Sie haben lange kritische Blick in den IT-Himmel geworfen und den Kopf geschüttelt. Banken und Versicherungen sind definitiv keine First Mover im Cloud Computing. Sicherheit und Compliance quälen die Finanzdienstleister. Allenfalls Teilauslagerungen in private Wolken galten bis jetzt als machbar. Doch nun scheint ein Wandel in Sicht: Bis Mitte des Jahrzehnts wollen mehr als 80 Prozent der Finanzdienstleister geschäftskritische Anwendungen in eine öffentlich zugängliche Public Cloud verlagern, so das Ergebnis einer Umfrage von HP unter 317 IT-Entscheidern und CIOs von Finanzdienstleistern in der Region EMEA im Sommer 2011. '
Noch betreibt die Mehrheit der Banken und Versicherungen zwar überwiegend abgeschottete Private-Cloud-Modelle, die im eigenen Rechenzentrum oder bei einem IT-Dienstleister betrieben werden. Doch erste Erfahrungen in der Virtualisierung beschleunigen die Reise, wie das Beispiel des niederländischen Allfinanzkonzerns ING Groep N.V. zeigt.
"Wir sind Gläubige geworden", erklärt CIO van Wyk. "ING hat von den in den vergangenen Jahren bereits umgesetzten Virtualisierungsprojekten und Teilauslagerungen der IT in die Private Cloud profitiert. Wir können heute durch die Cloud-Lösung den Zugriff auf Anwendungen und Informationen für Kunden und Angestellte viel schneller und effizienter bereitstellen als in der Vergangenheit. Unsere Time-to-Market hat sich deutlich verbessert."
Der CIO des niederländischen Finanzkonzerns, zu dem Filial- und Direktbanken sowie Versicherungsunternehmen in weltweit 40 Ländern gehören, ist von den Vorteilen der virtuellen Datenwelten überzeugt. "In puncto Flexibilität, Geschwindigkeit und Kosteneffizienz ist die Cloud nicht zu toppen. Sie sichert die Wettbewerbsfähigkeit unser Institute in einem Markt, der sich permanent und schnell an immer neue Regularien und Herausforderungen anpassen muss."
Eine Sicht der Dinge, die die von HP befragten IT-Chefs der Finanzbranche teilen. 41 Prozent wollen durch Cloud Computing flexibler agieren, 21 Prozent innovativer werden. 20 und 40 Prozent der Betriebskosten glauben die CIOs durch den Einsatz eines Mischmodells von klassischem IT-Betrieb und Cloud einsparen zu können. Die Zahlen aus der Umfrage will van Wyk nicht konkret bestätigen - doch er sagt, die Einsparungen seien "beachtlich", und verweist auf ein Beispiel: "Wenn wir in der Vergangenheit eine neue Applikation entwickeln wollten, hat das von der Planung und Umsetzung bis hin zur Einführung in der Bank etwa drei bis sechs Monate gedauert.
Heute können wir die gleiche Aufgabe in einer virtuellen Umgebung in Stunden, wenn nicht gar in Minuten realisieren. Durch diese viel schnellere Bereitstellung generieren wir viele Vorteile. Wir brauchen weniger Personal und sind schneller am Markt. Man kann sich vorstellen, dass das Einsparpotenzial gegenüber der traditionellen Banken-IT-Welt enorm ist."
16 Rechenzentren konsolidiert
Mit der vorangetriebenen Virtualisierung der Infrastruktur haben sich allerdings auch die Anforderungen an die Rechenzentren des Allfinanzkonzerns mit Hauptsitz in Amsterdam verändert. So setzt ING nun parallel zu seinem Private-Cloud-Projekt auch eine neue Rechenzentrumsstrategie um. 16 höchst reale Datenzentren werden in Zusammenarbeit mit den Dienstleistern Hewlett-Packard (HP) und Colt konsolidiert und in die Cloud überführt. Der Grundstein dafür ist gerade gelegt worden.
HP und Colt werden den Umzug der gesamten IT in die virtuelle Umgebung umsetzen und begleiten, ebenso die Weiterentwicklung der Private Cloud in eine Hybrid Cloud vorantreiben und Mitarbeiter, Prozesse und Technologie auf die Cloud vorbereiten. "Diese Strategie werden wir zunächst für die Banken in den Benelux-Ländern realisieren. Im Laufe der Zeit werden wir dann weitere Institute aus verschiedenen Ländern der ING-Gruppe mit einbeziehen", beschreibt van Wyk seine Pläne. Die ING-Versicherungen, so der IT-Chef, würden einen ähnlichen Weg einschlagen, jedoch in eigenen Rechenzentrenumgebungen und mit eigenen Dienstleistern.
"Reise der kleinen Schritte"
"Es ist eine Reise der kleinen Schritte", betont Jan Zadak von HP Enterprise Services in EMEA. "Es geht darum, die Flexibilität der Systeme zu steigern und zu prüfen, wie die Infrastruktur und ihre Komponenten innerhalb der Gruppe bestmöglich bereitgestellt und von den angeschlossenen Instituten genutzt werden können." Jeder Abschnitt des Umzugs müsse wohlüberlegt sein, die erforderlichen Sicherheits- und Service-Level müssen untersucht werden. Die eingeschlagene Richtung stimme in jedem Fall, betont Zadak. Mit dem neuen Produkt "HP Converged Cloud" will HP Unternehmen in die Lage versetzen, ein breites Portfolio von Public, Private und Managed Cloud Services zu steuern. Auf dieser Grundlage können die Anwender flexibel reagieren und ihre IT-Infrastruktur laufend an neue Anforderungen anpassen.
