Geht es um einen Fahrplan in Richtung künstliche Intelligenz (KI) und Data-Driven Thinking, tappen die meisten deutschen Firmenlenker auch im Jahr 2020 im Dunkeln. Noch immer fehlt vielerorts eine Datenstrategie, die den Unternehmen und ihren Stakeholdern deutlich macht, wohin die Reise gehen soll. Ein Grund dafür: Viele Fach- und Führungskräfte unterscheiden nicht zwischen einer Digital- und einer Datenstrategie.
Die Digitalisierung ist eigentlich bereits ein alter Hut. Ihre ersten Hochphasen feierte sie in den 90er Jahren mit der Etablierung von ERP-Software, Webseiten, E-Mail und Scannern mit Texterkennung. Der damit einher gehende Wandel in den Unternehmen ist jedoch ein langwieriger Prozess, der bis heute andauert. Befeuert wird er aktuell durch mobile Anwendungen (Apps), Blockchain-Projekte und die Vernetzung von Dingen (Internet of Things). Diese Technologien treiben die Digitalisierung voran.
So werden Logistikprozesse in naher Zukunft auch mithilfe autonomer Drohnen abgewickelt, Verträge über die Blockchain legitimiert und viele Verkäufe über mobile Applikationen ausgelöst oder zumindest bezahlt. Es sind Themen vor allem für Software-Entwickler und -Ingenieure, häufig angeleitet vom sogenannten Chief Digital Officer.
Diese Protagonisten entwickeln die digitalen Produkte und Prozesse weiter. Dabei werden Letztere in der Regel nicht eins zu eins von analog in digital übersetzt, sondern im besten Fall komplett neu gestaltet. Daraus folgt die digitale Transformation. Sie sorgt beispielsweise dafür, dass es zukünftig kaum noch Reisebüros oder Kassierer geben könnte. Die Blockchain wird vermutlich die Bedeutung von Notaren reduzieren und auch Makler dürften dank mobiler Anwendungen, Augmented und Virtual Reality weniger benötigt werden. Fast alle menschlichen Vermittler lassen sich weitgehend durch digitale Services ersetzen.
Anders verhält es sich mit Trends wie Big Data, Analytics, Data Science oder KI. Dabei geht es nicht um das Generieren, sondern um das Nutzen von Daten, die von den digitalen Systemen erst geschaffen werden. Die Daten in einer Blockchain, aus mobilen Apps oder autonomen Fahrzeugen werden in Datenbanken gespeichert und warten nur darauf, ausgewertet zu werden.
Die Erkenntnisse aus der Datennutzung werden den digitalen Systemen dann in Echtzeit beispielsweise als Prognose-Service bereitgestellt oder geben darüber Aufschluss, welche Verbesserungen an den digitalen Produkten sinnvoll sein können. So lassen sich mithilfe von Daten und KI in Zukunft Buchhaltungsprozesse automatisieren, medizinische Diagnosen erstellen und autonome Fahrzeuge im Straßenverkehr steuern.
Die Begriffe Digital und Data bedeuten folglich nicht dasselbe. Sie überlappen sich sogar weniger als auf den ersten Blick zu erwarten wäre, stehen aber in Abhängigkeit zueinander: So sind beispielsweise Analysen von Einkäufen oder Kundenbestellungen eindeutig ein Data-Thema. Möglich werden sie jedoch nur, weil sich das Unternehmen mit der Einführung eines ERP-Systems bereits digitalilsiert hat. Die Erkenntnisse aus der Nutzung von Daten fließen dann wieder in die Produktverbesserung im Sinne der Digitalisierung ein.
Data ist also der zweite Schritt nach Digital und fügt den digitalen Prozessen ein Gedächtnis und maschinelles Lernen hinzu. Hier kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel, deren weitere Entwicklung das begonnene neue Jahrzehnt dominieren und vermehrt operative Entscheidungen in Unternehmen übernehmen wird.
Digital- versus Datenstrategie
Vor diesem Hintergrund unterscheiden Pionier-Unternehmen klar zwischen einer Digitalstrategie und einer Datenstrategie. So gibt es beispielsweise innerhalb desselben Konzerns sowohl Digital Labs als auch Data Labs. Das Digital Lab beschäftigt sich vornehmlich mit Themen wie Software-Entwicklung für mobile Anwendungen, Social Media, Blockchain oder Internet of Things (IoT). Im Data Lab geht es hingegen um die Speicherung und Analyse von Daten aus der klassischen IT-Infrastruktur sowie aus den neuen Anwendungen. Solche Aufgaben übernehmen Experten wie Data Engineers und Data Scientists.
Auf ähnliche Weise lassen sich auch Digital- und Datenstrategien voneinander abgrenzen. Die Digitalstrategie befasst sich beispielsweise damit, wie sich Services für Kunden über mobile Anwendungen verbessern lassen oder wie Produkte mithilfe von Sensoren und Displays auch als Datenlieferanten genutzt werden können.
Die Datenstrategie beschäftigt sich hingegen mit der effizienten Speicherung der Daten, der Einhaltung einer Data Governance unter Berücksichtigung von Datensicherheit und Datenschutz sowie mit den analytischen Methoden und Tools zur Erreichung der Ziele, die mit der Nutzung der generierten Daten verbunden ist. Das heißt jedoch nicht, dass die Datenstrategie nicht ein eigener Teil innerhalb einer Digitalstrategie sein kann.
