Trotz des großen Erfolgs von Pilotprojekten zur Vier-Tage-Woche rund um den Globus ist diese Arbeitsform immer noch relativ ungewöhnlich. "In den meisten Unternehmen gibt es eine Menge traditioneller Denkweisen und Widerstände der Führungskräfte gegen die Vier-Tage-Woche", erklärt Leslie Joseph, Chefanalystin bei Forrester, diesen Umstand.
Dabei haben Unternehmen, die mit der Vier-Tage-Woche experimentierten, in der Regel positive Ergebnisse erzielt, vorausgesetzt, es existiert eine systemische Unterstützung in der Organisation, so die Analystin. "Sie haben festgestellt, dass ihre Mitarbeiter das zu schätzen wissen und produktiver sind. Auch die psychische Gesundheit und die Work-Life-Balance der Einzelnen haben sich verbessert."
Es herrscht jedoch nach wie vor die Meinung, dass die Beschäftigten in einer 32-Stunden-Woche nicht so viel schaffen können wie in einer 40-Stunden-Woche. Unabhängig davon, ob das bei der traditionellen Arbeitsweise zutrifft oder nicht: Einige Unternehmen stellen aktuell fest, dass Automatisierung und neue KI-Tools - insbesondere generative KI - die erfolgreiche Einführung der Vier-Tage-Woche bei ihnen unterstützen.
KI erleichtert asynchrones Arbeiten
Colin Bryce, Geschäftsführer von Cobry, einem Google-Cloud-Partner in Großbritannien, führte vor zweieinhalb Jahren die Vier-Tage-Woche in seinem Unternehmen ein. Der Zeitpunkt war bemerkenswert, denn er lag einige Monate vor dem Aufkommen von ChatGPT und anderen generativen KI-Tools, so dass das Unternehmen eine Momentaufnahme der Vier-Tage-Woche vor und nach GenAI hatte.
Vor der Umstellung hatte Bryce bei seinen Untersuchungen zur Vier-Tage-Woche festgestellt, dass ein schrittweiser Wechsel, bei dem verschiedene Teile des Unternehmens nach und nach auf den neuen Zeitplan umgestellt werden, oft nicht gut funktioniert, weil die Unternehmen in eine Art "Entscheidungslähmung" verfallen. "Das führt in der Regel dazu, dass die Leute sich erschrecken und den Kurs ändern. Wenn Sie es also machen wollen, dann einfach los", rät Bryce.
Als die Vier-Tage-Woche bei Cobry unternehmensweit eingeführt wurde, forderte Bryce alle Mitarbeiter auf, einige Grundsätze zu verinnerlichen, um trotz reduzierter Arbeitszeiten die Effizienz zu steigern. "Automatisiere, wo du kannst, streiche, wo du kannst, lagere aus oder delegiere, wo du kannst, und bilde dich weiter, wenn du etwas lernen musst, um die Effizienz zu steigern.", erklärt er.
Laut Bryce wurde mit der Einführung von ChatGPT und anderen Tools ein weiteres Prinzip etabliert, nämlich die Fragestellung: "Wie können wir KI nutzen, um die Vier-Tage-Woche besser zu gestalten?"
Dieser Grundsatz war entscheidend, denn Cobrys Ansatz der Vier-Tage-Woche führte zu einigen betrieblichen Herausforderungen. Die intern als "20-Prozent-Zeit" bezeichnete Regelung erlaubt es den Beschäftigten, 20 Prozent jedes Tages, zwei halbe Tage oder einen ganzen Tag pro Woche freizunehmen. Entscheiden sich zwei Kolleginnen und Kollegen jedoch, an verschiedenen Tagen frei zu nehmen, überschneiden sie sich nur drei Tage pro Woche, was zu einem notwendigen Anstieg der asynchronen Arbeit führt.
Cobry befand sich jedoch aufgrund seiner vorhandenen Tools in einer glücklichen Lage, erklärt Bryce. "Wir haben einen wirklich modernen, Cloud-basierten Tech-Stack", der Asana für das Arbeitsmanagement, Notion als Wissensdatenbank, Hubspot für CRM und Looker für Business Intelligence umfasst, die alle auf Google Workspace aufbauen. Mit dem Hinzufügen von Googles KI-Modell Gemini hat jede Komponente nun "einen erheblichen Anteil an GenAI in sich", konstatiert der Manager.
