The Future of Corporate IT

IT-Abteilung schrumpft um 75 Prozent

11.11.2010 von Holger Eriksdotter
Die klassische IT-Abteilung schrumpfe um 75 Prozent. Durch Cloud, Web 2.0 und Knowledge-Worker werde Daten-Management wichtiger als Prozess-Design, behaupten Strategie-Experten des "Corporate Executive Board".
Uwe Herold, Geschäftsführer von Bexicon Consulting: "Die technologische Bedeutung von IT wird nicht weiter wachsen."
Foto: Bexicon Consulting

Laut der Studie "The Future of Corporate-IT" verlieren in den nächsten fünf Jahren IT-Abteilungen große Teile ihrer Verantwortung an das Business Management und schrumpfen auf ein Viertel ihrer Personalstärke. Die Rolle des CIOs werde sich drastisch ändern, prognostizieren die Strategieberater des Corporate Executive Board (CEB) in Washington. Ihre Studie basiert auf einer Befragung von über 200 Business- und IT-Führungskräften.

Zentrale Treiber der Veränderung: Cloud Computing, Social Media und die Zunahme der "Knowledge Worker"- gepaart mit einer hauseigenen Unternehmens-IT, die ihre Effizienzpotenziale weitgehend ausgeschöpft hat. "Wie Unternehmen künftig IT-Leistungen beschaffen und verteilen und wie sie IT zur Schaffung von Mehrwert einsetzen, das wird die IT-Abteilungen nachhaltig verändern", sagt Andrew Horne, Studienleiter und Senior Research Director beim CIO Executive Board, der IT-Strategie-Tochter des CEB.

Die Rolle des CIOs werde sich drastisch ändern, prognostizieren die Strategieberater des Corporate Executive Board (CEB) in Washington.
Foto: Kathy Keifer - Fotolia.com

Wesentliche Aufgabenfelder der heutigen Unternehmens-IT werden mit zentralen Geschäftsfunktionen wie HR, Supply Chain oder Finance zu einer eigenen Shared Service Group verschmelzen, andere Teile werden komplett an Service-Provider ausgelagert. Mit dem Siegeszug immer stärker spezialisierter Cloud-Angebote werde das Business-Management zunehmend in die Lage versetzt, ohne Beteiligung der internen IT-Abteilung und an ihr vorbei selbst IT-Lösungen einzukaufen. Damit ändert sich natürlich die Rolle des CIOs: Er wird entweder zum Leiter einer internen Business Shared Services Group oder zum Einkäufer und Manager von externen IT-Services, resümieren die amerikanischen Experten vom Corporate Executive Board.

SaaS wirkt sich schon jetzt aus

Dass Software-as-a-Service (SaaS) sich bereits jetzt auf die gesamte Unternehmensorganisation auswirkt, ist für Experten offensichtlich: "Die vom CEB vorgelegte Studie ist eine exakte Analyse der aktuellen Trends, daran ist nichts zu beanstanden", sagt Uwe Herold. Der Ex-CIO von SAP, der zuvor auch IT-Leiter in der Automobilbranche war, kennt die IT-Organisation sowohl aus der Anbieter- als auch aus der Anwenderperspektive. Heute leitet er das Beratungsunternehmen Bexicon-Consulting. "In der Tat ist der CIO gefordert, sich mit den gegenwärtigen Entwicklungen gründlich auseinanderzusetzen, wenn er sich nicht zum Organisator von Technologie degradieren lassen will", sagt Herold.

