Voice Jahrestagung

Innovation meets IT-Betrieb

17.05.2016 von Rolf Röwekamp
Das CIO-Treffen des Anwendervereins Voice stand unter dem Motto "IT drives Business?! Zum Innovation Leader mit Operational Excellence." Diese Rolle einzunehmen, ist offenbar alles andere als trivial.
  • Rund 100 Teilnehmer trafen sich in Berlin zum 4. Jahrestreffen des CIO-Anwendervereins Voice e.V.
  • Die 350 Voice-Mitgliedsfirmen stehen für 33 Milliarden Euro IT-Budget, für 1,1 Billionen Euro Firmenumsätze und 112.000 IT-Arbeitsplätze
  • Die Vereinigung öffnet sich für den Chief Digital Officer (CDO)
  • CIOs sollten sich nicht nur mit dem Business im eigenen Unternehmen stark vernetzen, sondern auch außerhalb des Unternehmens

Halb Logistikunternehmen und halb Softwarefirma. So bezeichnete Daniel Krauss, CIO des Münchener Fernbus-Unternehmens Flixbus, das von ihm selbst mitgegründete Startup. Für Flixbus ist die Online-Plattform für Netzplanung, Marketing, Ticketing und Vertrieb das Nervensystem des Geschäfts. Die innovative Verbindung eines klassischen Geschäfts mit modernster IT zeigt beispielhaft, wohin die Reise auch für andere Unternehmen gehen wird, wenn sie am Markt bestehen wollen: Die IT wird zum zentralen Wertschöpfungshebel.

CIO und Mitgründer Daniel Krauss des Startups Flixbus brachte mit einigen provokanten Aussagen die Diskussion auf Trab.
Foto: VOICE e.V.

Alteingesessene Unternehmen müssten ihre Organisation ändern, mahnte Krauss. Der CIO besetze eine absolute Kernfunktion für das Business. Er gehöre in den Vorstand oder die Geschäftsführung.

Wer Innovationen treibt, macht sich angreifbar

In der Geschäftsführung zu sitzen allein reicht jedoch nicht. Die CIOs sind es laut Krauss, die neue Geschäftsmodelle vorantreiben müssten. Oft hätten sie es sich aber in ihrer Rolle als Verantwortliche für den laufenden IT-Betrieb ein wenig gemütlich gemacht, weil sie sich dort auskennten. Laut Krauss ist es unbequem, in die Rolle des Innovators zu schlüpfen. CIOs gerieten zwangsläufig unter Druck durch das Business und machten sich angreifbar. Davor scheuen viele CIOs zurück, mutmaßte Krauss.

Nach diesen provokanten Aussagen war natürlich für "gute Laune" unter den rund 100 Teilnehmern auf dem diesjährigen Jahrestreffen der CIO-Anwendervereinigung Voice in Berlin gesorgt. Sogleich meldeten sich lautstark Gegenstimmen. Man habe nun mal viele Legacy-Systeme in den Unternehmen, die weiter betrieben werden müssten. Commodity bleibe ein wichtiger Bestandteil der IT, um den sich der CIO kümmern müsse.

Rund 100 Teilnehmer kamen im April zum diesjährigen Jahrestreffen der CIO-Vereinigung "Voice - Bundesverband der IT-Anwender e.V." nach Berlin.
Foto: VOICE e.V.

Keine Legacy im Unternehmen

Da Flixbus erst vor drei Jahren an den Markt ging, hat Mitgründer Krauss solche Probleme nicht. Legacy-Systeme gibt es keine: Krauss betreibt keine eigene IT, sondern hat alle Systeme in die Public Cloud ausgelagert.

Ein IT-Budget gibt es beim Fernbus-Unternehmen auch nicht. Wenn eine Abteilung Software oder Devices kaufen möchte, dann muss sie das aus ihrem Budget bezahlen. Auch das hielten die meisten Teilnehmer für nicht übertragbar. Wachse Flixbus weiter wie bisher, dann werde das Startup auf die gleichen Herausforderungen treffen wie alteingesessene Unternehmen.

