Heinz-Paul Bonn spricht gern in Bildern: "Mittelständler sind wie Segelflieger", sagt der Vorsitzende des Bitkom-Forums Mittelstand und Vorstandschef der GUS Group, eines mittelständischen Software- und Beratungshauses aus Köln. "Unternehmer vom alten Schrot und Korn sind es gewohnt, sich auf das eigene Urteil zu verlassen, Auf- und Abwinde sowie Turbulenzen instinktiv zu erkennen und unkalkulierbare Risiken zu vermeiden."
Instinkt reicht indes nicht mehr, um ein Unternehmen auf Kurs zu halten. Die Globalisierung der Waren- und Dienstleistungsströme hat zu einer Geschwindigkeit und zu strategischen Sichtverhältnissen im Business geführt, an die sich die häufig patriarchalisch von ihren Inhabern geführten Unternehmen mit 20 bis 1000 Mitarbeitern noch nicht gewöhnt haben. Bonn zieht daraus den Schluss: "Der Mittelstand muss sich mit IT fit machen für den Instrumentenflug, um die viel schwieriger gewordenen Marktbedingungen bewältigen zu können."
IDC: Zurückhaltung in Deutschland
Vielen der Unternehmen stünde damit der große Sprung bevor, auf den die IT-Branche hofft. Sie müssen ihre alten IT-Lösungen, die nicht selten noch den Portfolios längst verschiedener Anbieter wie Nixdorf entstammen oder im engagierten Eigenbau entstanden sind, ersetzen beziehungsweise in moderne IT-Landschaften und betriebswirtschaftliche Branchenlösungen integrieren.
Allzu optimistisch sollten die Dienstleister jedoch nicht sein. Francesco Muratori, auf Small and Medium Sized Businesses spezialisierter IDC-Analyst, erwartet vielmehr eine weiterhin "sehr vorsichtige Zuteilung von Budgetmitteln auf IT-Produkte und -Services". Die Häfte der gut 1200 von IDC befragten kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Holland wollen ihre IT-Budgets kurzfristig nicht erhöhen; ein Fünftel plant laut Umfrage sogar Kürzungen (siehe "IT-Ausgabenpläne"). Besonders pessimistisch ist Muratori mit Blick auf Deutschland und Frankreich, weil hier die volkswirtschaftliche Situation noch schlechter sei als in den anderen untersuchten Ländern.
Die Geschäfte im Mittelstand gehen schlecht (siehe "Umsatzerwartungen"), die Pleiten häufen sich. Nicht nur der dadurch diktierte Sparzwang lässt IT-Dienstleister oft vergeblich an der Mittelstandstür rütteln. Die Hardware-, Software- und Service-Companies agieren zudem nicht zielgruppengerecht, was bedeutet, dass sie nicht die richtigen Produkte zu den richtigen Preisen anbieten. "Unsere Value Proposition für den Mittelstand ist unklar", räumt Hans-Jürgen Gallmann, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland, ein. "Da müssen wir noch an uns arbeiten." Bonn drückt es drastischer aus: "Viele Dienstleister machen den Fehler, eine Boeing 747 bunt anzumalen und sie dann denen anzudienen, die vorher ein Segelflugzeug pilotiert haben", so der Flugfreund. "Aber Air Mittelstand braucht keinen Jumbo; der ist viel zu teuer."
Klagen über zu hohe Preise
Defizite auf Anbieterseite sieht Bonn vor allem im Beratungsgeschäft. Alle großen Häuser hätten den Mittelstand zwar als Zielgruppe entdeckt, aber die Versuche, die Unternehmen adäquat zu erreichen, seien "teils zu kurz geschossen", so der Bitkom-Mann. Er hat beobachtet: "Es herrschen noch alte Bezahlformen vor, die den Mittelstand überfordern." Softwarelizenzen zu Fixpreisen hält er nicht mehr für zeitgemäß; gefragt seien auf Dauer nutzungsabhängig bezahlte Programme. Das IBM-Angebot "E-Business on demand" geht für ihn in die richtige Richtung.
Dieser Analyse schließt sich auch Elisabeth Slapio an, Geschäftsführerin des Bereichs Informations- und Kommunikationstechnik der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Bei der Beratung von Mittelständlern höre sie immer wieder Klagen über zu hohe Preise, und ein Negativerlebnis aus eigener Erfahrung kann sie auch beitragen: "Der IHK wurde ein Content-Management-System für eine halbe Million Euro angeboten; so etwas ist absurd." Eine Techconsult-Studie im Auftrag von IBM und des Wirtschaftsmagazins Impulse, bei der das Mittelstandsverhalten in puncto E-Business abgefragt wurde, weist in dieselbe Richtung: 26 Prozent der 152 befragten Unternehmen nannten zu hohe Gesamtkosten als Argument gegen E-Business-Aktivitäten; und für 17 Prozent der Teilnehmer war bereits die Implementierung zu teuer.
