Global aufgestellte Mittelständler haben es nicht leicht: Mit kleiner IT-Mannschaft und knappen Budgets müssen sie die zwar kleinere, aber oft ebenso komplexe IT-Landschaft ihrer Betriebe am Laufen halten. "Wir müssen dieselben Anforderungen erfüllen wie Großunternehmen, erhalten aber viel weniger Unterstützung durch IT-Anbieter und Servicedienstleister", sagt Lars Gerdes, CIO der Rickmers Holding in Hamburg. Mit nur 15 Mitarbeitern in seiner IT-Abteilung ist er für die IT in der Hamburger Zentrale, an 20 Auslandsstandorten und auf rund 90 Schiffen zuständig.
Er ärgert sich nicht nur darüber, dass es für seine Anforderungen der Seeschifffahrt an speziellen Applikationen, Service- und Beratungsleistungen mangelt, sondern vor allem darüber, dass gerade kleinere Mittelständler von den großen Anbietern stiefmütterlich behandelt werden. "Das beginnt schon mit Messen und Kongress-veranstaltungen", sagt Gerdes, "die dort gezeigten Ansätze sind in der Regel auf Großunternehmen zugeschnitten. Schon vom Analyse-, Implementations- und Dokumentationsaufwand her kommen sie für kleinere Betriebe nicht in Frage."
Berater sind "mittelstandsblind"
Nach seiner Ansicht ist das aber nur die Spitze des Eisbergs: "Der typische SAP-Berater ist Spezialist für einen ganz bestimmten Bereich und kennt nur Großbetriebe, in denen er mit anderen Spezialisten Hand in Hand arbeitet." Gerdes nennt das "insulare" Zuständigkeiten. "Der Mittelstand braucht aber einen anderen Beratertyp, einen, der sich ganzheitlich auskennt und die Einführung von Systemen aus einer Hand leisten kann", fordert er. Von den Methoden bis zu den Tagessätzen, die für die IT-Budgets der kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) meist außerhalb des Machbaren lägen, gehe das Angebot der großen Applikations- und Serviceanbieter an den Anforderungen des Mittelstands vorbei. Vermutlich spricht er den meisten KMU-CIOs aus dem Herzen, wenn er besonders den großen IT-Anbietern "Mittelstandsblindheit" attestiert.
Auch den kleineren Systemintegratoren und Beratungshäusern stellt er kein gutes Zeugnis aus. Hier habe er es oft mit einer "Ängstlichkeitskultur" zu tun. "Die scheuen sich oft, wirkliche Komplettangebote vorzulegen. Denn sie fürchten, dass sich das angebotene System später als schlecht dimensioniert, nicht hinreichend skalierbar oder in anderer Hinsicht als nicht optimal erweist und sie dann mit Nachbesserungsforderungen in der Haftung stehen", sagt Gerdes. Die Folge: "Mit unseren ohnehin knappen Ressourcen müssen wir den gesamten Integrationsaufwand von Hardware, Betriebssystem und Applikationen selbst leisten." Und auch dabei sei ein kleineres Unternehmen benachteiligt: "Bei den vergleichsweise geringen Stückzahlen, die wir bestellen, haben wir sowohl von den Konditionen und Reaktionszeiten her als auch beim Support einen schlechteren Stand, als wenn Daimler oder die Deutsche Bank beim Lieferanten anfragt."
Einzigartige Schiffs-IT
In der Rickmers Holding sind Charter-Reedereien mit zurzeit 81 Schiffen, eine Linienreederei mit neun Schiffen sowie eine Immobiliengesellschaft und weitere Unternehmen organisiert. Die Holding dient dabei als IT-Service-Dienstleister für alle Tochtergesellschaften.
"Landseitig unterscheidet sich unsere IT-Landschaft kaum von der anderer Unternehmen", sagt Gerdes. Rückgrat der Unternehmens-IT ist ein ERP-System von SAP, an das alle IT-Arbeitsplätze angeschlossen sind; weltweit rund 450 Mitarbeiter, 200 in Deutschland, die anderen auf 20 Auslandsstandorte in elf Ländern verteilt. "Aber auf den Schiffen benötigen wir natürlich eine ganz spezifische IT-Ausstattung, die sich in dieser Form nirgendwo anders findet", erzählt der Rickmers-CIO. Insgesamt fahren rund 2750 See-leute auf den Schiffen der Rickmers-Reederei und Rickmers-Linie.
Die Softwareausstattung auf den Schiffen ist äußerst komplex: von Navigationssystemen, Doku-Software und Formularen für die Zoll- und Hafenabfertigung über Datenübertragungs- und Planned-Maintenance-Systeme, die für die Einhaltung der Wartungsintervalle der Maschinen und des Schiffszubehörs sorgen, bis zum Laderechner, der die Ladungsverteilung an Bord errechnet, um die Stabilität des Schiffes zu gewährleisten, und dafür Sorge trägt, dass die Güter im Entladehafen zugänglich und nicht unter anderen Frachtstücken gestaut sind.
