Fünf Jahre sei man der Konkurrenz voraus - so tönte Apple-Chef Steve Jobs vollmundig bei der Vorstellung des ersten iPhone. Das war vor drei Jahren. Und heute? Der ungebremste iPhone-Erfolg sorgte im letzten Jahr dafür, dass sich die großen Hersteller von Mobiltelefonen alle Mühe geben, diese Zeitspanne zu verkürzen. Ob von Nokia, Samsung, LG, Motorola oder HTC - inzwischen kommt kein Smartphone mehr ohne Touchscreen aus. Und die Ähnlichkeit sämtlicher Neuerscheinungen mit Apples iPhone ist geradezu erstaunlich. Bislang allerdings bestehen all die vielen "iPhone-Killer" in mehr oder minder hastig zusammengeschusterten Nachahmern ohne eigene Ideen. Das könnte sich 2010 ändern.
Wie dramatisch der Einstieg von Apple in den Smartphone-Markt für die etablierten Hersteller ausgefallen ist, zeigen die aktuellen Marktzahlen. Weltweit kommt Apple laut Marktforscher Gartner inzwischen hinter Nokia (39 Prozent) und RIM (20 Prozent) auf Platz drei (147 Prozent). Noch dramatischer aber ist für alle beteiligten Firmen, dass Apple im letzten Quartal allein mit dem iPhone mehr Gewinn gemacht hat als Nokia mit allen Mobiltelefonen zusammen - von allen anderen Handy-Herstellern ganz zu schweigen.
Kein Wunder also, dass dieser boomende und sehr lukrative Markt in diesem Jahr wohl eher einem Schlachtfeld gleichen wird. Dabei geht es nicht nur um viel Geld und wichtiges Markenprestige, es geht vor allem um die Zukunft in einem Bereich, der von vielen als ebenso wichtig empfunden wird wie das Aufkommen des PC. Tatsächlich ist das Smartphone à la Apple mehr ein Taschen-Computer als ein Telefon - wer dieses Segment beherrscht, sichert sich eine zentrale Stellung für die weitere IT-Zukunft im 21. Jahrhundert.
Anders als vor 30 Jahren sind es allerdings keine Newcomer aus der Garage, sondern etablierte Firmen mit mehr oder weniger gefüllten Kassen, die um einen Platz im IT-Himmel rangeln. Nokia, Samsung, Motorola, LG und HTC sind schon lange im Geschäft - lediglich Palm, Apple und natürlich Google sind Quereinsteiger. Alle Hersteller werden im neuen Jahr eine Fülle neuer Geräte auf den Markt bringen und sich mit viel Werbegetöse gegenseitig die Kundschaft streitig machen.
Dass es inzwischen weniger um die Hard- als um die Software geht, haben ebenfalls alle verstanden. Das iPhone als reines Softwareprodukt hat es allen vorgemacht - und so sind es inzwischen die Eigenschaften der Smartphonesoftware, die den Ausschlag geben. Google hat dies zuerst verstanden und beschränkt sich weitgehend auf die Programmierung des hauseigenen Android-Systems. Auch Microsoft, mit Windows-Mobile mittlerweile weit abgeschlagen, will seine Plattform wieder nach vorne bringen und arbeitet an der nächsten Version, die 2010 kommen und wie das iPhone-OS voll Multitouch unterstützen soll. Daneben entwickelt Nokia gleich an zwei Betriebssystemen für Smartphones, Palm verfügt ebenso wie RIM mit dem Blackberry über eine eigene Plattform. Neben dem besseren System zeigt das iPhone aber noch einen Punkt, wo sich die Zukunft der Plattformen entscheiden wird: die Anwendungssoftware.
Mit dem App-Konzept und dem zugehörigen App-Store hat Apple im letzten Jahr einen unglaublichen Erfolg gehabt. Über 100 000 Apps gibt es inzwischen für das iPhone, rund ein Zehntel so viele gibt es für Android. Auch Microsoft, Nokia und RIM haben inzwischen ein ähnliches Konzept wie Apple aufgesetzt, sind aber ebenfalls weit von der App-Store-Fülle entfernt.
