106 Unix-Systeme von vier verschiedenen Herstellern, 550 vollkommen einheitliche Netzwerkkomponenten, 650 Windows-Systeme mit 15 verschiedenen Betriebssystemvarianten, 447 Oracle-Datenbanken, 236 Middleware-Applications und 28 verschiedene Software-Development-Tools zählte der neue IT-Leiter der Emirates Patrick Naef nach seinem Einstieg in das Unternehmen. Kein Wunder, dass seinerzeit Betrieb und Wartung der Systemlandschaft an den Rand des Möglichen stießen. Dabei war die IT-Landschaft aus lauteren Motiven entstanden: Wann immer die Airline Bedarf an neuen IT-Services anmeldete, beantwortete die IT-Abteilung die Anfrage mit dem Aufbau eines neuen Systems, das dann via Middleware oder über selbst geschriebene Schnittstellen mit den vorhandenen Applikationen verknüpft wurde. "Ein wesentlicher Grund für das Chaos war, dass sich die IT als reiner Dienstleister und nicht als Business-Partner verstand. Aber es fehlten halt eine zentrale Sicht auf die gesamte IT-Architektur und vor allem eine ordnende Hand", beschreibt Naef die Vergangenheit.
Bei Bedarf gab es ein neues System
Der Wildwuchs von IT-Systemen ist jedoch nicht auf die Arabische Halbinsel beschränkt: Alle Unternehmen haben mit ihrer historisch gewachsenen Infrastruktur zu kämpfen. Doch gibt es in Dubai eine Reihe von Faktoren, die das Ausufern der Infrastruktur begünstigen: In der dynamisch wachsenden Region ist keiner der weltweit tätigen IT-Dienstleister vertreten - der Gedanke an Outsourcing kommt hier niemandem in den Sinn. Außerdem hat der Faktor Kostensenkung, ein wichtiges Motiv hierzulande für die Vergabe von IT-Dienstleistungen, in den Vereinigten Arabischen Emiraten keinen so hohen Stellenwert. Denn abgesehen davon, dass Kosten eine untergeordnete Rolle spielen, liegen die IT-Gehälter in Dubai in der Größenordnung des Offshore-Mekkas Indien. Mehr als 90 Prozent der 1.600 IT-Mitarbeiter bei Emirates sind Inder. Zudem unterhält die Airline mehrere Entwicklungszentren in Indien. Und es gibt einen weiteren Grund für den IT Wildwuchs: "Hier herrscht eine unglaubliche Aufbruchstimmung. Eine Facette davon ist der Grundsatz, möglichst alles selbst zu machen", hat Naef beobachtet.
Im September vorigen Jahres begann das Change-Projekt mit einer kompletten Neudefinition aller Kernprozesse. Die Ziele: die IT enger am Business ausrichten, End-to-End-Services für die Kunden schaffen, von den Geschäftszielen getriebene Governance-Regeln etablieren, IT- und Architekturstandards festlegen, ein verbindliches Sourcing-Modell etablieren und die Rolle der IT in der Emirates-Gruppe neu definieren.
Als wichtigstes Lenkungsinstrument gründete Naef das "IT-Steering Board" (ITSB), das für die Ausrichtung der IT an den Geschäftsanforderungen der Emirates Group zuständig ist. Unter seinem Vorsitz treffen sich jetzt regelmäßig die IT-Chefs mit Business-Managern der Unternehmen der Emirates Group. Wichtigste Aufgaben: die Formulierung der IT-Strategie der gesamten Unternehmensgruppe, die Definition von Prioritäten und das Abstecken des IT-Kostenrahmens.
