Informationstechnologie im deutschen Gesundheitswesen auf dem Prüfstand

IT-Analyse des HealthCare Marktes

13.02.2006
Zwei substanzielle Faktoren treiben die Preise für das Gesundheitswesen nach oben: die steigende Lebenserwartung in der Bevölkerung und die Fortschritte im medizinischen Bereich. Damit einher gehen neue gesetzliche Rahmenbedingungen wie das Fall-Pauschalen-Gesetz (FPG) oder die Elektronische Patienten-Akte (EPA). Diese markanten Herausforderungen – dramatischer Kostendruck und Umsetzung der Gesetzgeber-Vorgaben – gilt es für die Krankenhäuser und weitere Einrichtungen im Gesundheitswesen zu meistern. Wesentliche strategische Voraussetzung dazu: das Leistungspotenzial vorhandener IT-Lösungen konsequent ausnutzen, in exakt geplanten und kalkulierten Schritten zu neuen leistungsstarken und zukunftssicheren IT-Lösungen migrieren.

Um wertvolle Ressourcen an den richtigen Stellen so effektiv und kostenschonend wie möglich zu nutzen, nämlich etwa insbesondere in der Patientenbehandlung, müssen Krankenhäuser und Kliniken – die wichtigsten Service-Anbieter im HealthCare Markt – ihre Verwaltung, ihren Personaleinsatz sowie die Bereitstellung und Qualitätssicherung ihrer Dienste weiter verbessern. Neben der einzusetzenden klinischen Medizintechnik rückt hier die Informationstechnologie mehr denn je in den Vordergrund.

Welche IT-Strategien, -Lösungen und -Bedürfnisse sind derzeit im deutschen HealthCare Markt und vor allem in den Krankenhäusern als Ausgangslage für den Handlungsbedarf auszumachen? Welche Planungen, Vorhaben und Erwartungen werden die nächste IT-Phase bei dieser Klientel nachdrücklich prägen? Welche wirtschaftlichen, regulativen und technologischen Rahmenbedingungen nehmen markanten Einfluss auf zu treffende IT-Entscheidungen? Und welche Größenordnungen, Entwicklungen und Trends sind in Sachen IT-Budgets festzustellen?

Die Antworten auf diese Fragen stehen im Mittelpunkt der MBmedien HealthCareIT Studie, deren Ergebnisse und Kernaussagen nachfolgend in Auszügen präsentiert werden. Grundlage der Studie: Kontaktierung von 2.680 Führungskräften / IT-Verantwortlichen in Krankenhäusern und weiteren HealthCare Einrichtungen, Feedback: 304 ausgefüllte Fragebögen, Informationsstand: Oktober 2005.

Software: Einsatz von Information Tools

Verwaltungsbereich

Bis zur Verschmelzung aller Krankenhausabteilungen hin zu einem einheitlichen Krankenhaus-Informations-System (KIS) ist es noch ein langer Weg. Ein hausinternes Abrechnungssystem ist derzeit bei 82 Prozent der von MBmedien befragten Krankenhäuser zu finden, ein System für Anlagenbuchhaltung wird bei 72 Prozent eingesetzt. Im Ranking folgen die Bereiche Personalwesen mit 71, Materialwirtschaft und Apotheke mit 67 und Controlling mit 65 Prozent. Das DRG-System (Diagnosis Related Group), das seit Januar 2005 verpflichtend eingesetzt werden muss, ist Mitte 2005 nur bei 59 Prozent der befragten Häuser vorhanden. Ein elektronisches Archiv nutzen lediglich 18 Prozent der Häuser, eine elektronische Pflegeplanung sogar nur 7 Prozent.

Klinikbereich

Generell besteht im Klinikbereich ein sehr hoher Nachholbedarf hinsichtlich elektronische Pflegedokumentation. Gerade einmal 8 Prozent der befragten Krankenhäuser nutzen solch ein System. Die Elektronische Patienten-Akte (EPA), mit der sämtliche Informationen zu einem Patienten auf einen Blick verfügbar und griffbereit sind, erreicht einen Wert von lediglich 22 Prozent. Über ein elektronisches Laborsystem verfügen 71 Prozent, ein OP Dokumentationssystem setzen 65 Prozent ein. Systeme für Anästhesiedokumentation haben 55 Prozent implementiert, gefolgt von Dienstplan-Tools mit 51 Prozent und Stations-Kommunikationssystemen mit 46 Prozent.