Ein ähnlich umfassendes Angebot wie Apple, das neben den Apps auch noch Musik und Videos als Download bietet, kann kein anderer Hersteller vorweisen.
Die Konkurrenz holt auf
Auch wenn Apple in Sachen Systemsoftware, Apps und Service die Nase noch weit vorne hat, wird dies nicht ewig so bleiben. Nokia bietet inzwischen Handys mit einer Musik-Flatrate an. Auch wenn dieses, hauptsächlich wegen der DRM-Problematik, noch nicht so überschwänglich angenommen wird, ein Anfang ist bei Nokia gemacht. Google hat mit einer kostenlosen Navigationslösung für das Droid-Handy von Motorola ebenfalls einen Trumpf im Ärmel. Turn-by-turn-Navigation ist am iPhone noch recht teuer. So werden in Zukunft neben System und Software auch die Dienste immer wichtiger werden, auf die man mit der Plattform seiner Wahl zugreifen kann.
Apple hat darauf im letzten Jahr reagiert und die Firmen Placebase und Lala gekauft (siehe Kasten). Mit beiden Aquisitionen könnten schon dieses Jahr neue iPhone-Dienste Realität werden.
iPhone-OS 4
Neben den Diensten wird auch die Weiterentwicklung des iPhone-Betriebssystems eine zentrale Rolle bei Apple spielen. Einige Punkte gibt es inzwischen, die Apple gegenüber der Konkurrenz verbessern muss, um den anderen keine Blöße zu geben. So punkten andere Mobilplattformen wie Android mit "echten" Hintergrundprozessen - eine Möglichkeit, die sich auch viele iPhone-Entwickler wünschen. Eher für die Anwender interessant wäre eine breitere Unterstützung von Bluetooth, etwa zum Synchronisieren oder für den Anschluss einer Tastatur. Ebenfalls oben auf der Wunschliste steht drahtloser Datenabgleich mit dem Mac oder PC. Zwar ist die Synchronisierung über iTunes beispielhaft einfach gelöst, dass man aber jedes Mal das iPhone per Kabel an Mac oder PC anschließen muss, ist kaum mehr zeitgemäß.
Auch ein "Luxus-Problem" verglichen mit der Konkurrenz wird Apple im neuen Jahr adressieren müssen. Der "Home"-Bildschirm mit der aufgeräumten Icon-Parade ist kaum geeignet, mehrere zig oder hunderte Apps sinnvoll zu ordnen. Je mehr Apps man verwendet und je mehr diese können, desto notwendiger ist es, diese sinnvoll am iPhone zu verwalten. Um eine Form von hierarchischer Ordnung wird Apple nicht mehr herumkommen.
Ein weiteres Feld sind zusätzliche Entwicklerschnittstellen, die zwar schon vorhanden, aber von Apple nicht freigegeben sind. Das Streamen von Video vom iPhone aus ist ein prominentes Beispiel. Hier ist es allerdings schon Entwicklern geglückt, Apples App-Store-Segen zu bekommen, obwohl sie die Schnittstelle verwenden. Ganz so strikt scheint es Apple hier also nicht mehr zu nehmen. Auch die Interaktion von Apps, also das Zusammenspiel mehrerer Anwendungen, steckt noch in den Kinderschuhen. Ein häufig geäußerter Wunsch ist, auf Daten anderer Apps zugreifen zu können. Beispielsweise ist es bislang nicht möglich, einen Mail-Anhang an eine andere App zu übergeben. Beides aber wäre für viele Office-Applikationen essentiell wichtig.
Entwicklerkonferenz WWDC 2010
Spätestens zur nächsten jährlichen Entwicklerkonferenz, traditionell im Juni, wird Apple wohl mit dem nächsten großen Update für das iPhone-OS herausrücken. Dann wird man sehen, wie weit die Verantwortlichen das iPhone für weitere App-Funktionen öffnen und wie weit man in Cupertino mit neuen Services wie Streaming von Audio und Video und den Kartendiensten von Placebase gekommen ist.