In diesem Technologiepaket ist KI besonders hilfreich für die Dokumentation und für einfache Aufgaben, die den Mitarbeitern während der gemeinsamen Arbeitszeit den Rücken freihalten, so Bryce. Cobry nutzt KI um Besprechungen zu transkribieren, Strategiedokumente zu schreiben und sogar für die Weitergabe von Informationen durch spezielle, von der Company selbst entwickelte Bots. Diese sind rund um die Uhr verfügbar und unterstützen die asynchrone Arbeit, indem sie verschiedene Daten bereitstellen, die für interne Teams nützlich sind. Das umfasst zum Beispiel die neuesten Updates von Google Cloud, eine aktuelle Liste der Mitarbeiter, die im Urlaub sind, und sogar Geburtstagsankündigungen.
Diese Anwendungsfälle passen genau zu den vier Prinzipien, die Bryce betont, um die Vier-Tage-Woche möglich zu machen:
Automatisieren,
Eliminieren,
Auslagern oder Delegieren und
Weiterbilden.
"Als die KI-Tools ins Spiel kamen, hatten wir sofort eine unglaublich leistungsfähige fünfte Methode, um eine erfolgreiche Vier-Tage-Woche zu ermöglichen. Wir waren in der Lage, Probleme voranzutreiben und oft auch zu lösen, die vorher viel mehr Arbeit und oft den Input eines externen Fachmanns erfordert hätten. Der Einsatz von KI-Tools hat viele dieser Kreisläufe geschlossen und uns dadurch effizienter gemacht", sagt er.
Mehr Zeit zum Denken - und Wachsen des Unternehmens
John Readman, CEO von Ask Bosco, einem KI-Unternehmen für Marketing mit Sitz in Großbritannien, führte gleich mit der Gründung 2019 eine Vier-Tage-Woche ein. Die Firma erlaubt es seinen Mitarbeiterinnen und Mitareitern, den Mittwoch oder Freitag als freien Tag zu nutzen. Readman zufolge half der Aufstieg der KI dem Unternehmen zu wachsen, ohne dass die Zahl der Beschäftigten oder die Arbeitszeit erhöht wurde.
Die KI-Tools ermöglichen es dem Unternehmen nicht nur, mehr Arbeit in der vorhandenen Zeit zu erledigen. Sie haben auch "die Qualität unserer Arbeit verbessert, weil wir mehr Zeit haben, darüber zu reflektieren, statt sie nur schnell zu erledigen", erklärt Readman.
Bei Ask Bosco kommen eine ganze Reihe von KI-Anwendungen zum Einsatz. Dazu gehören ChatGPT und Midjourney, um Inhalte zur Suchmaschinenoptimierung oder Notizen für Meetings, mit denen die Teams ihre Aufgabenlisten und Tagesordnungen abgleichen, zu erstellen. Hinzu kommen die automatisierte Spesenabrechnung für Beschäftigte und sogar das Klonen von Sprachexperten, damit das Marketingteam technische Walkthroughs ohne Audioaufnahmen erstellen kann.
KI hat sich als so wertvoll für das Unternehmen erwiesen, dass Readman in einem unternehmensweiten Wettbewerb aktiv nach neuen Ideen für KI-Anwendungen gesucht hat. Die Mitarbeiter mussten dabei angeben, welches Tool eingesetzt wird, wie es verwendet wird und, was vielleicht am wichtigsten ist, wie viel Zeit sie dadurch gewinnen wollen. Drei Gewinner erhielten einen Geldpreis für ihre Ideen.
Obwohl Readman davon überzeugt ist, dass KI und Automatisierung in allen Bereichen des Unternehmens eingesetzt werden können, gibt es eine Sache, den Ask Bosco nicht anfassen wird. "Wir verwenden KI nicht, um zu überwachen und zu beobachten, was die Leute tun. Ich weiß, dass einige Unternehmen das tun, aber ich denke, das ist eher kontraintuitiv", erklärt er.
