Uwe Trittin kann so schnell nichts erschüttern. "Das einzig Gute an der Bankenkrise ist, dass "Geiz ist geil" plötzlich keine Rolle mehr spielt", sagt der Niederlassungsleiter Deutschland von Cortal Consors. Der Verbraucher habe das ständige Vergleichen von Preisen und Konditionen aufgegeben und poche wieder auf eine ganz alte Tugend im Finanzgeschäft: Vertrauen.
Damit ist die Diskussion um das Banking der Zukunft mitten im Thema angekommen: Was will der Kunde? Oder, wie es Christian Reichmayr, Head of Department Products and Services Online Management bei der DAB Bank, mit Blick auf moderne Vertriebswege ausdrückt: "Wie lassen sich aus dem gesellschaftlichen Trend zu sozialen Netzwerken Geschäftsmodelle entwickeln?"
Zwar übertrumpfen sich einzelne Banken mit Ankündigungen virtueller Filialen und diverser Online-Tools. Doch von etablierten Best Practices ist die Branche weit entfernt. Fest steht nur: "Institute, die das Online-Banking nicht als elementaren Bankservice ernst nehmen, werden auf Dauer nicht bestehen", wie Michael Heinen, Bereichsleiter Direct Banking bei der Postbank, sagt. Ziel ist, Routine-Tätigkeiten auf den Verbraucher zu verlagern, um die Mitarbeiter zu entlasten und ihnen mehr Kapazität für die beratungsintensiven, umsatzstarken Kunden zu schaffen.
Allerdings hat gerade die Finanzbranche Nachholbedarf, wie Irmgard Glasmacher, Executive Partner Management Consulting bei Accenture, beobachtet. Banken nutzen das Web als aktiven Vertriebsweg deutlich weniger als etwa Telekommunikations-Unternehmen.
Für Bernd Skiera, Professor für Electronic Commerce an der Frankfurter Universität, löst sich die Grenze zwischen virtueller und realer Welt auf. Das zeigt sich daran, wie die Verbraucher kommunizieren: "Am stärksten vertrauen Web-Nutzer den Usern, die sie persönlich kennen", erklärt er. Wie Banken bei dieser Kommunikation mitmischen können, das ist für Beraterin Glasmacher der Dreh- und Angelpunkt.
Eine Möglichkeit: Chats auf dem eigenen Web-Auftritt. Glasmacher rät, auch negative Beurteilungen durch Kunden publik zu machen, darauf zu antworten und zur Diskussion zu stellen. Dadurch gewinne der Chat den Charakter einer fairen Plattform. Glasmacher: "Das schafft Vertrauen." Postbank-Manager Heinen fragt sich allerdings nach dem Aufwand, der mit einem solchen Instrument verbunden ist. Muss man die Einträge kontrollieren und gegebenenfalls eingreifen? Uwe Trittin grinst. Seine Erfahrungen mit dem Kunden-Chat reichen "von … bis", so der Cortal-Consors-Manager vielsagend.
Der Bedarf an BI-Lösungen steigt
Doch die menschliche Seite ist nur eine Seite des Themas. Die andere ist die technologische. Für Irmgard Glasmacher besteht die Herausforderung darin, die virtuelle Filiale in ein Multi-Kanal-Konzept einzubauen. "Denn der Kunde springt", erklärt sie. "Mal begibt er sich auf den Weg in die physische Filiale, ein anderes Mal nutzt er die Möglichkeit des Online-Bankings in der virtuellen Filiale." Was für den Kunden die gleiche Transaktion ist, sind in den Unternehmen verschiedene Vertriebswege - häufig technisch voneinander isoliert. Michael Heinen von der Postbank seufzt. "Oft liegt das Problem nicht in der Technik, sondern in der Weltanschauung der Beteiligten", sagt er. Die Angestellten der - meist konkurrierenden - Vertriebskanäle müssten eben auch bereit sein, zusammenzuarbeiten.
Und nicht nur das. Sie müssen grundsätzlich bereit sein, die IT-Lösungen zu nutzen. Business Intelligence zum Beispiel ist ein Bereich, der nach Einschätzung von Accenture-Managerin Glasmacher wachsen dürfte. Hintergrund ist die Notwendigkeit, Online-Aktivitäten passgenau auf die einzelnen Zielgruppen zuzuschneiden. Je nach deren Bedürfnissen sollte hier ein Gewinnspiel live geschaltet werden, dort ein Podcast. Dafür brauchen die Entscheider Analyse-Tools. "In diesen Bereich haben Banken unterproportional investiert", stellt Glasmacher fest. Sie geht davon aus, dass sich das ändert, wenn die Mitarbeiter geschult werden und der Mehrwert der Anwendungen für sie erkennbar ist.