Kritik an zu hohen Kosten bezieht sich meist auf die Dickschiffe der Unternehmens-IT, die ERP-Lösungen. Laut Techconsult setzen 55 Prozent von 942 Unternehmen bereits eine betriebswirtschaftliche Komplettlösung ein oder planen das. Auf letztere und auf die verbleibenden 45 Prozent, die noch unwillig sind, lauern die Anbieter - von SAP und Oracle über Navision und Brain bis hin zu Sage KHK. Bis 2005, darin sind sich verschiedene Marktforschungsinstitute einig, wird die Einführung von ERP-Paketen das meistdiskutierte IT-Mittelstandsthema sein (siehe "Einsatz von ERP-Lösungen").
Bonn hat nach eigenen Worten zwar "Hochachtung" vor SAP und glaubt, dass die über Partner vertriebene Software Business One ein "brauchbarer Ansatz" sei. "Die Bereitschaft von SAP zu Anpassungen an den Mittelstand ist vorhanden." Aber die Technologie des ERP-Riesen deckt Fachleuten zufolge lediglich den Bereich zwischen 10 und 20 Mitarbeitern adäquat ab. Oberhalb davon empfiehlt das Walldorfer Unternehmen seinen Kunden, in die große My-SAP-Welt zu wechseln. My SAP hat jedoch aus Kosten- und Komplexitätsgründen Probleme, sich für Kunden mit weniger als 70 ERPArbeitsplätzen glaubhaft zu positionieren. In dieser Lücke sind eher die Microsoft-Tochter Navision und das holländische Unternehmen Baan heimisch; Oracle und Peoplesoft versuchen hier noch Fuß zu fassen.
Produzierende Unternehmen bei ERP vorn
Website-Implementierungen seien zwar weit verbreitet, so die Analysten. Der Einsatz beschränke sich jedoch auf wenige Basisfunktionen. Nur in wenigen kundenorientierten Marktsegmenten, vorwiegend im Finanzgewerbe, böten die Onlineauftritte anspruchsvollere Funktionen wie Onlinekundenbetreuung mit Callcenter-Integration in nennenswerter Zahl. ERP-Lösungen, bei IDC definiert durch die Integration von mindestens zwei Anwendungen in einem Paket, kommen der Untersuchung zufolge derzeit am häufigsten im produzierenden Gewerbe vor; nur vorsichtig zögen die anderen vertikalen Segmente nach. Als relativ breit akzeptiert klassifizieren die Marktforscher kooperationsunterstützende Techniken ("Collaborative Technology"), also vor allem E-Mail-basierte Workflow-Lösungen. Datenbanken und Data Warehouses seien bei gut der Hälfte der befragten Unternehmen im Einsatz; rund 85 Prozent aller IDC-Probanden gaben an, irgendeine Form von Datensicherheitstechnik zu nutzen.
"Geld ist da", gibt sich IHK-Beraterin Slapio überzeugt, "jedoch oft nicht genügend Fachkompetenz, um die richtige IT einzukaufen." In kleinen Firmen sei oft eine "IT-Gurkentruppe" für alles zuständig. Sie bescheinigt den Leidgeprüften "hohe Verantwortlichkeit, aber keine Spezialisierung und vor allem ständige Überlastung".
Ein "massives IT-Know-how-Defizit" und daraus entstehende Wettbewerbsnachteile bei kleinen und mittleren gegenüber großen Unternehmen sieht auch Sigram Schindler, Vorsitzender der Initiative "Mittelstand online" im Eco Electronic Commerce Forum, dem Verband der deutschen Internetwirtschaft. Der Anteil von IT-Kräften an der Gesamtzahl der Beschäftigten, den Eco als Indikator heranzieht, war einer Umfrage von 2001 zufolge seinerzeit um den Faktor 2,6 niedriger als bei Großkonzernen, die durch Skaleneffekte zusätzlich einen Produktivitätsvorteil von 30 Prozent genössen. Insgesamt habe das IT-Defizit im Mittelstand damit sogar beim Faktor 3,5 gelegen, so Schindler (siehe "IT-Kompetenz").
Sicher ist: Das Problem besteht nicht nur in der Zahl der IT-Professionals. Wenn sich die IT-Branche nicht auf den speziellen Produkt-, Dienstleistungs- und Finanzierungsbedarf kleiner und mittelgroßer Unternehmen einstellt, wächst die Gefahr, dass diese es im IT-Blindflug nicht mehr aus den wirtschaftlichen Turbulenzen herausschaffen.