Einfacher Informationen austauschen
Safeguard Global, ein Anbieter von HR-Software mit Hauptsitz in den USA, hat eine flexible Arbeitsrichtlinie, die als "work in any way" bekannt ist. Laut Chief Technology Officer Duri Chitayat können die Mitarbeiter dabei arbeiten, wie sie wollen und wann sie wollen. Sie werden daran gemessen, was sie leisten, und nicht, wie viele Stunden sie arbeiten.
"Die Teams arrangieren sich dabei", erklärt Chitayat. "Einer meiner Kollegen, ein Chief Product Officer, nimmt sich zum Beispiel lieber freitags frei. Ich hingegen nutze meine Freitage gerne für eine Art Spillover-Meeting."
Chitayat ist der Auffassung, dass KI die Arbeit in jeder Hinsicht unterstützt, weil sie den Zeit- und Arbeitsaufwand für den Informationsaustausch senkt. Die richtigen Daten zu sammeln und sie den richtigen Leuten zukommen zu lassen, war früher ein zeitaufwändiger Prozess mit verschiedenen Engpässen auf dem Weg dorthin. "KI beseitigt die Verschleppung von Informationen und die Warteschlangen in den Systemen", so der CTO.
Zu diesem Zweck nutzt Safeguard eine Reihe von GenAI-Tools, darunter Open-Source-Projekte wie LangChain und LangGraph für die Agenten-Orchestrierung, Vercel AI SDK für UX und DevX sowie LLMs von OpenAI und anderen Anbietern für die Sprachverarbeitung (Natural Language Processing - NLP). Die konkreten Anwendungsfälle variieren - Recruiting, Wissensmanagement, Personalanalyse, Ausgabenanalyse und Kundendienstmanagement - aber sie alle machen den Zugang und den Austausch von Informationen effizienter.
Der Informationsaustausch ist sogar so effizient geworden, dass "hochqualifizierte Mitarbeiter - der Ort, an den du die Informationen bringen willst - zum neuen Engpass werden", berichtet Chitayat."KI macht es einfacher, sie mit den Informationen zu versorgen."
Diese Effizienz birgt allerdings auch die Gefahr, dass die Mitarbeiter ausbrennen und das Unternehmen verlassen. Flexible Arbeitsregelungen, etwa das Konzept "work in any way" oder die Vier-Tage-Woche, gäben den Menschen Zeit, sich zu erholen, erklärt Chitayat, und mache es wahrscheinlicher, dass sie im Unternehmen bleiben.
"Indem man seinen Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, sich einen Tag frei zu nehmen, wenn sie ihn brauchen, signalisiert man ihnen, dass man Wert auf Ergebnisse legt - und nicht nur auf ihr Erscheinen", sagt er.
Joker für Mitarbeitergewinnung und -bindung
Flexibles Arbeiten ist aber nicht nur für die Mitarbeiterbindung von Vorteil, sondern auch für die Rekrutierung. Bryce nennt Cobrys Vier-Tage-Woche einen "Joker, den wir gegenüber anderen Unternehmen ausspielen können".
"Die Bewerber sind wirklich verblüfft. Ich hatte schon Leute, die mir bei Vorstellungsgesprächen nicht geglaubt haben. Sie dachten, dass sie im Gegenzug 20 Prozent weniger Gehalt bekommen", sagt er.
Dieser Vorteil hebt Cobry von anderen Unternehmen auf einem umkämpften Markt ab. "Ich glaube nicht, dass es einen anderen Google-Cloud-Partner gibt, der eine Vier-Tage-Woche hat", so Bryce.
Letztendlich ist Cobrys Vier-Tage-Arbeitspolitik eine Erweiterung der Employee Experience, erklärt der Manager. "Wir haben schon immer sehr darauf geachtet, dass wir abends und am Wochenende nicht arbeiten und so weiter. Ich denke, es war eine Erweiterung des Prinzips, das Leben der Menschen zu respektieren und ihnen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben zu ermöglichen", sagt er.