Die Notwendigkeit, einerseits die klassische IT-Rolle weiter möglichst perfekt einzunehmen, andererseits aber zunehmend auch für innovative Impulse zuständig zu sein, setzt den IT-Chefs zu. Das spiegelte auch das Motto des vierten Jahrestreffen von Voice wider: "IT drives Business?! Zum Innovation Leader mit Operational Excellence."

Missverständnisse über Bimodal IT ausgeräumt

Ob diese Quadratur des Kreises wirklich möglich ist, war auch das Thema einer Paneldiskussion, auf der erst einmal Gartner-Analyst Hanns Köhler-Krüner versuchte, ein "Missverständnis" auszuräumen. Es ging um die von Gartner postulierte IT der zwei Geschwindigkeiten, die Bimodal IT.

Dabei gilt Geschwindigkeit 1 (Modus 1) als die IT, die zuverlässige, verfügbare und sichere Systeme bereitstellt. Geschwindigkeit 2 (Modus 2) dagegen steht für die experimentelle und nonlineare IT, die Innovationen treibt.

Michael Müller-Wünsch (vorne), IT-Bereichsvorstand der Otto Einzelgesellschaft, hörte nicht nur zu, sondern moderierte auch.
Foto: VOICE e.V.

Köhler-Krüner betonte ausdrücklich, dass es sich bei Modus 1 nicht um die "schlechte IT" und bei Modus 2 um die "gute IT" handele. Beide Modi seien wichtig, es handele sich nicht um zwei Welten. Aus seiner Sicht wäre es schon ein Erfolg, wenn sich bis zu 30 Prozent der Mitarbeiter die Seiten wechseln und sich um die agile, experimentelle IT kümmern würden.

Fachbereiche müssen auch Geschwindigkeit aufnehmen

Doch damit Unternehmen insgesamt Fahrt aufnehmen in Sachen digitaler Transformation und agiler werden, bedarf es nicht nur einer aufgeschlossenen IT-Mannschaft. Auch die Fachbereiche müssen sich bewegen was offenbar längst nicht immer der Fall ist. Ein CIO forderte seine Kollegen auf, Selbstbewusstsein zu zeigen und sich nicht immer schlecht reden zu lassen und sich nicht selbst schlecht zu reden. Das müsse aufhören.

Historisch gewachsene Legacy-Systeme schleppt fast jeder Konzern mit sich herum, daran lässt sich wohl auch kaum etwas ändern. "Das Fundament für Innovationen und einen funktionierenden Geschäftsbetrieb ist Operational Excellence", brachte es Thomas Endres, Vorsitzender des Voice-Präsidiums, auf den Punkt. Auf den "Doppelpass zwischen Innovation und Operational Excellence" komme es an.

Voice steht für 33 Milliarden Euro IT-Budget

Stolze Zahlen hatte Endres mit nach Berlin gebracht: Die rund 350 Mitgliedsfirmen stehen für 33 Milliarden Euro IT-Budget, Firmenumsätze von 1,1 Billionen Euro und für 112.000 IT-Arbeitsplätze. Von diesen 350 Unternehmen arbeiteten gut 1000 CIOs und Fachverantwortliche in Special Interest Groups und Roundtables mit.

Im vergangenen Jahr verstärkte Voice die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Dazu zählen unter anderem das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das LKA Nordrhein-Westfalen, die Gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung des Forschungstransfers e.V. und die CeBIT. "Unsere Kooperationen entwickeln sich mit großer Kraft weiter", sagte Endres.

Voice rückt näher an politische Prozesse

Auch auf politischer Ebene hat sich einiges getan. So nahm Voice beispielsweise auf EU-Ebene an Anhörungen zum Privacy-Shield-Abkommen teil. "Voice wird stärker wahrgenommen und aktiv angefragt. Wir sind näher an politische Prozesse herangerückt", freute sich Endres.

CIO Joachim Reichel von BSH Hausgeräte sprach über Veränderungsmanagement in der Digitalisierung und schilderte dafür Projekte aus seinem Unternehmen.
Foto: VOICE e.V.

Zu den inhaltlichen Highlights zählte 2015 die erstmalige Umfrage unter den Mitgliedern zur "CIO Agenda 2016", deren Ergebnisse zum Teil deutlich von den Trendstudien der großen Berater abwichen. Das liegt vermutlich darin begründet, dass CIOs einen realistischen Blick auf die Praxis haben und sich nicht von Vermarktungswünschen ablenken lassen. So zählen zu den drei Top-Prioritären der Voice-Mitglieder IT-Availability, Digital Security und Enterprise Collaboration Systems.

