Stammdaten-Management ist die Einhaltung von Compliance-Anforderungen, die gerade im Pharma-Bereich sehr hoch sind und sich von Land zu Land unterscheiden. Ebenfalls zu beachten sind Regularien wie die "GxP"-Richtlinien und der "Sarbanes-Oxley Act", die Vorschriften für gute Arbeitspraktiken zusammenfassen. Ein integriertes Stammdaten-Management-System kann helfen, diese Anforderungen zu erfüllen.
Industrie 4.0 erzeugt, nutzt und verändert Stammdaten. So werden durch die Einführung neuer intelligenter Fertigungsmaschinen, bestückt mit Sensoren, oder erweiterter Realitäten, wie "Smart Glasses" oder "Tablet"-PC, neue Stammdaten im System angelegt. Die Stammdaten verändern sich, weil sie durch die zunehmende Individualisierung der Produkte immer mehr Ausprägungen berücksichtigen müssen und erweitert werden.
Ein verlässliches Stammdaten-Management-System stellt eine einheitliche Sprache zur Verfügung, die von Industrie 4.0 bedingt wird. Auch in der Pharma-Industrie muss die Stammdaten-Management-Strategie im Industrie 4.0-Zeitalter bestimmte Anforderungen, wie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, erfüllen, um Änderungen schnellstmöglich adaptieren zu können. Denn nur so können Geschäftsabläufe effizient und ressourcenschonend abgewickelt werden.
Single Point of Truth
Im Ansatz zielt das Stammdaten-Management, auch Master Data Management (MDM) genannt, auf die Verdichtung und Vereinheitlichung der Stammdaten zur Schaffung einer einheitlichen Datenbasis. So wird durch das Zusammentragen aller Stammdaten-Sätze ein "Single Point of Truth" geschaffen, der einerseits die Planung, Steuerung und Ausführung des operativen Geschäfts vereinfacht, standardisiert und beschleunigt, andererseits der Durchführung verlässlicher Analysen dient. Um erfolgreiches Stammdaten-Management zu gewährleisten, muss es ganzheitlich betrachtet werden. Dazu zählen nicht nur informationstechnische Aspekte, wie Datenmodelle und IT-Applikationen, sondern auch betriebswirtschaftlich-organisatorische.
Grundlegend für den Erfolg von Stammdaten-Management-Projekten ist die Definition einerStrategie, die auf Basis einer Vision mit Bezug zu den Geschäftsprozessen formuliert wird und einen Projektfahrplan mit Kommunikations- und Change-Management-Maßnahmen umfasst. Dieser strategische Ansatz macht das Stammdaten-Management zu einem Thema, das vom Management aktiv vorangetrieben und mit ausreichenden Personal und finanziellen Ressourcen unterstützt werden sollte.
Der Bereich "Prozesse" befasst sich mit der Umsetzung der operativen Pflegeprozesse, zum Beispiel der Anlage und Änderung von Daten, und deren Ausprägungen. Diese Prozesse sollten einerseits bestehenden Geschäftsprozessen, andererseits neuen Anforderungen Rechnung tragen, die dann an die Arbeitsweisen und -abläufe angepasst werden. Zu berücksichtigen sind auch die entsprechenden Autorisierungs- und Authentifizierungskonzepte.
Im Bereich "Organisation & Governance"wird sowohl der strukturelle Aufbau der Stammdaten-Organisation, einschließlich Primär- und Sekundärorganisation, als auch die Rollen, Verantwortlichkeiten, Standards und Richtlinien des Stammdaten-Managements festgelegt. Der Bereich"Stammdaten" beschäftigt sich mit der Definition des Stammdaten-Objekts, seiner Semantik und Nomenklatur.
Mit der informationstechnischen Umsetzung und dem Aufbau der Lösungsarchitektur im Bereich "IT-Systeme"wird das Stammdaten-Konzept vollendet. Dabei ist darauf zu achten, dass die Vorgaben der Stammdaten-Management-Strategie in der IT-Struktur konsequent umgesetzt werden. So muss das IT-System in der Lage sein, die vordefinierten Prozesse und Strukturen zu integrieren, die Geschäftsregeln zu implementieren und externe Services einzubinden. Gestaltungsparameter, die den operativen Betrieb betreffen, also auch Supportfunktionen, Datenqualitätsmanagement und weitere Services, fallen in den Bereich"Betrieb & Support".
Einbettung in die Geschäftsprozesse erforderlich
Ein integriertes Stammdaten-Management und Industrie 4.0 ergänzen und bedingen sich. Denn beide Entitäten haben das Ziel, die Effektivität und Verlässlichkeit von Geschäftsprozessen zu steigern. Auf Basis verlässlicher Stammdaten können sich entweder Anwendungsfelder für Industrie 4.0 ergeben oder Schwachstellen ermittelt werden, die eine Einführung von Industrie 4.0 verhindern.
Alle Informationen zur Beschreibung von Geschäftsprozessen und Produkten sind in den Stammdaten hinterlegt. Da die mit dem Industrie 4.0-Konzept einhergehende Automatisierung und Vernetzung auch das Stammdaten-System betrifft, müssen die Pflege- und Nutzungsprozesse digital in einen gesamtbetrieblichen Kontext integriert werden.
Eine der Hauptanforderungen von Industrie 4.0 ist daher die Einbettung der Stammdaten-Prozesse in die Geschäftsprozesse durch ein vernetztes System. Dabei ist höchster Wert auf eine korrekte Verwaltung der Stammdaten zu legen, da automatisierte Prozessketten auf Basis von Daten handeln. Ebenfalls ein wichtiger Aspekt ist die Aktualisierung des Stammdaten-Management-Systems in Echtzeit, da Verzögerungen in Stammdaten-Prozessen zu Behinderungen im operativen Geschäft führen. Eine Rolle spielt auch die voranschreitende Individualisierung der Produkte durch Industrie 4.0, denn sie verlangt nach Stammdaten, die konfigurierbare Produkte zulassen.
Die Praxis zeigt, dass eine schlanke Prozessarchitektur mit klar definierten Stammdaten, die einem auf das Unternehmen angepassten Rahmenwerk unterliegen, den optimalen Ausgangspunkt für den Aufbruch ins Industrie 4.0-Zeitalter bieten.
Ebenso wichtig ist die Auswahl des passenden IT-Systems für die Ausführung und Erfüllung der vordefinierten MDM-Prozesse und Anforderungen. Um die Integrität in einem gesamtbetrieblichen Kontext zu fördern, muss das Stammdaten-Management-System zu den anderen vorhandenen IT-Systemen kompatibel und in der Lage sein, vielfältige Systeme durch klar definierte Schnittstellen anzubinden. Denn nur so ist ein Informationsaustausch verlässlicher Daten über die verschiedenen Systeme hinweg gewährleistet.