In diesem Punkt vertritt Christian Reichmayr von der DAB Bank eine klare Position. "Die IT kann keine Usability herstellen. Dies geht nur in Kooperation mit den Fachabteilungen“, sagt er. Stichwort Benutzerfreundlichkeit: Professor Bernd Skiera rät, die User einzubinden, ob es nun um Software für Mitarbeiter oder Endverbraucher geht. Sein Tipp: Beta-Versionen ausgeben, testen lassen und weiterentwickeln.
Nutzer nicht überfordern
Was die Anwendungen betrifft, mit denen die Endverbraucher arbeiten sollen, stellt Postbank-Manager Michael Heinen klar: "In einer immer komplexeren Welt dürfen Nutzer weniger denn je überfordert werden. Anwendungen müssen möglichst selbsterklärend sein." Und was für Kunden gilt, sollte auch für interne Mitarbeiter gelten.
Uwe Trittin will diese Diskussion umdrehen: Für ihn lautet die Frage nicht, wie man die Menschen ins Internet bringt - sondern das Netz an die Menschen. Konkret: Das Institut nimmt die Schulung der Endverbraucher selbst in die Hand. Unter dem Titel "Cortal Consors on Tour" hat die Bank eine Seminarreihe gestartet und Kunden den Umgang mit Online-Banking gezeigt. In den Filialen in Nürnberg und Berlin werden Trainings und Schulungen angeboten, in denen die Verbraucher die Online-Tools ausprobieren können. Weitere solcher Filialen sind geplant.
Wie lernfähig private Endverbraucher grundsätzlich sind, das zeigt aus Sicht von Professor Bernd Skiera das Erfolgsbeispiel Ebay. "Dabei ist das gar nicht so einfach", gibt er zu bedenken. "Man muss Fotos von der Ware machen, die man anbietet, dazu muss man den Auktionsmechanismus verstehen, und so weiter." Und doch funktioniert es, weil sich die Nutzer den Vorgang einfach gegenseitig gezeigt haben. Skieras Vorschlag: Banken könnten Kunden dafür belohnen, wenn sie Web-User anwerben.
Doch ob Applikationen für intern oder extern - im Hintergrund schwelt ein ungelöster Konflikt zwischen Marketing/Vertrieb einerseits und IT andererseits. Wie Uwe Trittin berichtet, musste sein IT-Chef drei Jahre lang davon überzeugt werden, dass ein Online-Girokonto strategisch notwendig ist, obwohl damit nicht das große Geld verdient wird. Der Cortal-Consors-Manager versteht den Etatdruck, der auf einem CIO lastet. Schließlich muss der sich die Frage stellen, wer welche Erträge bringt, und daran seine Prioritäten ausrichten.
Und genau da meldet Accenture-Managerin Glasmacher Kritik an. Zu wenig Banken messen Absatzzahlen und Erfolgsquoten ihrer E-Commerce-Aktivitäten, sagt sie und plädiert für mehr Investitionen. Denn deren Höhe korreliert mit der Nutzung der Online-Angebote einer Bank.
Das Beste aus zwei Welten
Die Verständigungsprobleme mit der IT sind aber nicht unüberwindbar. Wer die verschiedenen Player an einen Tisch holt, leistet "Übersetzungsarbeit", wie es Michael Heinen ausdrückt, und kann den Konflikt damit zumindest abmildern. Das ist offenbar verstanden worden: Sowohl Cortal Consors als auch DAB und Postbank haben abteilungsübergreifende Teams aus business-affinen IT-Kräften und den Fachabteilungen gebildet. Alle drei bescheinigen gute Erfahrungen.
Doch bei aller Technologie werden Banken die klassische Filiale nicht vernachlässigen, so der Branchenkompass 2008 Kreditinstitute von Steria Mummert Consulting und dem FAZ-Institut. Glaubt man den Analysten, werden bald Polstermöbel und Café-Ecken in den Filialen zu finden sein, schließlich sollen dort die beratungsintensiven Kunden umworben werden. Und: Wie das Beispiel USA und sein Übergreifen auf Europa zeigen, kann niemand vorhersehen, welche Krisen die Finanzwelt und die Verbraucher künftig noch erschüttern. "In solchen sensiblen Zeiten wollen Menschen mit einem Menschen sprechen", sagt Postbank-Manager Michael Heinen.
Uwe Trittin von Cortal Consors nickt. Wenn die Kunden in Panik geraten, könne das nicht über Statements auf der Homepage aufgefangen werden, stellt er klar. Sein Motto für die Zukunft: "Wenn mir einer sagt, die Filiale bleibe am wichtigsten, dann antworte ich mit einem "Ja, aber". Ich will das Beste aus zwei Welten: Online-Banking mit dem persönlichen Touch der Retail-Bank."