"Oft scheitern Change-Projekte an der fehlenden Akzeptanz, besonders wenn sie dem Unternehmen von externen Beratern von außen verordnet werden", sagt Naef. Daher entschied er sich anders. Er automatisierte nicht einfach vorhandene Abläufe, sondern definierte die Prozesse neu. "Wir haben 20 unserer besten Leute aus den verschiedenen Teams der IT praktisch fulltime aus dem Tagesgeschäft geholt, mit ihnen die bisherigen Abläufe analysiert und ihnen den Auftrag gegeben, die Kernprozesse neu zu definieren und daraus eine neue Organisationsstruktur für die IT vorzuschlagen“, so Naef. "Diese Leute haben dann die Pläne und Veränderungen in die Organisation getragen - dadurch war die Akzeptanz für die Umstellung sehr hoch, obwohl kein Stein auf dem anderen blieb.“
50 Fluglinien nutzen Emirates-IT
Entscheidend für die erfolgreiche Neuausrichtung war die konsequente Inhouse-Philosophie: "Viele Airlines haben die Abwicklungsprozesse als Commodity outgesourct. Wir können Prozessinnovation in diesem Umfang implementieren, weil wir die komplette Entwicklung im Hause haben", freut sich der IT-Manager.
Und seine Anstrengungen haben längst erste Ergebnisse gebracht: Statt einer Vielzahl von PC-Lieferanten bezieht die gesamte Emirates Group ihre PCs und Laptops von nur noch zwei Herstellern - mit globalem Einkauf und Service. Statt der verschiedensten Unixs Varianten mit unterschiedlichen Release-Ständen kommen in der konzernweiten IT-Landschaft nur noch die zwei Systeme AIX und Linux zum Einsatz. Statt der Riesenmenge verteilter Application-Server sind sämtliche Hardware-Ressourcen in einem zentralen Rechenzentrum am Airport in Dubai konzentriert, mit zuverlässigen Backup- und Hochverfügbarkeitsmechanismen in einem zweitem Rechenzentrum. Die gesamte Emirates Group setzt jetzt ein einziges ERP-System ein, eine einheitliche HR-Lösung verwaltet alle Mitarbeiter der Unternehmensgruppe. Unterschiedliche Dokumenten-Management- und Scanning-Systeme wurden durch eine konzernweite ECM-Lösung (Enterprise-Content-Management) ersetzt.
Skychain ersetzt 23 Legacy-Systeme
Besonders stolz ist Naef auf das neue Frachtabwicklungssystem SkyChain. Denn vor allem im Luftfrachtbereich wächst Emirates Airlines stark. Schon jetzt betreibt die Fluglinie zehn Boeing-Jumbo-Frachtmaschinen - 20 weitere sind bestellt. Das neue SkyChain-System ersetzt die Funktionen von 23 Legacy-Systemen, die alle abgeschaltet werden konnten. "Das ist ein riesiger Schritt zur Vereinfachung von Geschäftsprozessen mit gleichzeitiger Komplexitätsreduktion der IT-Infrastruktur", fügt Naef hinzu.
Mit dem System "Paradise" für das Crew-Management, das alle Funktionen der Mitarbeiterverwaltung ("hire and retire cycle") vom Recruitment bis zur Planung und Zusammenstellung der fliegenden Crews zusammenfasst, ist schon eine weitere integrierte Lösung im Betrieb. Bereits im Einsatz ist auch das neu entwickelte Kunden-Management-System "KIS" für die Vielflieger, das den mobilen Zugang zu Passagierinformationen ermöglicht.
Naef und seine Auftraggeber können also zufrieden sein mit den Fortschritten. Gelegentlich stieß er allerdings auf Unverständnis bei den Managern der Konzernunternehmen, erzählt der IT-Leiter der Emirates Group augenzwinkernd. Denn als er die ersten Früchte des IT-Umbaus in Form geringerer Verrechnungssätze für IT-Dienstleistungen ankündigte, hieß es: Da müsse wohl etwas schief laufen in der IT-Organisation, schließlich gehe es um dem Aufbau einer möglichst leistungsfähigen IT. Und deshalb wolle man gerne mehr - und keinesfalls weniger - Geld für IT-Dienstleistungen ausgeben.