Möglicherweise schon vorher könnte Apple aber auch mit einem komplett neuen Gerät aufwarten. Das mit Abstand heißeste Gerücht im Internet betrifft ein Tablet, das Apple wahlweise schon fertig konstruiert oder in der Produktion oder schon zig Mal verworfen hat. Selbst seriöse Marktforscher wie die von IDC geben schon Prognosen ab, wann das Tablet erscheint (Ende 2010), längst sind alle großen Medien nicht nur in den USA von der Existenz eines Tablet-iPhone überzeugt.
Tablet 2010?
Dass man bei Apple mit solchen Geräten experimentiert, davon kann man getrost ausgehen. Laut Steve Jobs hat die Entwicklung des iPhone viele Jahre gedauert - auch ein Tablet entsteht nicht über Nacht. Zudem würde ein solches portables Gerät - man stelle sich ein vergrößertes iPhone vor, sehr flach und in einem verkleinerten A4-Format - gut in die Apple-Produktpalette passen. Ein weiteres gewichtiges Argument: Der Niedergang traditioneller Printmedien macht den USA gerade schwer zu schaffen, da könnte Steve Jobs mit einem Tablet mit integriertem E-Book-Reader gleich eine ganze Industrie retten - ähnlich dem digitalen Musikgeschäft, das Apple in den USA dominiert.
Auch für die schon bestehenden medialen Dienste Apples wäre ein Tablet ideal: Videos in hoher Auflösung, Musik mit dem neu entwickelten Albumformat, Spiele aus dem App-Store, aber auch für den Umgang mit Office, Mail und Internet bietet sich ein größerer Formfaktor, insbesondere ein größerer Bildschirm, geradezu an.
Wilde Spekulationen
Ob Apple 2010 mit einem Tablet herauskommt, wissen vielleicht nicht einmal die Verantwortlichen selbst. Schon jetzt ist der Hype so enorm und die Erwartungen so groß, dass Apple sich schwer tun wird, diese zu erfüllen. Hauchdünn und leicht soll es sein, Video, Audio und Spiele wiedergeben, mit einem brillianten Touchscreen möglichst in HD-Auflösung ausgestattet sein und eine Batterielaufzeit von über acht Stunden bieten. Dass es hier technische Grenzen gibt, stört in den heftigen Debatten im Internet die Wenigsten. So könnte ein Tablet-Projekt 2010 noch an technischen Hürden scheitern - schließlich ist Jobs kein Freund von Kompromissen. Bevor Jobs mit halbgaren Lösungen à la Kindle auf den Markt kommt, verschiebt er das Ganze lieber noch mal ein Jahr - und die Gerüchteköche im Internet haben weiter Futter für Spekulationen.
Fazit
Kaum ein Bereich wird im neuen Jahr so viel Spannung bringen wie der Kampf um die mobile Plattform. Alle Schwergewichte der Industrie plus einige Newcomer werden es 2010 versuchen auszufechten. Den Kunden kann es letztlich freuen, erhält er mehr Auswahl, attraktivere Preise und mehr Service. iPhone-Besitzer können dem Treiben gelassen zusehen - denn wie schon im vergangenen Jahr werden sie sich darauf verlassen können, dass sie auch 2010 mit ihrem Gerät dank Software-Update auf dem neuesten Stand sind.
Apple gewährt nur selten einen tiefen Blick in die Zukunftsplanung. Firmenübernahmen wie die jüngst von Placebase und Lala lassen allerdings einiges erahnen
Apple auf Einkaufstour: Placebase und Lala
Ende letzten Jahres war bei Apple Einkaufszeit: Apple übernahm den Geo-Dienst Placebase und den Musikdienst Lala. Das junge Unternehmen hat sich auf Musik-Streaming über das Internet spezialisiert. Nutzer können Musik hier gegen zehn Cent pro Lied abonnieren und beliebig oft und von überall über das Web anhören. Der zweite Einkauf, der Kartenanbieter Placebase, passt ebenfalls in Apples Philosophie. Derzeit ist Apple bei den Geo-Anwendungen auf dem iPhone, in iPhoto und anderen Diensten ganz von Google und dessen Dienst Maps abhängig.