Zum Bedauern des CIOs gibt es keine integrierte Software, die alle Belange der Schiffs-IT abdeckt. Zwar gibt es eine Vielzahl von Nischenanbietern, die einzelne Spezialapplikationen liefern, aber für die Integration der Applikationen muss Gerdes selbst sorgen. "Ich würde mir wünschen, dass ein namhafter Hersteller ein umfassendes Software-Package, eine Art Mini-ERP-System, für alle Schiffsapplikationen anbietet. Zurzeit haben wir aus Mangel an Alternativen an Bord unserer Schiffe einen Best-of-Breed-Ansatz", erläutert Lars Gerdes. Angesichts mehrerer tausend Schiffe auf den Weltmeeren könne sich nach seiner Ansicht daraus auch für Anbieter ein durchaus lukratives Geschäft ergeben. Auch andere Reedereien, weiß der Rickmers-CIO, sind mit der Situation unzufrieden und suchen nach Alternativen für die IT-Ausstattung ihrer Schiffe.
Teure 64-Kbit/s-Übertragung
Gerdes hat ein weiteres Problem: Die Datenübertragungsrate zu den Schiffen ist äußerst gering. Je nach Position des Schiffes und Art der Satellitensysteme sind gelegentlich nur Transferraten von 9600 Bit/s möglich. "Natürlich haben alle Schiffe eine Anbindung über Satellit, aber die Datenübertragungsrate reicht heute maximal bis 64 Kbit/s - das entspricht einer ISDN-Leitung und ist zudem unglaublich kostenträchtig, weil sich der Satellitenbetreiber Inmarsat als Quasi-Monopolist jedes Byte teuer bezahlen lässt", sagt Gerdes. Zu seinen Aufgaben gehört es deshalb auch, den Markt im Auge zu behalten, um sich rechtzeitig auf künftige Entwicklungen einstellen zu können.
Zwei Schiffe sind testweise schon mit einem System eines Hamburger Anbieters ausgestattet, das verschiedene Techniken integriert: Von Satellitenübertragung auf hoher See über UMTS und GPRS für Fahrten in Küstennähe bis zu WLAN-Hotspots an den Hafenliegeplätzen kann das System auf die jeweils günstigste verfügbare Übertragungstechnik umschalten. Auch der Markt für Satellitenübertragung bewegt sich: "Im Hafen- und Küstenbereich tut sich hier einiges; zudem haben amerikanische Betreiber von Fernsehsatelliten in letzter Zeit Überkapazitäten aufgebaut, die sie für Datenübertragungen vermarkten möchten. Diese Entwicklungen beobachten wir natürlich sehr genau", sagt Gerdes.
Kein Interesse an KMUs
Denn eine verlässliche Anbindung der Schiffe mit vernünftiger Bandbreite würde den CIO von vielen Sorgen befreien. Damit würden nicht nur Wartung und Softwareverteilung via Remote-Anbindung, son-dern auch die Datensicherung und sogar Voice-over-IP möglich. "Es würde uns erheblich entlas-ten und zu deutlichen Kosteneinsparungen führen, wenn wir die Schiffe permanent mit einer ähnlichen Datenübertragungsrate wie die Auslandsstandorte anbinden könnten", sagt Gerdes.
Dass die spezielle Problematik der Seeschifffahrts-IT nicht von der Größe seiner Firma abhängt, ist Gerdes klar. Aber in einem anderen Punkt fühlt er sich wegen der Unternehmensgröße ausgegrenzt: "Wir wollten unseren globalen 24/7-Support in Form von Managed-Services an einen Provider vergeben - aber die hatten kein Interesse." Wegen der zu geri ngen Anzahl von Arbeitsplätzen haben die Serviceanbieter abgewinkt - trotz globaler Präsenz als Kunde nicht lukrativ, musste Gerdes erfahren.
Hauptsitz |
Hamburg; weltweit aktiv mit mehr als 20 Auslandsstandorten in elf Ländern |
Mitarbeiter |
450 an Land, 2750 auf See |
Geschäftsfelder |
Reederei: 81 Schiffe verchartert an Reedereien wie Hapag-Lloyd; Linienschifffahrt: neun Spezialschiffe für sperrige Güter wie Lokomotiven und Maschinen; Immobilien |
IT-Kennzahlen |
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CIO |
Lars Gerdes (43), seit Mai 2007 |
IT-Mitarbeiter |
15 |
IT-Benutzer |
430 an Land, 500 an Bord |
Wichtigste Dienstleister |
SAP, Softship, Dell, Colt |
Aber einem von Mittelständlern oft vorgebrachten Vorwurf stimmt er nicht zu: Die Personalsituation sehe bei ihm nicht schlechter aus als in Großunternehmen. Während die IT-Verantwortlichen von KMUs wegen schlechterer Aufstiegs- und Entwicklungschancen sowie oft geringerer Bezahlung darüber klagen, dass sie Schwierigkeiten mit dem IT-Nachwuchs hätten, hat der Rickmers-CIO andere Erfahrungen gemacht: "Wir haben in der Regel wenig Schwierigkeiten, ausgeschriebene Positionen mit qualifiziertem und engagiertem Personal zu besetzen." Das liege aber auch daran, dass er ausgesprochen interessante und anspruchsvolle Projekte und einen attraktiven Standort zu bieten habe. "In anderen mittelständischen Branchen abseits der größeren Ballungsräume wird das möglicherweise etwas anders aussehen", vermutet Gerdes wohl nicht zu Unrecht.