Readman von Asc Bosco ist davon überzeugt, dass eine viertägige Arbeitswoche sowohl dem Unternehmen als auch den Beschäftigten hilft. "Das bedeutet, dass du dein Wochenende genießen kannst, und das ist gut für deine geistige Gesundheit. Außerdem glaube ich, dass du dich in den vier Tagen, in denen du arbeitest, besser konzentrieren kannst."
Die Vier-Tage-Woche als Lackmustest
Bryce erklärt, dass Cobrys Vier-Tage-Woche eine Art Barometer für das gesamte Unternehmen ist. "Sie ist fast so etwas wie eine Lupe, mit der man beurteilen kann, wie gut das Geschäft im Allgemeinen läuft", sagt er. "Sie hat uns dazu gebracht, stärker zu reflektieren, warum etwas nicht in vier Tagen zu schaffen ist: Ist der Prozess schlecht? Benutzt jeder sein eigenes Werkzeug? Ist die Person nicht qualifiziert? Das ist sehr provokant", sagt er.
Chitayat berichtet, dass "Work in Any Way" für Safeguard Global ähnlich aufschlussreich war. "Die althergebrachte Methode, Leute einzustellen und dafür zu sorgen, dass sie im Büro auftauchen, ist kein gutes Management. Das Resultat ist häufig ein vorgegaukelter Erfolg, während wir uns jetzt auf die Daten konzentrieren: Was sagen uns die Daten über unsere Ergebnisse? Wer ist erfolgreich? Wer nicht? Wir lernen, wie man die richtigen Fragen stellt, wie man hinter die Kulissen schaut und herausfindet, warum die Dinge so laufen, wie sie laufen", sagt er.
Joseph von Forrester ist der Meinung, dass dieser datengestützte Ansatz Unternehmen, die noch keine Vier-Tage-Woche haben, dabei helfen kann, dieses Ziel zu erreichen. Sie führt das Beispiel eines indischen Unternehmens an, mit dem Forrester zusammenarbeitet. Obwohl das Unternehmen eine Vier-Tage-Woche als erklärtes Ziel hatte, stellte es nicht sofort um. Stattdessen wurde ein dreimonatiges Pilotprojekt gestartet, bei dem sowohl die Mitarbeiter als auch die Kunden des Großhändlers um Feedback gebeten wurden.
Am Ende des Pilotprojekts bewerteten die Kunden die Leistung des Unternehmens mit mehr als 4 auf einer 5-Punkte-Skala, und die Zufriedenheit der Beschäftigten stieg von den üblichen 3,2 oder 3,3 auf deutlich über 4. Daraufhin hat das Unternehmen die Vier-Tage-Woche dauerhaft eingeführt.
Joseph rät anderen Unternehmen, die Umstellung mit einer ähnlich pragmatischen Sichtweise zu betrachten. "Was sollten wir messen? Und wie zeigen die Kennzahlen, die wir erheben, die Auswirkungen einer Vier-Tage-Woche auf die langfristige Gesundheit unseres Unternehmens und unserer Beschäftigten?", fragt sie.
Unternehmen sollten eine Vier-Tage-Woche nicht isoliert betrachten, sondern als Teil eines umfassenderen Programms zur Verbesserung der Employee Experience, erklärt Joseph. Und sie sollten sich genau überlegen, wie sie die Arbeit gestalten wollen.
Als Beispiel führt die Analystin an, dass Amazon versucht, Meetings zu minimieren, indem es Führungskräfte bittet, ihre Gedanken in sechsseitigen Memos statt in PowerPoint-Präsentationen zu formulieren. "Das sind alles Signale dafür, dass Unternehmen ihre Kultur gestalten und die Tools - seien es Kollaborations-, Automatisierungs- oder KI-Werkzeuge - auf diese Ziele ausrichten, um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem die Mitarbeiter ihr Bestes geben können, in dem sie am produktivsten sind und in dem sie die gewonnene Zeit für andere Dinge nutzen können", erklärt sie. "Man muss das alles ganzheitlich betrachten." (mb)