„Der IT-Sektor stellt eine Art Leitbranche für die Arbeit in der Wissensgesellschaft dar, die für die öknomische Entwicklung eine wichtige Rolle spielt“, so Anja Gerlmaier vom IAT. Insofern präge der Sektor das allgemeine Bild vom modernen Arbeiten.
Wenn die Einschätzung zutrifft, sieht dieses Bild nicht gut aus: Gerlmaier prophezeit eine Reihe chronisch übermüdeter Zyniker, desillusioniert und ausgebrannt. Das, was sie an ihrem Beruf schätzen – interessante Aufgaben und das Gefühl, sich selbst zu verwirklichen – reicht nicht mehr aus, um den Frust zu stoppen.
Als konkrete Stressfaktoren in IT-Projekten nennen die IAT-Wissenschaftler:
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Widersprüchliche Arbeitsziele, zum Beispiel, wenn Kunden während der Arbeit am Projekt Zusatzaufträge erteilen, die ursprünglich vereinbarten Aufgaben aber trotzdem termingerecht und ohne zusätzliche Kosten erfüllt werden müssen,
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Widersprüche zwischen Aufgaben und Ausführungsbedingungen, etwa, wenn Mitarbeitern unangemessene Hard- und Software zur Verfügung haben, sowie
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Lernrestriktionen, wenn Mitarbeiter Software-Lösungen für Kunden erstellen müssen, ohne deren Echtbetrieb zu kennen und
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Widersprüche zwischen subjektbezogenen und arbeitsbezogenen Zielen, wenn IT-Spezialisten entgegen ihren Ansprüchen an die eigene Professionalität nicht ausreichend getestete Systeme ausliefern, weil an Testbudgets gespart wird oder
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Widersprüche zwischen arbeits- und lebensweltlichen Anforderungen, wenn also wegen des hohen Termindrucks regelmäßig am Wochenende gearbeitet wird und die IT-Fachleute nicht mehr dazu kommen, ihre Familie zu sehen.
Müde und mit Rückenschmerzen
Infolgedessen leiden IT-Spezialisten signifikant häufiger als der Durchschnitt deutscher Beschäftigten unter psychosomatischen Beschwerden, so die Studie. Demnach fühlen sich 72 Prozent der Projektmitarbeiter übermüdet, im Schnitt geben das 17 Prozent an. Danach folgen Nervosität (IT-Branche: 58 Prozent, Durchschnitt: 21 Prozent) und Rückenschmerzen. Dabei allerdings liegen IT-Fachleute mit 41 Prozent knapp unter dem Schnitt von 42 Prozent.
Als Lösung schlägt das IAT vor, Projektmitarbeiter stärker in die Verhandlungen über Verträge und ihre Rahmenbedingungen einzubeziehen. Außerdem sollten IT-Fachleute über den Tag hinweg immer wieder Pausen einlegen und konsequent das Wochenende freihalten. Anja Gerlmaier: „Das ist zur Stress-Prävention deutlich wirksamer als Angebote von Blockurlaubszeiten oder Sabbaticals.“
In der Pflicht ist aber letztlich die Führungsriege der Unternehmen, so die Wissenschaftler. Das Management müsse eine entsprechende Sensibilität oft erst durch Trainings und Schulungen entwickeln.
Anja Gerlmaier und ihr Kollege Erich Latniak vom Forschungsschwerpunkt Arbeitszeit und Arbeitsorganisation am Institut Arbeit und Technik (IAT) haben für die Untersuchung 16 Monate lang sieben Mitarbeiter-Teams in Softwareentwicklungs- und –beratungsprojekten beobachtet.