Hardware: Szenarien der Rechner-Landschaft

Anzahl der PC-Arbeitsplätze

Öffentliche und gemeinnützige Krankenhäuser:

• weniger als 50 PC-Arbeitsplätze: 7%
• 50 - 100 PC-Arbeitsplätze: 16%
• 100 - 200 PC-Arbeitsplätze: 68,5%
• 200 - 300 PC-Arbeitsplätze: 4%
• mehr als 300 PC-Arbeitsplätze: 4,5%

Private Krankenhäuser:

• weniger als 50 PC-Arbeitsplätze: 12%
• 50 - 100 PC-Arbeitsplätze: 30,5%
• 100 - 200 PC-Arbeitsplätze: 54,5%
• 200 - 300 PC-Arbeitsplätze: 2%
• mehr als 300 PC-Arbeitsplätze: 1%
Anzahl der Server

Öffentliche und gemeinnützige Krankenhäuser:

• weniger als 25 Server im Einsatz: 60,5%
• 26 - 50 Server im Einsatz: 18%
• 50 - 100 Server im Einsatz: 11,5%
• mehr als 100 Server im Einsatz: 11%

Private Krankenhäuser:

• weniger als 25 Server im Einsatz: 60%
• 26 - 50 Server im Einsatz: 19,5%
• 50 - 100 Server im Einsatz: 11,5%
• mehr als 100 Server im Einsatz: 11%

WIN basierte Server-Betriebssysteme werden weiterhin bevorzugt eingesetzt. Lediglich
13% Prozent nutzen nicht WIN basierte Systeme.

Verantwortung für den IT-Betrieb

77 Prozent der befragten Kliniken tragen die Verantwortung für den IT- und Netzwerk-Betrieb in Eigenregie. Dieser Anteil war laut zurückliegender Studien in den letzten Jahren deutlich höher. Gemäß weiterer MBmedien Recherchen ist davon auszugehen, dass Ende 2006 nur noch 62 Prozent und 2008 lediglich 53 Prozent den IT- und Netzwerk-Betrieb eigenverantwortlich bewerkstelligen. Immer mehr Krankenhäuser übertragen die Zuständigkeit für diese Ressourcen auf eigens gegründete IT-Töchter oder übergeordnete Betreibergesellschaften. Und 36 Prozent der Unternehmen im deutschen Gesundheitswesen setzen auf einen externen IT-Dienstleister. 35 Prozent der kontaktierten Häuser signalisierten Absichten oder Überlegungen, das IT-Segment outzusourcen.

Netz-Infrastrukturen: Strategien und Technologien

Status Quo: vorhandene Inhouse Netzwerk-Strukturen

In allen Häusern, die an der Befragung teilgenommen haben, kommt Ethernet-Technologie zum Einsatz. Bei der vorhandenen Bandbreite gibt es jedoch Unterschiede. Die Untersuchung ergab, dass vereinzelt auch noch 10 Mbit/s Ethernet Backbone-Strukturen genutzt werden – und zwar bei Krankenhäusern in öffentlicher Hand. Die am meisten verbreitete Backbone-Technologie ist 100 Mbit/s Ethernet (48 Prozent), knapp 46 Prozent setzen 1000 Mbit/s Ethernet im Backbone ein. Ein sehr geringer Teil (unter 1 Prozent) der Krankenhäuser hat bereits auf 10 Gbit/s Ethernet aufgerüstet.
Einsatz von Wireless-Lösungen

Die Verbreitung von Wireless-Lösungen nimmt auch im Gesundheitswesen rapide zu. 31 Prozent der befragten Häuser setzen bereits auf die kabellosen Technologien. Dabei haben die Stationen der Krankenhäuser den größten Anteil (30 Prozent von 31 Prozent). Bei der Klinikverwaltung und den Forschungsnetzen beträgt der Wert 21 Prozent. Für die mobile Visite nutzen 16 Prozent Wireless Solutions, und 12 Prozent der Unternehmen bieten ihren Patienten schon drahtloses Internet an.

Zufriedenheit mit der Netzwerk-Lösung

Ein Großteil der Krankenhäuser ist nicht zufrieden mit dem jeweils vorhandenen Netzwerk und dessen Komponenten. Gründe dafür sind unter anderem fehlende branchenspezifische Lösungen bzw. Lösungsansätze seitens der Hersteller. 78 Prozent der Befragten bemängeln das Preis-/Leistungs-Verhältnis und 76 Prozent den Hersteller-/Lieferanten-Support. In Sachen Optionen und Potenzial für zukünftige Aufrüstungen sehen 73 Prozent Anlass für Kritik. Hinsichtlich Leistungsvermögen der Netzwerk-Lösung (Bandbreite, Skalierbarkeit und Konnektivität) sind 60 Prozent tendenziell unzufrieden.

