Projektmanagement

Irrläufer ungebremst

05.09.2005 von Andreas Schmitz
Zwar kennen IT-Manager ihre Projekte aus dem Effeff, doch mustert die Mehrheit selbst schlecht laufende Projekte meist nicht aus - so erste Ergebnisse der Studie "Multiprojektmanagement 2005" der TU Berlin, die CIO exklusiv vorliegen.

Thomas Fiedler erinnert sich gut an die ersten Schritte der Münchener Rück in Richtung professionelles Projektmanagement. "1998 haben wir definiert, wie wir unsere Projekte managen wollen", sagt das Gründungsmitglied des "Projektmanagement-Pools. Darin hat die Versicherung die Methodik und klare Verantwortungen innerhalb großer IT-Projekte festgelegt und ein internetbasiertes Wissenssystem geschaffen, in dem neben der Methodik Best Practices und Informationen zu weichen und harten Faktoren zu finden sind. "Wie wir Projekte managen", wissen Fiedler und CIO Rainer Janßen inzwischen. Sie sind permanent betreut, haben ein Budget im sechsstelligen Bereich und einen fixierten Zeitrahmen und Qualität. "Jetzt lautet die Frage, ob wir die richtigen Projekte machen", erläutert Fiedler. Ein Unterschied. Ein gewaltiger Fortschritt. Und doch fehlt es an einer Gesamtübersicht - einem ausgetüftelten Multiprojektmanagement.

Damit ist die Münchener Rück keine Ausnahme, wie eine Befragung des Lehrstuhls für Innovations- und Technologiemanagement der TU Berlin ergab. Zwar fühlt sich die Hälfte der 166 befragten IT-Manager durch die Informationssysteme gut über Einzelprojekte informiert. Doch knapp jeder Dritte meint, dass die Informationen kaum dazu geeignet seien, Entscheidungen über das Projektportfolio zu treffen. "Informationen sind da, sie werden aber nicht ausreichend ausgewertet", erläutert der Leiter der Berliner Studie Henning Dammer: "Und es fehlt den Unternehmen an Systemen zur Entscheidungsunterstützung." Eingangsvoraussetzung für die Teilnahme an der Studie: mindestens 20 große Projekte, die parallel laufen.

Informationen über die Projekte sind auch beim Münchener Rückversicherer inzwischen vorhanden. Jedes der etwa 50 parallel laufenden größeren IT-Projekte hat einen Antragsprozess durchlaufen - egal ob Eigenentwicklung oder SAP-Implementierung. Das Projekt ist nach Business-Gesichtspunkten und Kosten-Nutzen-Kriterien bewertet und priorisiert. "Scope, Laufzeit, Budget und die erforderliche Qualität sind hier festgelegt", so Mathematiker Fiedler. Die Einzelprojektinformationen sind gut, die Gesamtsicht auf alle Projekte jedoch noch nicht möglich. Fiedler: "Wir wissen nicht, wie sich die Projekte zueinander verhalten." Das Manko: Die Münchener Rück prüft und registriert zwar neue IT-Projekte akribisch, doch "laufende Projekte stellen wir nicht in Frage", gesteht Fiedler.

Auch dieses Vorgehen ist nicht außergewöhnlich: Die wenigsten Unternehmen etwa gaben an, "niederwertige" Projekte früh zu erkennen, und noch weniger, sie schnell und konsequent zu beenden. Auch Eric Schott sieht hier Nachholbedarf in den Unternehmen: Der Mitgründer des auf Projektmanagement spezialisierten Beratungshauses Campana und Schott fordert den Abschied vom "Projekt-Trivialmanagement. Dazu gehört für ihn auch die Fähigkeit des CIOs, den Abbruch von Projekten "verkaufen und durchsetzen zu können. "Von der IT lösen, Distanz wahren, heißt eines von Schotts weiteren Mantras. Viele CIOs haben hier offensichtlich Nachholbedarf. Warum sonst ist die Hälfte der Befragten in der Berliner Umfrage generell unzufrieden mit ihrem Projektmanagement.

Nach Ansicht von TU-Mann Dammer sollte die IT vorrangig dazu dienen, schnell auf Veränderungen in den Projekten reagieren zu können. Im direkten Vergleich zwischen den drei untersuchten Bereichen Informationsqualität, Allokationsqualität (die Fähigkeit, schnell und zuverlässig Human- und Finanzressourcen auf Projekte zu verteilen) und die Reagibilität und Flexibilität (die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen durch die Anpassung von Projekten reagieren zu können) zeigte sich eine überraschende Hierarchie: "Es ist für den Projektportfolioerfolg sogar etwas wichtiger, flexibel und schnell reagieren zu können, als eine gute Informationsqualität zu haben", so Dammer, "fast die Hälfte der Befragten sehen darin erhebliches Potenzial." Nur die Allokationsqualität ist nach Aussagen der Top-Manager in Bezug auf deren Beitrag für ein erfolgreiches Projektportfolio vergleichsweise unwichtig.

High-Performer entscheiden konsequenter

Allerdings gibt es auch Unternehmen, die bereits fortschrittlich sind - Dammers High-Performer. Diese Unternehmen gaben etwa an, Projektportfolios unternehmensweit eng aufeinander abzustimmen. Die Besten entschieden konsequenter über den Abbruch, das Einfrieren oder Ressourcenanpassung im Rahmen des gesamten Projektportfolios und nicht als Einzelentscheidung. "Seit 2003", sagt Projekt-Manager Fiedler, der bis vor kurzem Chef der achtköpfigen Mannschaft war, "arbeitet die Münchener Rück an einem unternehmensweiten Projektmanagement." Fiedler hält die Münchener Rück in der Branche der Finanzdienstleister im Projektmanagement zwar für überdurchschnittlich gut, doch gibt er zu, dass sich Projektarbeit schwer durchsetzen lasse. Bereits die Etablierung des Antragsprozesses wertet er als Kulturwandel.

Der wichtigste Aufbruch allerdings steht noch bevor: Seit Anfang des Jahres wollen die Münchener Projekte größer sehen, über IT-Grenzen hinaus, nicht nur "eine Anwendung umbauen", sondern untersuchen und mitberücksichtigen, "wie sich Projekte untereinander verhalten". Der Startschuss dafür ist bereits gefallen. Projektmanagement-Pionier Fiedler gehört dieser Gruppe jedoch nicht mehr an. Er leitet nun ein Projekt jenseits des üblichen Projektrahmens - ein SAP-Großprojekt, in dem diverse Altsysteme abgelöst werden und das seit 2002 und bis Mai 2006 etwa 400 Mitarbeiter Tag für Tag beschäftigt.