Die Digitalisierung der Medizin eröffnet im E-Health komplett neue Möglichkeiten der Behandlungen: So erschließen Firmen wie Brainlab im digitalen OP bislang unbekannte Möglichkeiten der Gehirnchirurgie. OP-Roboter erlauben die Durchführung von remoten Operation, wo der Spezialist nicht mehr vor Ort erforderlich ist. Andere wiederum wie Roche Pharma stoßen mit KI-Unterstützung neue Weg in der personalisierten Krebsmedizin an. Und last, but not least ist die Flut an unterschiedlichen neuen Medizin-Devices und -Apps nicht zu vergessen.
Das E-Health-Potenzial
Doch alle diese Fortschritte können über eines nicht hinwegtäuschen: Szenarien, in denen beispielsweise mehrere Medizingeräte während der Operation zentral bedient, oder Analyse-Ergebnisse und Befunde auf dem OP-Monitor abgerufen werden, waren bisher ohne zusätzliche Hardware nicht möglich. So ist es etwa für schnelle und richtige Entscheidungen am medizinischen Arbeitsplatz unerlässlich, Befunde, die Patientenanamnese, Vitaldaten oder die Patientenkurve immer genau dort auf den Bildschirm holen zu können, wo der Kliniker sie benötigt.
Ähnlich nützliche Dienste kann die neue Digitaltechnik SDC (Service-Oriented Device Connectivity) beim Alarm-Management leisten; etwa um das Signal eines Beatmungsgeräts von außen im Isolationszimmer zu quittieren oder den Beatmungsgerätealarm im entfernten Patientenzimmer zu empfangen. Studien unterstreichen den positiven Effekt von Gesundheitsinformationstechnologie als Überbegriff vernetzter Systeme auf dasPatienten-Outcome und warnen sogar vor negativen Auswirkungen auf die Patientensicherheit bei fehlender Vernetzung. Auch monetär soll sich SDC für den Krankenhaussektor lohnen: Die Non-Profit Organisation West Health Institute prognostiziert Einsparungen von über 30 Milliarden Dollar pro Jahr durch funktionell interoperable Medizingeräte - und das allein im US-Gesundheitssystem.
SDC - Einheitlicher E-Health-Datenaustausch
Der elektronische Datenverkehr im OP und auf der Intensivstation wird jedoch durch einen Flickenteppich unterschiedlicher Systeme und Datenprotokolle erschwert: Um ein Datenpaket von einem E-Health-System in die Infrastruktur eines anderen transportieren zu können, mussten bisher erst die Schnittstellen aufwendig programmiert werden. Das Risiko von Störungen oder Ausfällen lag meistens beim Betreiber. Heterogene IT-Lösungen erschwerten zudem den sicheren Betrieb und erhöhten den Aufwand für die Administration und das Einbinden der Medizintechnik in die IT-Landschaften der Kliniken.
Wie komplex sich die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Geräten - etwa auf einer Intensivstation - gestaltet, wird an einem einfachen Beispiel deutlich: Um Messwerte eines Pulsoximeters über das IT-Netzwerk eines Krankenhauses transportieren zu können, müssen sie zunächst kodiert werden. Dazu verwendete bisher jeder Hersteller seine eigenen Codes. Mit einem Pulsoximeter an Gerät A ermittelte Werte der Sauerstoffsättigung konnten somit auf dem Bildschirm von Gerät B nicht angezeigt werden.
Mit IEEE 11073 SDC (Service-oriented Device Connectivity) wurde nun ein Protokoll für einen einheitlichen Code für den Datenaustausch im E-Health-Bereich entwickelt. Die SDC-Standardfamilie macht es möglich, Geräte fernzusteuern und neue Funktionen zu generieren, ähnlich wie bei Industrie-4.0-Ansätzen basierend auf OPC-UA (Open Plattform Communications (OPC) United Architecture).
Letztlich erlaubt SDC den Aufbau einer Service-orientierten Netzwerkarchitektur für den Datenaustausch auf mehreren Ebenen. Klinische Abläufe können so automatisiert und das Alarm-Management optimiert werden. Ein weiterer Vorteil liegt in der erhöhten Sicherheit durch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der übertragenen Daten.
E-Health-Geräte als Service-Anbieter
Der SDC-Standard folgt der Idee der Service-Oriented-Architecture (SOA) oder - auf Kliniken bezogen - einer Service-Oriented-Medical-Device-Architecture (SOMDA). Die SOA organisiert ein IT-System so, dass Geräte-Applikationen wie Diensteanbieter funktionieren und auch untereinander kommunizieren können. Das SDC-Protokoll ist aus mehreren Schichten aufgebaut.
In der ersten Schicht ganz unten bildet DPWS (Devices Profile for Web Services) die Kommunikationsebene mit dem darauf aufbauenden Medical Devices Profile for Web Services (MDPWS). Diese Protokollbestandteile ermöglichen es, dass Geräte Dienste in einem IP-basierten Netzwerk bereitstellen oder abrufen können.
In der Schicht darüber befindet sich mit der Basic Integrated Clinical Protocol Specification (BICEPS) der Hauptbestandteil des SDC-Protokolls. Mit Hilfe dieser Spezifikation tauschen E-Health-Geräte auf Applikationsebene Informationen aus - dadurch entsteht die gewünschte Interoperabilität, die in der Vergangenheit teuer durch Zusatzhardware erkauft werden musste.
So kann sich der Arzt beispielsweise den PEEP (positive end-exspiratory pressure) eines Beatmungsgeräts, ein Parameter bei der künstlichen Beatmung, sowohl am Gerätebildschirm als auch an einem entfernt eingesetzten Vitaldatenmonitor anzeigen lassen. Oder der Messwert eines Pulsoximeters kann nicht nur an einem Patientenmonitor, sondern auch am Bildschirm des Anästhesiegeräts ausgegeben werden.
SDC - Kompatibel zu bestehenden Standards
Neben einer nahtlosen Vernetzung der Geräte untereinander erlaubt SDC auch, die Brücke zu klinischen Informationssystemen basierend auf HL7 v2 oder HL7 FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) zu schlagen. Diese dienen vor allem zur Datenverarbeitung von den Geräten im klinikweiten Informationssystem (KIS) oder Patientendaten-Management-Systemen (PDMS).
Um dies zu ermöglichen, wird ein Übersetzungs-Gateway benötigt, welches die Daten zu den klinikeigenen Datenservern durchroutet. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch die Anbindung an Cloud-basierte klinische Informationssysteme. Auf dieser Grundlage ist der bidirektionale Datenaustausch zwischen Medizingerät und beispielsweise dem KIS (Krankenhausinformationssystem) möglich.
SDC wird den nahtlosen Datenaustausch im OP und auf der Intensivstation ermöglichen und so klinische Entscheidungen deutlich vereinfachen. Zudem wird die Standardfamilie neue Funktionen ermöglichen und dadurch die Arbeitsweise der Klinikteams verändern. Patienten profitieren unter dem Strich von rascheren und umfassenderen Diagnosemöglichkeiten und verlässlicheren Entscheidungen.