Ansprüche an geplante oder gewünschte IT-Netzstrukturen

Ranking der Ansprüche mit höchster Priorität:

1. Security
2. Mobility
3. Easy to use
4. Konvergenz

Ranking der für wichtig erachteten Funktionalitäten:

1. Multigigabit Switching
2. End-to-End Sicherheit
3. Quality of Service
4. Wireless- / Mobilfunktionen
5. Effizientes Netz-Management
6. IP-Telefonie

Ranking bevorzugter Applikationen via LAN/WAN:

1. VPN
2. Mobile Visite
3. Telemedizinische Applikationen
4. Web-Services für Patienten
5. Verwaltungsapplikationen via Web
6. Extranet
7. E-Learning

Kriterien für die Lösungs- und Anbieterauswahl

Bemerkenswerterweise spielen die Kosten bei der Lösungs- bzw. Anbieterauswahl eine weniger wichtige Rolle. Im Vordergrund stehen hier vielmehr die Kriterien Zukunftssicherheit und Stabilität.

Ranking der Entscheidungskriterien:

1. Zukunftssicherheit, Verfügbarkeitsgarantien
2. Ausgereifte Lösungskonzeption, einfache Handhabung & Beherrschbarkeit
3. Klare Service- und Leistungsgarantien
4. Nachweisliche geringe Gesamtkosten
5. Implementierung und Schulung
6. Branchenerfahrung, Reputation des Anbieters, Referenzen
7. Technologische Innovation, technologischer Vorsprung

IT-Budgets: Entwicklung im 3-Jahres-Verlauf

In 2004 erhöhten die privaten Einrichtungen ihre IT-Investitionsbudgets gegenüber 2003 durchschnittlich um 15 Prozent. Eine deutlich geringere Erhöhung des Volumens verzeichneten die freigemeinnützigen Kliniken (6 Prozent).

Für 2005 gaben 43 Prozent der Befragten eine Erhöhung ihres IT-Investitonsbudgets im Vergleich mit dem Jahr 2004 an. Stellt man die Jahre 2003 und 2004 gegenüber, so haben 22 Prozent der Häuser das IT-Investitonsbudget um 10 - 15 Prozent erhöht. 7 Prozent haben es um 5 - 10 Prozent gesteigert, und bei 9 Prozent gab es einen Zuwachs um 5 Prozent.

Laut MBmedien Untersuchung beabsichtigen knapp 60 Prozent der befragten Krankenhäuser innerhalb der nächsten zwei Jahre insbesondere ihre IT-Infrastruktur zu modernisieren. Ein Anteil von 25 Prozent entfällt dabei auf Client Computing. In betriebswirtschaftliche Software wollen 29 Prozent investieren, betreffend HealthCare spezifische Software sind es 14 Prozent.

Motivation für IT-Investitionen

Ranking der motivationstreibenden Effekte:

1. Effizienzsteigerung
2. Verbesserung der Wettbewerbsqualität
3. Verbesserung der Behandlungsqualität
4. Verbesserung des Patientenservice
5. Bessere Transparenz eigener Geschäftsprozesse
6. Kostenreduktion / optimierter Personaleinsatz
7. Einführung von DRG & FPG (Diagnosis Related Group, Fall-Pauschalen-Gesetz)
8. Einführung EPA (Elektronische Patienten-Akte) / Gesundheitspass
9. Planung der Anbindung an kooperative Versorgungsnetze

Zusammenfassung: IT Status Quo in den Krankenhäusern

Aufgrund der schmalen finanziellen Ausstattung der meisten Krankenhäuser werden Investitionen in neue IT-Lösungen immer noch als „Investitionsloch gesehen, die wirtschaftlichen Vorteile zielgerichteter IT-Investitionen sind vielfach unbekannt“, sagt Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Riedel vom IfK-Institut für Krankenhauswesen in Braunschweig. Insofern sind die deutschen Krankenhäuser und Kliniken – so lautet ein wesentliches Ergebnis der MBmedien HealthCareIT Studie – fast gänzlich deutlich entfernt vom angestrebten Ziel einer „Rundum-Vernetzung“, wie sie folgende Grafik widerspiegelt.

Hierzulande werden in den meisten Krankenhäusern zwar über die Jahre bewährte und zufriedenstellend tabile, aber mittlerweile technisch veraltete IT-Systeme betrieben. Es existiert ein hoher Nachholbedarf an modernen Anwendungen und technologischen Standards.

Dabei müssen die einzelnen Bereiche separat betrachtet werden. Grundsätzlich kann ein Krankenhaus in drei große Organisationseinheiten unterteilt werden: Verwaltung und Geschäftsführung, die internen Dienstleistungsbereiche wie Apotheke, Großküche, Bettenzentrale oder Patientendienstleistungen sowie der eigentliche medizinische Bereich mit den Stationen, Fachabteilungen, dem Pflegepersonal und der Ärztebelegschaft.

