Der letzte Parteitag der Münchener Piraten hat gezeigt, welches Netzwerk für die IT immer noch unverzichtbar ist: das Stromnetz. Der Ansturm der Mitglieder auf die ersten beiden Tischreihen sei enorm gewesen, berichtete die "Süddeutsche Zeitung". Schließlich lagen nur dort Steckdosen für die Notebooks der Besucher. Und so betitelte die Zeitung dann auch den Artikel mit dem Zitat eines "verzweifelt nach Energie suchenden" Piraten: "Ohne Strom sind wir nichts."
Dabei bemühen sich Lieferanten, Dienstleister und Anwender seit Jahren, den Stromverbrauch zu senken, und das ist auch gut so: Nach einer aktuellen Berechnung des Borderstep-Instituts für den Branchenverband Bitkom lag der Stromverbrauch von Servern und Rechenzentren in Deutschland im Jahr 2011 bei 9,7 Terawattstunden (TWh). Damit entsprach er einem Anteil von 1,8 Prozent am Stromverbrauch in Deutschland. Andere Studien bewegen sich bei rund zwei Prozent. Von Stromsparen kann jedenfalls keine Rede sein.
Karsten Lereuth, CEO des TK-Konzerns BT Germany, lässt trotzdem nichts auf die IT kommen - schon gar nicht auf die Kommunikationstechnik. So wettete er im CIO-Jahrbuch 2012: "In zehn Jahren wird der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie zu mehr Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft führen." Der Manager beschwor den technischen Fortschritt - Stichwort: Cloud - und forderte Unternehmen auf, "hier schnell und ernsthaft Verantwortung" zu übernehmen.
Was durchaus geschieht: Audi beispielsweise ist es ernst mit Green IT, das neue Rechenzentrum (RZ) in Ingolstadt wird "die höchste Stufe der Energieeffizienz erreichen", sagt CIO Mattias Ulbrich. Die Frage nach dem "greenwashing" der Marke lässt er nicht gelten: "Wir machen hier nicht auf 'Öko', uns ist Nachhaltigkeit als Bestandteil unserer Unternehmensstrategie sehr wichtig." Durch den Einsatz moderner Technologien und Konzepte soll der Stromhunger der IT um ein Drittel sinken. Mit dem Verbrauch 2010 der damals noch drei Rechenzentren am Standort - rund 20 Millionen KWh - hätte man mehr als 5000 Einfamilienhäuser versorgen können. "Die Einsparungen rechnen sich", sagt Ulbrich, "aber wir machen es nicht nur deswegen. Bei der Planung ging es uns darum, ökologische und gesellschaftliche Aspekte genauso zu berücksichtigen wie ökonomische."
Sieht sauber aus, macht aber jede Menge Dreck: PCs stoßen weltweit rund 407 Millionen Tonnen CO2 aus, dicht gefolgt von der Telekommunikation mit 307 Millionen Tonnen. Demgegenüber sind Rechenzentren mit "nur" 116 Tonnen fast schon sauber. |
"Blauer Engel" für Rechenzentren
Der Automobilkonzern ist beileibe keine Ausnahme, in vielen neuen IT-Zentralen ist der Energieverbrauch ein wichtiges Kriterium. Damit sich der Trend beschleunigt, gibt es seit Kurzem sogar einen "Blauen Engel" für energieeffiziente Rechenzentren. "Die Resonanz ist erfreulich hoch, einige Betreiber haben sich bereits dem Antragsverfahren gestellt", berichtet Marina Köhn, Informatikerin und Green-IT-Expertin beim Umweltbundesamt (UBA). Auf der einen Seite sollen mit dem "Blauen Engel" RZ-Betreiber ausgezeichnet werden, die den Weg zur effizienten Nutzung von Energie und Ressourcen sowie zur kontinuierlichen Verbesserung einschlagen. "Auf der anderen Seite dienen die Kriterien der Auszeichnung für das öffentliche Beschaffungswesen als Hilfestellung und Orientierung für die Ausschreibung von RZ-Leistungen", sagt Köhn.