Ein "Data-Driven Thinking" im Unternehmen zu verankern, ist ein langfristiges Projekt. Um dennoch bereits heute strukturiert in die Datennutzung einsteigen und diese kontinuierlich ausbauen zu können, bedarf es eines Fahrplans für Projekte mit konkreten Problem- und Lösungsbeschreibungen. Dabei sollten Unternehmen die Ziele festlegen sowie die richtigen Datenquellen und Analysemethoden identifizieren.
Zu klären sind auch Fragen zur benötigten Software, Hardware, der Teamorganisation sowie zu den Qualifikationen der Mitarbeiter. Data Analytics im Allgemeinen und künstliche Intelligenz im Speziellen benötigen viele Daten in guter Qualität an den richtigen Stellen. Eine Datenstrategie arbeitet auf diese Ziele hin. Sie kann somit auch als ein Business-Plan für die Datennutzung verstanden werden, der die Ziele und Voraussetzungen für diese Nutzung beschreibt, aber auch weitere Anforderungen, Grenzen und das Vorgehen klärt.
Nicht nur für Großunternehmen
Die Möglichkeiten der Datennutzung sind nahezu unbegrenzt, wenn der Zugriff auch auf unternehmensexterne Datenquellen in die Datenstrategie aufgenommen wird. Schon mittelständische Betriebe verfügen heute über einen großen Schatz an Daten aus internen Quellen. Damit lassen sich etwa Einkaufsprozesse und Lieferketten optimieren, Kundennachfragen besser verstehen und interne Finanzrisiken genauer bewerten. Eine Datenstrategie ist deshalb nicht nur für große Unternehmen interessant. Auch Startups bauen ihr Business-Modell vielfach direkt auf Daten und KI auf.
Für einige Unternehmen sind Digitalstrategien weniger wichtig, da sich ihr Geschäft ohnehin beispielsweise um E-Commerce dreht oder direkt auf digitalen Plattformen gegründet wurde. Für Unternehmen aus der klassischen Industrie gilt das oft nicht, wenn sie etwa im Sinne von Industrie 4.0 die Digitalisierung über eine Maschinenvernetzung vorantreiben und Produktionsanlagen viel enger mit den IT-Systemen verzahnen.
Solche Unternehmen brauchen eine klar ausformulierte Strategie, wie die Digitalisierung und die mit ihr verbundene Transformation bewältigt und vorangetrieben werden soll. Eine Datenstrategie, die beschreibt, wie Maschinendaten gespeichert und ausgewertet werden sollen, ist dann entweder als separates Strategiewerk auszugliedern oder als fester Bestandteil der Digitalstrategie zu formulieren.
Ein Senior Data Scientist reicht nicht
Während noch vor wenigen Jahren oft gefordert wurde, Data Science als eigene Disziplin im Unternehmen zu etablieren und Data Scientists einzustellen, verfügen heute die meisten Großunternehmen und auch viele Mittelständler über solche Spezialisten. Doch trotz der hohen Kompetenz der Data Scientists stellt sich in vielen Unternehmen Ernüchterung ein, wenn es um deren Wirkung geht.
Zum einen, weil gute Data Engineers fehlen, die Daten effizient in Datenbanken sammeln und effektiv über Schnittstellen bereitstellen können. Zum anderen, weil die Data Scientists oft vom Management allein gelassen werden. Hier gibt es möglicherweise das Vorurteil, Data Science wäre ein in sich abgeschlossener Bereich der angewandten Forschung.
Sinnvoller wäre es, diese als interdisziplinäre Querschnittsfunktion für alle anderen Fachabteilungen zu betrachten. Selbst der beste Data Scientist bewirkt im Unternehmen nichts, wenn seine Erkenntnisse auf Grund mangelnder Offenheit nicht genutzt oder in Projekte umgesetzt werden. Und auch sehr motivierte Data Scientists können nur für begrenzte Zeit gegen den Strom schwimmen.
Zudem haben Data Scientists die Datenkompetenz nicht für sich allein gepachtet. Alle anderen fachlichen Mitarbeiter sollten ebenfalls zumindest über ein Grundverständnis verfügen. Denn auch zentrale Stellen wie etwa Abteilungen für Business Intelligence oder die experimentierfreudigeren Data Labs kommen ohne Expertise aus den jeweiligen Fachbereichen nicht aus.
Sichtbar wird das spätestens, wenn es um die Produktivstellung von Analyse-Systemen geht. Außerdem entstehen die wirklich sinnvollen Lösungsansätze nicht an zentraler Stelle, sondern direkt in den Fachabteilungen. Kein Unternehmen wird durch eine zentrale Abteilung "data-driven".
Diese Entwicklung muss sich durch die ganze Organisation ziehen. Unternehmen brauchen also eine generelle Datenkompetenz, nicht nur bei den Fach-, sondern auch bei den Führungskräften. Letztere müssen für ein lösungsorientiertes Denken eintreten und dabei stets im Auge behalten, welche Rolle Daten dabei spielen können.