Ein optimal aufeinander abgestimmtes Nebeneinander von Public, Hybrid und Private Cloud Services ist auch das Ziel von Van Wyk. Zwei Stoßrichtungen hat er zunächst für den virtuellen Datenumzug geplant. Einerseits geht es um Angebote für Mitarbeiter, andererseits um die Generierung weiterer strategischer Vorteile für das Unternehmen. In den kommenden zwölf Monaten sollen insbesondere die Kollaboration und das Mobile Device Management vorangetrieben werden. Für die Mitarbeiter bedeutet dies, dass sie künftig mit ihren privaten iPhones und Laptops arbeiten können (Bring Your Own Device, BYOD). Auf der Unternehmensseite steht die Transformation der Infrastruktur auf der Agenda. Geschäftskritische Anwendungen sollen folgen. Software-as-a-Service (SaaS) und Platform-as-a-Service (PaaS) sollen helfen, die Vorhaben schnell umzusetzen.
Cloud in der internen IT verankern
"Finanzdienstleister beschleunigen die Transformation ihrer IT in Cloud-Betriebsmodelle - und dabei wird ihnen bewusst, dass Technik nur die eine Seite der Medaille ist", kommentiert Peter Jäger, Cheftechnologe für die Finanzdienstleistungsbranche bei HP, die aktuellen Entwicklungen in der Kreditwirtschaft und die Umfrageergebnisse und ergänzt: "Die Cloud-Transformation braucht eine organisatorische Verankerung im Unternehmen, Angebots- und Nachfrageprozesse müssen neu organisiert werden, und die IT-Abteilung muss ihre Rolle teilweise neu definieren."
Neue Aufgaben und Definitionen muss auch ING umsetzen. Die konkrete Umsetzung des Projektes werden etwa 900 ING-Kollegen aus der IT begleiten. Aber auch die Kollegen auf der Business-Seite sind gefragt, denn der Umzug in das Zeitalter des Cloud Computings hat Auswirkungen auf alle Mitarbeiter. "Wir haben ein breit angelegtes Schulungsprogramm mit führenden Anbietern wie HP, IBM, Cisco, VMware und anderen entwickelt", sagt van Wyk, dem es wichtig ist, alle Angestellten von Anfang an als überzeugte Mitreisende zu gewinnen. Sie sollen Schritt für Schritt lernen, sich in den virtuellen Strukturen sicher zu bewegen und auch ihre neuen Rollen zu verstehen. Wichtig ist ihm vor allem, dass das Management eine Vorbildfunktion einnimmt, denn: "Dies ist ein Transformationsprozess, der die gesamte Bank betrifft."
Eine Transformation, die nicht in der Private Cloud endet. Sie ist für Van Wyk nur ein Zwischenstopp auf der Reise. Die nächste Etappe ist bereits eingeläutet. Sie führt in eine Mischwelt aus privater und öffentlich zugänglicher Cloud. Hybride Modelle kombinieren die Vorteile der öffentlichen und der privaten Cloud. So profitieren die Nutzer einerseits vom individuell konfigurierten und hohen Sicherheitsgrad für die Speicherung und den Abruf sensibler Daten. Andererseits können sie auch die flexible Skalierbarkeit der öffentlichen Cloud für die Entwicklung und den Test von Softwareapplikationen nutzen. Bei HP ist man überzeugt, dass sensible Daten in einer zuverlässig gemanagten Cloud sogar sicherer sind als in firmeneigenen Rechenzentren.
Skepsis bei der Public Cloud bleibt
Van Wyk betont, dass er "große Vorsicht" walten lassen will. Eine sorgfältige Analyse soll klären, welche Anwendungen und Services sich besonders für den nächsten Umzug eignen: "Wir werden erst umziehen, wenn wir unseren Kunden und Angestellten in der Hybrid-Wolke und in öffentlichen Cloud-Umgebungen die gleiche Sicherheit bieten können wie in der akzeptierten Private Cloud."
Auf seiner Reise in die Public Cloud sieht sich van Wyk als einen der Schrittmacher der Branche. Innerhalb von fünf Jahren wollen über 80 Prozent der CIOs von Banken und Versicherungen geschäftskritische Bankenanwendungen aus der Public Cloud beziehen - so die HP-Studie. Van Wyk will nichts über das Knie brechen - doch er schätzt, dass er zentrale Services bereits in zwölf bis 24 Monaten in der Public Cloud anbieten wird. Sollten sich zwischenzeitlich Zweifel ergebe, werde er die Fahrt verlangsamen.
"Ich denke, bis wir höchstvertrauliche Daten und Informationen in öffentliche Wolken stellen, muss die Technologie noch verbessert werden. Die Technologie wird sich aber weiterentwickeln, sodass wir eines Tages auf dem Stand sein werden, unsere Services in der Public Cloud abbilden zu können. Wir werden zunächst unsere Erfahrungen sammeln auf der Ebene der Kollaboration und der Infrastruktur, um dann schrittweise immer mehr Systeme in die Wolke auszulagern. Die Reise ist noch lange nicht zu Ende."
Die Unternehmenszahlen der ING Group
Die holländische "Ing Groep" ist in Deutschland vor allem durch die ING-DiBa bekannt. Sie ist jedoch in mehr als 40 Ländern aktiv und rangiert auf Platz 16 der größten europäischen Finanzhäuser.
Unternehmen |
ING Group |
Hauptsitz |
Amsterdam |
Umsatz |
55,8 Milliarden Euro (2011) |
Mitarbeiter |
95.000 |
IT-Mitarbeiter |
11.000 |
CIO |
Steve van Wyk |
Die holländische "Ing Group" ist in Deutschland vor allem durch die ING-DiBa bekannt. Sie ist jedoch in mehr als 40 Ländern aktiv und rangiert auf Platz 16 der größten europäischen Finanzhäuser.