Damit entwickelt sich Nachhaltigkeit von einem diffusen Angebot der IT-Abteilungen und Lieferanten hin zu einem Entscheidungskriterium für die Nachfrageseite. So werden beispielsweise seit Anfang des Jahres alle Gebäude und Einrichtungen im Besitz der Stadt Stuttgart zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt. Auch werden zunehmend Aspekte der Energieeffizienz und des Umweltschutzes bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt. "Wenn Sie ein Rechenzentrum in Großbritannien haben und an der London Stock Exchange notiert sind, müssen Sie ab April 2013 alle Treibhausgasemissionen berichten", sagt Bettina Tratz-Ryan, Vice President und Leiterin der Research-Agenda für ökologische Nachhaltigkeit bei Gartner.
Dies gilt natürlich auch für die Betreiber von Clouds. "Entscheidend ist", so die Analystin, "dass Effizienzgewinne und Einsparungen auch nachvollziehbar gemessen und an die Kunden weitergegeben werden können." Langfristig wollten Unternehmen nicht nur Geld sparen, sondern die Einsparungen am Ausstoß von Treibhausgasen auch in ihrem Nachhaltigkeitsbericht ausweisen können. Hier werde der gesamte Lebenszyklus aller Produkte abgebildet, sagt die Gartner-Expertin: "Große Firmen können es sich nicht leisten, selbst ‚grün’ herzustellen und die Grundprodukte zu vernachlässigen." Da die Lebenszyklusanalysen zudem überprüft werden müssen, sei dies "ein gewaltiger Aufwand für Unternehmen".
Es sei in der Tat nicht leicht, alle Kriterien der Nachhaltigkeit zu erfüllen, berichtet Sebastian Stoll, Gründer der Plattform Ecologee.net und Green-IT-Berater beim Provider Biohost.de: "Sie machen keinen DAX-Konzern in zwölf Monaten zu einem ‚grünen’ Unternehmen, aber Sie können jedes Jahr graduelle Verbesserungen vornehmen." So sei Nachhaltigkeit weitaus mehr als der Einsatz von Ökostrom, auch wenn es hieran noch bei vielen Unternehmen scheitert. So speichern Schwungräder oder Druckluftgeneratoren Energie für Notfälle, Regen- oder Grundwasser trägt zur Kühlung des Rechenzentrums bei, und die Abwärme der Server wird wiederverwendet. Durchgängige Recyclingketten und die nachhaltige Weiterverwertung der Hardware sind heute noch die Ausnahme, ebenso die nachhaltige Büroausstattung. Für Stoll ist das "Optimum erst erreicht, wenn bei sämtlichen Unternehmensprozessen auf Nachhaltigkeit geachtet wird".
Greenpeace: 15 Prozent weniger geht
Auch Claudia Sprinz sieht die IT-Konzerne noch lange nicht am Ziel: "Durch die hohe Nachfrage und den Energieverbrauch müssen RZ-Betreiber und Provider mehr Verantwortung übernehmen", fordert die Green-IT-Expertin und Sprecherin von Greenpeace Österreich. IT-Lieferanten dürften nicht so tun, als komme der Strom aus der Steckdose. Es gelte, die vollständige Lieferkette transparent zu machen, zu kontrollieren und nachhaltige Angebote beim Einkauf zu bevorzugen: "Schließlich haben Konzerne viel mehr Einfluss als eine Bürgerinitiative - so ein Rechenzentrum ist ja der Traumkunde eines Energieversorgers."
Dabei ist die Greenpeace-Sprecherin beileibe keine Aktivistin, die den IT-Einsatz kategorisch verdammt - im Gegenteil. Sprinz verweist auf die Studie "Smart2020", die von Unternehmen der IT-Branche in Auftrag gegeben wurde und besagt, dass eine "smarte IT" die weltweiten Treibhausgasemissionen um bis zu 15 Prozent senken kann: "Gebäudesteuerungen, Transport- und Mobilitätskonzepte sowie bessere Anwendungen reduzieren den Energieverbrauch." So geht die Studie davon aus, dass rund die achtfache Menge der CO2-Emissionen der IT-Branche eingespart werden kann, wenn Geschäftsprozesse konsequent mit IT unterlegt und optimiert würden. In Deutschland wären das gigantische 193 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr.
