Deutschland hat viele mittelständisch produzierende Betriebe, die auf einem Spezialgebiet ihres Feldes Weltmarktführer sind. In kaum einem anderen Land der Welt gibt es davon so viele wie hierzulande. Das klassische Geschäftsmodell vieler dieser Hidden Champions ändert sich. Mit der Digitalisierung steht ein großer Wandel an, der die Fertigung komplett digitalisieren und zu einem über die Cloud gesteuerten "Internet der Dinge" (IoT) vernetzen wird.
Bislang laufen die Vorbereitungen für die Smart Factory von Morgen beim deutschen Mittelstand schleppend. Das zeigt eine neue Bitkom-Studie unter 500 Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern. Drei von vier Industrie-Unternehmen gaben an, dass sie eher zurückhaltend agieren. Nur rund die Hälfte der produzierenden Unternehmen verfügen über ein Gesamtkonzept rund umIndustrie 4.0. Ganze 42 Prozent der Betriebe gehen das Thema nur in einzelnen Teilbereichen aktiv an.
Gerade die Verschmelzung von Hard- und Software soll ein wichtiger Wachstumstreiber für die chinesische Wirtschaft werden. So hat Chinas Regierung vor drei Jahren in ihrem Strategiepapier "Made in China 2025" (MIC 2025) unter anderem die Vision skizziert, im Bereich der computergesteuerten Maschinen zum weltweit führenden Anbieter zu werden. Bereits heute verstehen sich Unternehmen aus China längst nicht mehr nur als Produktions-Outsourcer, sondern bringen eine Menge eigenes Know-how in immer innovativere Produkte ein. Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass Software und Engineering perfekt zueinanderpassen.
Großteil der Wertschöpfung beim Softwareentwickler
Verstärkter Wettbewerb droht dem klassischen Industrie-Mittelstand folglich vor allem jenseits der eigenen Ingenieurskunst. So gibt es mittlerweile eine Menge innovativer Start-ups, die mit ihren Angeboten versuchen, den Anwendern einer Maschine oder eines Geräts zusätzlichen Mehrwert zu liefern. Sensoren, die Maschinen und Produkte im Internet der Dinge verbinden, sind dabei nur der Anfang. Angesichts vonCloud-Angeboten, dank derer es sich zu geringen Kosten experimentieren und entwickeln lässt, sind heute viele Geschäftsmodelle denkbar, bei denen ein Großteil der Wertschöpfung beim Softwareentwickler landet und das produzierende Gewerbe hauptsächlich als Manufacturing-as-a-Service-Dienstleister fungiert.
Industrie-Unternehmen sind deshalb gut beraten, sich in diesem Bereich eigene Kompetenzen anzueignen und das Kerngeschäft um digitale Services zu erweitern. Dabei könnten sich klassische Fertigungsbetriebe vor allem dann in der neuen Welt der Industrie 4.0 behaupten, wenn sie sich mehr mit der Analyse und der Verwendung von Daten beschäftigen. Für die moderne Fabrik kann das beispielsweise bedeuten, dass der Shopfloor noch enger mit Informationen aus Warenwirtschaft und Logistik verknüpft wird oder eigene Hardware-Produkte um SaaS-Dienste, wie zum Beispiel die automatisierte Wartung ergänzt werden.
So hat die SKF GmbH in Deutschland ihr Kugellager-Angebot um Smart Services aus der Cloud ergänzt und mit Hilfe von IoT-Sensorik, fortgeschrittener Analysemethoden aus der Cloud und maschinellem Lernen den Wartungsprozess ihrer Produkte digitalisiert.
Ein weiteres Beispiel ist Syskron X, ein Tochterunternehmen der Krones AG, das auf der Hannover Messe 2018 eine Cloud-basierte Ende-zu-Ende-Lösung für den Betrieb von Getränkeabfüllanlagen vorgestellt hat.
Diesen Wandel fasste General Electric CEO Jeffrey Immelt einmal folgendermaßen zusammen: "Noch letzte Nacht seid ihr als Industrie-Unternehmen schlafen gegangen – und heute Morgen wacht ihr als Software- und Analytics-Unternehmen auf."
Neue Wege in der Cloud
Zu den Unternehmen, die ihr Portfolio um neue Dienste erweitert hat, gehört die Roth-Gruppe, ein Unternehmen das den gesamten Workflow der Automatisierungstechnik aus einer Hand bietet. Dabei spielt die Cloud eine große Rolle. So entwickelte Roth eine Cloud-basierte Fernwartungslösung für die Predictive Maintenance. Dabei werden Daten aus verschiedenen Maschinen aggregiert und ausgewertet, was zu niedrigeren Ausfallzeiten und höherer Produktivität führt.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie mit Hilfe der Cloud komplett neue Geschäftsmodelle entstehen können, liefert Kärcher. So ist das Unternehmen mit dem IoT-basierten Service Kärcher Fleet in der Lage, sein Portfolio aus Reinigungslösungen um eine Dienstleistung zu erweitern. Dabei liefert das Unternehmen aktuelle Daten zu Wartungs- und Ladungszustand, Einsatzzeiten und Standort der Maschinen online an deren Nutzer.
Davon profitieren vor allem Facility-Manager, die ihre Reinigungsflotte professionell betreuen und nun jederzeit auf wichtige Informationen zugreifen können. Dank der Cloud kann Kärcher nicht nur auf eine kostspielige eigene IT-Infrastruktur verzichten, sondern sich ganz auf die strategische Weiterentwicklung seiner Dienstleistungen konzentrieren.
Bewährtes weiterentwickeln
Vor den Veränderungen rund um Industrie 4.0 muss sich die deutsche Fertigungsindustrie nicht fürchten. Mit ihrem über Jahrzehnte gewachsenen Know-How im Bereich Engineering ist sie auch im rauer werdenden Wettbewerb gut aufgestellt. Sie sollte sich jedoch noch intensiver mit der intelligenten Verknüpfung von Daten und Anwendungen beschäftigen, um ihre Kunden nicht nur durch erstklassige Produkte, sondern auch mit Hilfe von innovativen Dienstleistungen begeistern zu können.
Dass IT und Fertigung gar nicht so weit voneinander liegen müssen zeigt auch das Buch "Projekt Phoenix" von Gene Kim und Kevin Behr. Der Roman erzählt die Geschichte des IT-Managers Bill. Er muss angesichts schrumpfender Budgets und eines drohenden Outsourcings seines Bereiches neue Wege finden, seinen Fachbereichen größeren Mehrwert aus der IT zu bieten.
Veteranen der Fertigungsindustrie werden das Schema des Buches vielleicht wiedererkennen: Mit "Das Ziel: Ein Roman über Prozessoptimierung" schrieb Eliyahu Goldratt in den 80er Jahren schon die Grundlagen der modernen Fertigungsoptimierung. Tatsächlich gehorchen moderne DevOps-Methoden den gleichen Prinzipien wie aktuelle Methoden der Kapazitätsplanung in der Fertigungs-Industrie. Mithilfe von Cloud und DevOps wächst also endlich zusammen, was zusammengehört: Industrie und Digitalisierung.