Software-Asset-Management-Studie

Ebenfalls zum ersten Mal führt Voice eine Software-Asset-Management-Studie durch, die auf die Situation der IT-Anwender bezüglich ihrer Softwarelizenzverträge einging. Daraus entwickelte der Verband ein Phasenmodell und eine Checkliste für künftige Audits, um bei dem leidigen Thema die Ausgangsposition gegenüber Anbietern zu verbessern. Die Mehrzahl der Anbieter schnitt auf einer Bewertungsskala von 10 (absolut zufrieden) bis 0 (vollkommen unzufrieden) bei ihren Lizenzpraktiken mit lediglich 3 bis 4 Indexpunkten ab.

Auch in diesem Jahr will sich der Verband sowohl den operativen Themen als auch den Herausforderungen durch die digitale Transformation widmen. "In den kommenden zwölf Monaten werden wir vor allem drei große Themen verfolgen: Operational Excellence, Innovation und Security", sagte Endres.

Voice-CIO Service GmbH gegründet

Die Services für Voice-Mitglieder sollen ebenfalls ausgebaut werden. Dafür hat die Anwendervereinigung Mitte 2015 die Voice-CIO Service GmbH gegründet, in der sie Angebote wie Benchmarking, das Cyber Security Competence Center und die Special Interest Groups bündelt. Künftig soll die Service GmbH auch verstärkt Schulungen und Ausbildungen anbieten. Während das Servicevolumen innerhalb von zwei Jahren um mehr als 40 Prozent stieg, wuchs der Umsatz mit Services in den vergangenen 18 Monaten um 50 Prozent.

Außerdem will Voice neben den schon vier bestehenden Regionalgruppen (Ostwestfalen Lippe, Nordbayern, Ost sowie Nord und West) weitere fünf Regionalgruppen aufbauen: Rhein-Main, Rhein-Neckar, Stuttgart sowie Berlin und München.

Professor Manfred Hill (rechts), Leiter des Forschungslabor Neurorobotik an der Beuth-Hochschule für Technik Berlin, stellte mit seinen Studenten den weltweit ersten humanoiden Roboter "Myon" vor.
Foto: VOICE e.V.

Besonders brisant: Der Voice hat auch beschlossen, sich gegenüber Chief Digital Officers (CDOs) zu öffnen. Die CIO-Vertretung begründet diesen Schritt damit, dass CDOs durch die Innovationsthemen wie digitale Geschäftsmodelle, digitale Services und digital Produkte stark in den Fokus der IT rücken.

CIOs sollen sich überallhin vernetzen

Noch besser wäre es, wenn sich CIOs allen Bereichen und Fachabteilungen stärker öffnen würden, da waren sich die Teilnehmer einig. Denn nur der CIO wird gewinnen, der im eigenen Unternehmen optimal mit dem Business vernetzt ist. CIO Daniel Krauss von Flixbus setzte noch ein drauf: Gute CIOs seien nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern auch außerhalb sehr stark vernetzt.

Voice e.V. | Das Präsidium

In diesem Jahr standen keine Neuwahlen des Präsidiums an. Allerdings wählten die Mitglieder Michael Müller-Wünsch, IT-Bereichsvorstand bei der Otto Einzelgesellschaft, neu ins Präsidium. Er rückt für Hilko Heuer nach, der das Präsidium auf eigenen Wunsch verlassen hat.

Die weiteren Mitglieder sind:

Matthias Behrens, Interims-CIO

Thomas Endres, Vorsitzender des Präsidiums und Vorstand von Voice, Verband der IT-Anwender e.V. und Mitglied im Board of Directors der European CIO Association

Constantin Kontargyris, ehemaliger CIO TÜV Rheinland

Hans-Joachim Popp, CIO des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt

Andreas Rebetzky, CIO der Sto Gruppe

Thomas Rössler, CIO der Stadtwerke Gießen

Joachim J. Reichel, CIO BSH Hausgeräte

Ralf Schneider, Group CIO der Allianz Group

Karsten Vor, CIO der Friedhelm Loh Group