"Die 'grüne' Wirkung der IT kann über zwei Hebel erreicht werden", sagt auch Stefan Heng, Leiter einer Studie zum Thema Green IT bei DB Research. Zum einen helfe die IT, bestehende Prozesse besser zu überwachen und effizienter zu steuern, zum anderen führe sie zu neuen Geschäftsmodellen und Prozessen, mittels derer Ressourcen eingespart werden können. "Green IT sollte nicht allein als Energiesparen bei der IT, sondern mehr noch als Energiesparen mit der IT verstanden werden", fordert der Forscher. So könne der Ansatz dazu beitragen, die Kopplung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum zu lösen. Daher ist Heng sicher: "Auch wenn die IT nicht 'grün' ist und es niemals sein wird - Green IT ist alles andere als eine schnell vergängliche Modeerscheinung."
PUE sagt nur die halbe Wahrheit
Die Kernidee "grün durch IT bringt mehr als grüne IT" wird zurzeit jedoch noch konterkariert durch die "Power Usage Effectiveness" (PUE). Diese beliebte Green-IT-Kennzahl setzt den Stromverbrauch der IT im RZ in Relation zum gesamten RZ-Stromverbrauch. Ein Wert von 1 ist rechnerisch ideal -dann geht der ganze Strom in Server, Speicher und Netzkomponenten. Das Dilemma dabei: Wenn etwa weniger Server durch Virtualisierung weniger Strom verbrauchen, verschlechtert sich der PUE, denn es geht anteilig weniger Energie in die IT. "Ein Insider kann abschätzen, dass PUE-Kennzahlen aus der Marketing-Abteilung stammen", bewertet Gartner-Analystin Tratz-Ryan die Lage. Auch Green-IT-Berater Stoll bezeichnet den PUE als "problematisch, denn er ist kein standardisierter Wert, sondern allenfalls ein Indikator". Für den Vergleich von Rechenzentren miteinander sei der PUE nicht geeignet. "Bisher gibt es keine allgemein anerkannten Vorgaben, wie die Ressourcen- und Energieeffizienz im RZ über eine umfassende Messgröße oder Kennzahl zur Messung der Leistungsfähigkeit der IT-Infrastruktur ausgewiesen werden kann", pflichtet Marina Köhn vom Umweltbundesamt bei.
Trotz aller Unwägbarkeiten liegt BT-Manager Lereuth mit seiner Wette gut im Rennen, schätzen die meisten Beobachter. Schließlich sei noch viel Zeit, die positiven Effekte in der IT und durch die IT umzusetzen. Und wer dies nicht aus einem "grünen" Antrieb heraus leistet, hat zumindest seine Kosten reduziert. Allein deshalb wird die IT dafür sorgen, dass Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltiger werden.
Lereuths Wette - IT hilft, Energie zu sparen "Ich wette, dass der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie in zehn Jahren zu mehr Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft führen wird", schreibt der BT-Manager im CIO-Jahrbuch. Karsten Lereuth (Foto) zielt in seiner Wette nicht primär auf die "grüne IT" ab, sondern vielmehr auf positive Effekte in allen Bereichen durch einen sinnvollen Einsatz von IT-Lösungen. Hier schlummert ein großes Rationalisierungspotenzial beim Energieverbrauch. So schreibt Lereuth: "Wir sind überzeugt, dass die ITK-Industrie eine Schlüsselrolle beim Übergang zu einer Wirtschaft mit geringem CO2-Ausstoß und mehr Energieeffizienz spielt und in diesem Prozess das Kommunikationsverhalten in Wirtschaft und Gesellschaft umfassend verändern wird." Als Kommunikationsunternehmen will BT natürlich von diesem Thema profitieren. Hinzu kommt der Hype um die Cloud: Große und industrialisierte Rechenzentren von Providern, so die Kalkulation, sind in der Regel energieeffizienter als das veraltete Data Center im Keller des Anwenderunternehmens. Die Folgerung von Lereuth, erst die Hinwendung zu diesen neuen Optionen erlaube ein energiesparendes und damit auch in Zukunft kostengünstiges Arbeiten, ist nachvollziehbar. Allerdings reicht es nicht, diese Verantwortung an einen Provider auszulagern. Jedes Unternehmen muss selbst für mehr Nachhaltigkeit in der eigenen IT sorgen. Und ein Unternehmen, das mithilfe der IT traditionelle Prozesse nachhaltiger gestaltet, kann davon finanziell enorm profitieren. |