Apples Übernahmestrategien
In der Vergangenheit hat Apple mit Neueinkäufen verschiedene Strategien gefahren, dabei aber immer den roten Faden erkennen lassen.
Entweder kaufte Apple ein Unternehmen oder ein Produkt, um es in der gleichen Form unter der eigenen Regie weiterzuführen. Beispiele dafür sind die Programme Logic und Final Cut Pro, die Apple nun selbst weiterentwickelt und dabei die entsprechenden Windows-Versionen eingestellt hat.
Oder Apple kauft ein Unternehmen wegen des Know-Hows und der Technologie. Ein gutes Beispiel ist der Kauf des Chipentwicklers P.A. Semi. Apple hat die Prozessorentwickler übernommen und arbeitet seitdem laut Gerüchten an eigenen Strom sparenden Chips für mobile Geräte. Die Einkäufe Placebase und Lala dürften zur dieser zweiten Kategorie gehören, denn die jeweiligen Dienste der beiden Anbieter sind seit der Übernahme vom Netz genommen.
Geo-Dienste
Apple will seine Kompetenzen in Sachen Geo-Dienste verbessern. Der Dienstleister Placebase war deshalb ein geeigneter Kandidat. Das Unternehmen hatte vor Apples Übernahme nicht nur reines Kartenmaterial im Angebot, sondern glänzte vor allem mit seiner Offenheit. Dank einer Programmierschnittstelle konnten andere Anbieter die Webkarten mit eigenen Zusatzinformationen wie statistischen Daten aufbereiten. Passend zu der Übernahme sucht Apple mittlerweile Geo-Informatiker für mobile Anwendungen. Dies lässt den Schluss zu, dass Apple bald eine eigene Geo-Anwendung auf das iPhone bringen will. Placebase-Gründer Jaron Waldman arbeitet seit der Übernahme ebenfalls in Apples Geo-Abteilung.
Geo-Dienste und ortsbezogene Anwendungen zählen zu den wichtigsten Funktionen moderner Mobiltelefone. Kein Wunder, dass sich die führenden Anbieter von Mobilfunkdiensten besonders anstrengen, um hier gut aufgestellt zu sein. Nokia hat den Kartenanbieter Navteq gekauft, Google hat für den Dienst Google Street Map hunderte Städte Schritt für Schritt abfotografiert und daraus zusätzlich eine eigene Navigationslösung erstellt. Bei dieser Entwicklung will Apple nicht hinten anstehen und arbeitet offenbar seinerseits an einer unabhängigen Lösung aus erster Hand.
Musik überall
Was Apple mit der Technik des Musikstreamers mit dem lautmalerischen Namen Lala vorhat, ist hingegen weniger durchsichtig. Die Möglichkeiten reichen von einem Webradio wie Last.Fm bis hin zu einem Musik- und Videostreamingdienst, bei dem man seine Bibliothek von überall hören kann - ob per iPhone oder über den Browser. Die New York Times beschreibt in einem Bericht, dass Apple vor allem an den Softwareentwicklern von Lala interessiert sei. Die Zeitung vermutet, dass Apple einen neuen Zusatzdienst zum iTunes Store eröffnen könnte, mit dem man Musik per Internet-Browser kaufen und hören kann. Mit der Option "Music Mover" hatte Lala zudem ein Angebot in petto, bei dem Nutzer ihre eigene Musik von Lalas Servern über das Web überall abrufen konnten. Dies wäre eine logische Fortführung der "Privatfreigabe", die mit iTunes 9 Einzug gehalten hat und Musik innerhalb des Haushalts bereitstellt.
Apple bleibt auf Kurs
Die Aquisitionen von Placebase und Lala sind strategische Investitionen und sollen Apple unabhängiger insbesondere von Google machen. So wie Apple einst ein breites Spektrum an Mediensoftware entwickelte und zusammenkaufte, so will das Unternehmen auch bei Inhalten wie den Geo-Anwendungen das Heft in der Hand behalten.
Dieser Artikel erschien bei unserem Schwesterportal macwelt.de