Andrew Horne, Research Director vom Corporate Executive Board: "Bisher galt, dass mit steigender strategischer Bedeutung der IT auch das Gewicht der internen IT-Abteilung zunimmt - das stimmt so nicht mehr."
Foto: Andrew Horne

Diese Gefahr ist für den Analysten Horne sehr real: "Bisher galt die Annahme, dass mit steigender strategischer Bedeutung der IT auch das Gewicht der internen IT-Abteilung zunimmt - aber genau das stimmt so nicht mehr", sagt der US-Analyst. Wenn Studien regelmäßig zu dem Ergebnis kämen, dass eine effiziente Enterprise-IT und das Alignment von IT und Business unabdingbare Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Geschäftserfolg seien, gehe das von einer falschen Voraussetzung aus. Denn darin stecke die Annahme, dass die interne IT-Abteilung auch in Zukunft von Änderungen der Betriebsorganisation unberührt und eine starke Unternehmensabteilung bleiben werde. Genau das könne sich aber als Fehlschluss erweisen: "Die meisten Analysten ignorieren die strukturellen Entwicklungen in der Unternehmensorganisation, die die Verantwortung für viele IT-Prozesse und -Funktionen nachhaltig verschieben", sagt Horne.

Beispiel Cloud Computing: Schon heute sieht sich der CIO mit dem Begehren der Fachabteilungen konfrontiert, aus ihrem eigenen Etat Cloud Services, SaaS-Lösungen oder Managed Services anzuschaffen. Für den CIO ein doppeltes Dilemma: Auf der einen Seite steckt darin der implizite Vorwurf, dass er die passende Lösung nicht innerhalb derselben Fristen und zu ähnlichen Kosten liefern kann. Auf der anderen Seite entsteht eine IT-Landschaft, für die er zwar verantwortlich zeichnet, die sich aber seiner Kontrolle entzieht. Verstärkt wird der Trend durch Knowledge-Worker, die sich mit "smarten" Endgeräten und sozialen Netzwerken Produktinformationen zur IT selbst besorgen. Zudem steige gleichzeitig die Menge an Daten, die verarbeitet und verteilt werden müssen, exponentiell an.

Komplette Veränderung der IT

"Damit erbringt die IT nicht mehr in erster Linie aus dem Prozessdesign Wettbewerbsvorteile für Unternehmen, sondern aus dem Management von Informationen, der Datenanalyse und vor allem der Befähigung ihrer Knowledge-Worker durch adäquate Technologie", sagt Andrew Horne. Gleichzeitig würden Infrastruktur und Applikationen für das Back-Office zunehmend als virtualisierte, konfigurier- und skalierbare Services verfügbar, ebenso wie komplette, standardisierte und industrialisierte Business-Prozesse für das Back-Office, die von externen Providern angeboten werden. Auch die Frontend-Landschaft werde davon betroffen sein: "Das Zusammenfließen von Virtualisierung, SaaS und Unified Communications, kombiniert mit einer größeren Mobilität der Mitarbeiter, wird den gesamten Desktop-Bereich komplett verändern und zu geräteunabhängigen Services und Applikationen führen", prophezeit Analyst Horne.

Und was machen die IT-Abteilung und der CIO in diesem Szenario? "Richtig ist, dass die technologische Bedeutung von IT nicht weiter wachsen wird", sagt Strategieberater Herold. Das hieße aber keinesfalls, dass die technologische Verantwortung deshalb beim Business-Management besser angesiedelt wäre. "Das Business bleibt wie bisher verantwortlich für die Ergebnisse und Effizienz pro Wertschöpfungskette. Der Organisation/IT wird nach wie vor die Aufgabe der Integration und der Unterstützung des Managements mit Technologie- und Prozessberatung zufallen."

Zwar bestreitet der Strategie-Experte die Studientrends nicht, beurteilt ihre Auswirkungen aber anders. Es gebe erhebliche kulturelle und branchenabhängige Unterschiede, die das Maß und die Geschwindigkeit der Veränderungen beeinflussen. Auch die Zunahme der Zahl der Knowledge-Worker sei bisher vor allem in Branchen wie Consulting oder IT zu verzeichnen. "Waren und Service produzierende Unternehmen werden weiterhin mehrheitlich nicht von Knowledge-Workern betrieben, sondern von Menschen, die mit optimierten Prozessen rationell und mit hoher Qualität wiederkehrende Produkte produzieren", sagt Herold.

