Der Chiphersteller Infineon will mit einer Milliardenübernahme in den USA in die globalen Top Ten der Halbleiterbranche aufsteigen. Für neun Milliarden Euro will der Dax-Konzern den im kalifornischen Silicon Valley beheimateten Konkurrenten Cypress Semiconductor mit seinen 5.800 Mitarbeitern übernehmen.
"Das ist ein großer und richtungsweisender Schritt für unser Unternehmen", sagte Vorstandschef Reinhard Ploss am Montag in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. Zusammen mit Cypress wird Infineon nach Ploss' Angaben Nummer eins bei Chips für die Autoindustrie sein und insgesamt Nummer acht der Chiphersteller weltweit. Die Übernahme soll Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres abgeschlossen sein.
Große Hoffnungen setzt die Infineon-Chefetage auch auf die "Connectivity"-Komponenten von Cypress. Das sind elektronische Bauteile für vernetzte Geräte und Maschinen, die untereinander kommunizieren. Viel zitierte Beispiele sind vernetzte Kühlschränke oder Waschmaschinen.
Kaum Überschneidungen in der Produktpalette
"Wir erleben einen grundlegenden Wandel in Industrie- und Verbrauchermärkten", sagte Ploss. Heute seien einige Hundert Millionen Geräte miteinander vernetzt, in Zukunft werde es eine zweistellige Milliardenzahl sein. Beide Unternehmen ergänzen sich nach Ploss' Einschätzung gut, weil es kaum Überschneidungen in der Produktpalette gibt: "Wir haben sehr wenig Marktüberlappung", sagte der Infineon-Chef dazu.
Daher gibt sich die Chefetage des im Münchner Vorort Neubiberg ansässigen Dax-Konzerns auch zuversichtlich, dass die US-Behörden der Übernahme ihren Segen erteilen. "Unter Kartellaspekten sollten wir aus heutiger Sicht keine Probleme haben", sagte Ploss. 2017 hatte die Regierung in Washington wegen befürchteter Gefährdung der nationalen Sicherheit ihr Veto eingelegt, als der deutsche Chiphersteller das US-Unternehmen Wolfspeed Power kaufen wollte - der unter anderem das US-Militär beliefert. Cypress stellt demnach nichts von militärischer Bedeutung her: "Es gibt keine exportkontrollierten Produkte", sagte Ploss dazu.
Ein Stellenabbauprogramm ist mit dem Zukauf nicht verbunden: "Wir rechnen eher mit mehr Jobs als mit weniger Jobs", sagte Ploss. Finanziert werden soll der Kauf zum größeren Teil durch Kredite, zum kleineren Teil durch eine Eigenkapitalerhöhung von etwa 2,7 Milliarden Euro sowie eigenes Geld. Infineon bietet den Cypress-Aktionären 23,85 Dollar je Anteil - das wäre gut ein Drittel mehr als der Schlusskurs vom Freitag. "Das ist ein stolzer Preis, da ist kein Zweifel", sagte Ploss. Die Anleger reagierten allerdings skeptisch: Am Vormittag verlor die Infineon-Aktie fast sieben Prozent an Wert und erreichte damit den tiefsten Stand seit Herbst 2016.
Langfristig soll mehr Umsatz für Infineon rausspringen
Der Kaufpreis von neun Milliarden Euro entspricht in etwa dem Viereinhalbfachen des Jahresumsatzes von Cypress. Die Kalifornier setzten 2018 rund 2,5 Milliarden US-Dollar (2,2 Mrd Euro) um und verdienten dabei 355 Millionen Dollar. Infineon ist wesentlich größer und kam im Geschäftsjahr 2017/18 auf einen Umsatz von 7,6 Milliarden Euro - der Gewinn lag bei 1,1 Milliarden Euro.
Der Vorstandschef erwartet, dass die Übernahme Infineon langfristig mehr als 1,5 Milliarden Euro zusätzlichen Umsatz pro Jahr bringen könnte. Das Sparpotenzial bezifferten Ploss und seine Vorstandskollegen auf jährlich 180 Millionen Euro.
Allerdings sind die Chiphersteller weltweit derzeit in schwierigem Fahrwasser. Grund ist unter anderem der Handelskonflikt der USA mit China - in der Volksrepublik wurden im vergangenen Jahr erstmals seit einem Vierteljahrhundert weniger Autos verkauft als im Vorjahr. Die Autobranche ist mittlerweile einer der wichtigsten Abnehmer für elektronische Komponenten. Auch der langjährige Smartphone-Boom ist beendet, nach Einschätzung des auf die Elektronikindustrie spezialisierten US-Marktforschungsinstituts IDC sinken die weltweiten Verkaufszahlen.
Der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie ging daher kürzlich davon aus, dass das weltweite Wachstum des Halbleitermarktes von derzeit durchschnittlich knapp neun Prozent pro Jahr auf knapp drei Prozent abnehmen wird. Die Branche ist seit jeher durch starke zyklische Schwankungen geprägt. (dpa/rs)