Im Bereich der Verwaltung trifft man häufig auf eine bereits gut ausgebaute Infrastruktur, die zwar nicht dem aktuellen technologischen „Highlevel“-Standard entspricht, aber ein entsprechendes vernetztes Arbeiten ermöglicht. Im internen Dienstleistungssegment zeigt sich ein anderes Bild. Hier ist in der Regel noch keine durchgängige Vernetzung der einzelnen Bereiche und Abteilungen vorhanden. Der medizinische Bereich schließlich ist in dieser Hinsicht nur in ganz seltenen Fällen erschlossen – so beschränkt sich das genannte Patienten-Entertainment meistenteils auf die üblichen Medien wie Fernseher, Radio und Telefon.

Zukünftig wird die Wireless-Technologie erheblich an Stellenwert im Krankenhausmarkt gewinnen. Nebenden bekannten generellen Vorteilen vor allem auch aus folgenden Gründen: Insbesondere die Hersteller von HealthCare spezifischer Software (Digitale Patienten-Akte, Krankenhaus-Informations-System etc.) entwickeln Applikationen und Möglichkeiten, mit denen diese Systeme vom Personal kabellos via PDAs, Tablet PCs und Notebooks genutzt werden können.

So gibt es bereits Anwendungen, bei denen die Ärzte bei ihrer Visite am Bett die Krankenakte des Patienten auf ihrem mobilen Endgerät abrufen, Medikationen vornehmen und über Server-basierte Datenbanken direkt klären können, ob bestimmte Medikamente im Einklang miteinander verschrieben werden dürfen. Hinzu kommen Digital Imaging-Anwendungen, die Ärzten einen direkten Zugriff auf Bilder aus der Röntgen- oder Computertomographie-Abteilung erlauben.

Ausblick: IT-Zukunft im Krankenhausmarkt

Im Rahmen der MBmedien HealthCareIT Studie hat sich eine ganze Reihe umfassender Anforderungen und Erwartungen an die IT-Infrastruktur von morgen in Kliniken und Krankenhäusern herauskristallisiert:

• Die EDV soll die heute meist noch papierbasierte OP-Dokumentation und Erstellung von OP-Berichten ersetzen, automatisieren und erleichtern, um eine Entlastung der Ärzte und des Krankenhauspersonals, schnellere Behandlungswege für die Patienten sowie eine Beschleunigung der Prozesse im Krankenhaus zu erreichen. Stichworte dazu: Einführung von Planungs- und Steuerungsmechanismen (Controlling), Informationen über das Leistungs- und Kostengeschehen.

• Datenverfügbarkeit im ganzen Haus muss zu jeder Zeit gewährleistet sein. Mit Hilfe entsprechender Software soll die Informationsdichte über den Patienten und seine Behandlungshistorie in den Einrichtungen erhöht und zentral vorgehalten werden. Hierzu dienen die Digitale / Elektronische Patienten-Akte (DPA / EPA) und die Elektronische Patientenkarte sowie die Krankenhaus-Informations-Systeme (KIS).

• Moderner IT-Einsatz muss zur Entlastung des Personals bei Verwaltungsaufgaben und Arbeitsabläufen sowie zur Verbesserung der Patientenbetreuung (Qualitätsmanagement der Patientenversorgung) durch freigewordene Arbeitszeit der involvierten Human Resources beitragen. Das Pflegepersonal verbringt im Durchschnitt ca. 50 Prozent seiner Arbeitszeit mit Dokumentation, Patientenverwaltung und Schriftverkehr. Bei Ärzten liegt dieser Anteil bei 30 Prozent.

• Die EDV soll bei der Definition, Einführung und Kontrolle von Behandlungsstandards helfen. Derzeit sind in jedem Krankenhaus die Behandlungswege und der Umfang der medizinischen Betreuung unterschiedlich, es gibt bis auf die DRG-Abrechnung (Diagnosis Related Group) mit den Krankenkassen keine klare Definition, wie Behandlungen gestaltet sein oder welchen Umfang sie haben sollen.

• Die IT muss neue Angebote im Bereich des Patienten-Entertainments wie „Internet-am-Krankenbett“, „Video on Demand“ und „Games on Demand“ erlauben.

• Eine moderne IT-Infrastruktur soll die WAN-Anbindung von Verwaltungssitzen, externen Apotheken, Ärzten und Praxen und die Vernetzung mit Zulieferbetrieben, Einkaufsgemeinschaften etc. ermöglichen. Sie hat den Aufbau von Supply Chains und Supply Chain Management zu unterstützen.

• Die einzusetzenden IT-Lösungen müssen den besonderen Datenschutzanforderungen der Branche genügen. Insbesondere bei zunehmender Vernetzung zwischen Krankenkassen, Kliniken, Krankenhäusern und Ärzten mit dem langfristigen Ziel eines integrierten Gesundheitswesens werden Datenschutz und Datensicherheit ein beherrschendes Thema.

Reinhold Hölbling, Geschäftsführer der MBmedien GmbH, Krefeld.
Quelle und Copyright: MBmedien GmbH, Krefeld.