Cloud-basierte Lösungen müssten dynamisch, aber semantisch korrekt die Verknüpfung der Informationsinhalte geschäftsprozessübergreifend gewährleisten und starre technische Integrationen vermeiden.
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Wenn es um die Kernanwendungen der Unternehmen aus der Cloud geht, meldet der Strategieberater grundsätzliche Zweifel an: "Für die Hauptanwendungen wie ERP, PLM und CAD sind derzeit noch keine Applikationen in der Cloud in Sicht, die auch nur annähernd die derzeitigen Client-Server- oder Mainframe-Lösungen für Unternehmen mit mehr als 1000 Nutzern ersetzen können." Dabei gehe es auch um die Frage, ob eine integrierte Unternehmenssoftware für Kernprozesse wie Einkauf, Finanzen, Logistik, Produktion und Distribution, die die dafür notwendigen Business-Objekte (wie Kunde, Lieferant, Vertrag, Materialstamm, Lagerort, Equipment) beinhalten, als integrierte Multitenant-SaaS-Applikation mit Hunderten von Kunden auf einer Instanz bereitgestellt werden kann.

"Es besteht die Gefahr, dass die dadurch exponentiell ansteigende Komplexität die Kosten und Fehleranfälligkeit so stark erhöht, dass sich damit dauerhaft kein Provider am Markt halten kann", fürchtet Herold. Allerdings müsse man grundsätzlich infrage stellen, ob die in ERP-Suites heute statische Integration zwischen Business-Objekten mehr Nutzen stiftet, als die erhöhte Komplexität und die geringere Flexibilität Schaden anrichten. Cloud-basierte Lösungen müssten dynamisch, aber semantisch korrekt die Verknüpfung der Informationsinhalte geschäftsprozessübergreifend gewährleisten und starre technische Integrationen vermeiden. "Deshalb kann man bisherige ERP-Lösungen nicht einfach in der Cloud installieren und damit ERP-Prozesse als SaaS liefern", resümiert der Strategieexperte.

Übergreifende Business-Services

Herold wie Studienleiter Horn sehen den Trend zu übergreifenden Business-Services, weil sich eine Vielzahl von Prozessen grundsätzlich ähneln und vereinheitlichen ließen. Schließlich unterschieden sich Fehlermeldungen oder Service-Anforderungen für einen Laptop oder Beamer nicht grundsätzlich von denen für einen Bürostuhl. "Auch die Abwicklung der internen Verrechnung unterscheidet sich nicht. Warum hat aber heute jede Servicefunktion im Unternehmen dafür eigene Prozesse?", fragt Herold. Aus Anwendersicht werde immer weniger zwischen IT-Applikation und den darüber bereitgestellten Services unterschieden. Ein wichtiger und richtiger Schritt sei es, alle unternehmensinternen Services in einem zentralen Servicekatalog zusammenzufassen und die Support-Prozesse für Incident-, Problem-, Change- und Configuration-Management für alle Services einheitlich zu gestalten.

Und genau hier sieht Herold die künftige zentrale Aufgabe des CIOs: "Die IT hat sich als abteilungsübergreifende Funktion aus der frühen Betriebsorganisation entwickelt. Sie war sehr lange so komplex und investitionsintensiv, dass der Hauptzweck - das Schaffen von verbesserten Abläufen und zielgerichteter Kommunikation - hinter das reine Management von Technologie zurücktrat", sagt Herold.

Deshalb biete der anstehende Wandel dem CIO die Chance, zu seinen Wurzeln zurückzukehren und als Verantwortlicher für das Management aller internen Business-Services genau das zu tun, was ursprünglich die Aufgabe seiner Vorgänger war: jenseits, aber mithilfe von IT, für interne Business-Prozesse mit besserer Qualität, größerer Effizienz und geringeren Kosten zu sorgen. "Die Mischung aus Cloud Services, interner IT, Applikationen und Devices spielt dabei eher eine nachrangige Rolle. Aber niemand im Unternehmen ist für diese Aufgabe besser qualifiziert und positioniert als der CIO." Dann wird für den CIO auch die Frage nach der Workforce seiner IT-Abteilung zur Nebensache.