Die Industrialisierung macht der Industrie zu schaffen. An ihren Produkten verdienen Maschinenbauer immer weniger,weil Wettbewerber mit Niedriglöhnen billiger produzieren und mit Dumping-Preisen sowie Billigkopien auf den Markt stoßen. Deswegen müssen Unternehmen dazu übergehen, Geld mit nachgelagerten Services zu verdienen. Allerdings vernachlässigen noch zu viele Unternehmen den Servicebereich.
Laut einer weltweit angelegten Studie von Deloitte & Touche machen Unternehmen der Fertigungsindustrie im Durchschnitt 25 Prozent ihres Umsatzes mit Dienstleistungen wie Wartung, Ersatzteillieferung und Finanzierung. Mit diesem Umsatzanteil fahren sie allerdings 46 Prozent des Gewinns ein. „Unternehmer sollten Serviceleistungen als Wachstumsträger behandeln und mit hoher Priorität in die Unternehmensstrategie integrieren“, rät Wim Vaessen, Partner und Leiter der europäischen Manufacturing Practice von Deloitte.
Der Maschinen- und Anlagenbau als drittgrößte Industriebranche erwirtschaftete 2005 ein Umsatzplus von 4,7 Prozent, nach 5,3 Prozent im Jahre 2004: Über 150 Milliarden Euro Umsatz machten die Unternehmen. Und für das laufende Jahr rechnet der VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) mit einem nochmaligen Wachstum von zwei Prozent. „Damit dürfte unsere Branche in den drei Jahren insgesamt um rund zwölf Prozent wachsen. Das ist ein stattliches Plus, das letztmalig in der Aufschwungphase 1988 bis 1990 übertroffen wurde“, resümiert VDMA-Präsident Dieter Brucklacher.
Geld für IT wäre im Maschinenanbau vorhanden, um Services auszubauen und End-to-End-Prozesse zu etablieren. Doch noch immer gilt der Maschinenbau bei ITAusgaben als konservativ. Auf rund drei Prozent vom Umsatz schätzt die Experton Group den Anteil der ITAusgaben. „Teils liegen die IT-Etats im Ein-Prozent-Bereich“, sagt Berater Andreas Burau von Experton. „Nur bei Projekten schnellt der Wert hoch.“ Zudem prägen die Branche sehr viele Mittelständler, die sich bei ihren IT-Investitionen eher zurückhalten. Durchschnittlich 146 Mitarbeiter beschäftigen Maschinenbauunternehmen.
Mit IT-Power automatisieren
Rainer Glatz, Leiter Informatik beim VDMA, sieht noch einen weiteren Grund für die geringen IT-Investitionen: „Nach den nicht eingetretenen großen Erwartungen an die IT in der 90er-Jahren glaubt das Management nicht mehr richtig an den Nutzen der IT.“ Ein Trugschluss, wie er meint. „Wegen der starken Konkurrenz in Asien müssen Maschinenbauer mit IT-Power automatisieren.“
Gerade die IT stellt für Marcus Eul, Mitglied der erweiterten Geschäftsführung des Beratungsunternehmens A.T. Kearney, auch den Hebel dar, um die Geschäftsprozesskosten im Unternehmen zu senken. Innovative Lieferkettenlösungen seien beispielsweise hierfür sehr wichtig. Rund 70 Prozent der CIOs geben Geld dafür aus, um die Kosten der Geschäftsprozesse zu senken. Das ergab eine Umfrage des Beratungshauses. „Viel überraschender war aber, dass 65 Prozent dafür investieren, um den Umsatz des Unternehmens zu steigern“, berichtet Eul. Bis vor kurzem wäre das noch undenkbar gewesen.
Ein Grund dafür liegt für Eul in der anziehenden Konjunktur, die Wachstumsphantasie im Management aufkommen ließen. Nur wissen Unternehmen zu wenig in Massenkundenmärkten wie Telekommunikation und Energiewirtschaft darüber, wer ihre Kunden genau sind und welche Produkte sie einsetzen. Sie kennen also nicht die Hebel, die sie für mehr Umsatz bewegen müssen. „Deswegen kommt aus der Not heraus der Hilferuf an die IT“, sagt Eul.
Als Beispiel für klug eingesetzte IT nennt Eul einen Maschinenbauer mit weltweit 60 Standorten, die alle eigenständig Geschäfte mit ihren Kunden gemacht haben. Wie sich herausstellte war es dadurch zu großen Preisunterschieden in den Einheiten und selbst innerhalb von Regionen gekommen. „Mit einer neuen After-Sales-Lösung hat das Unternehmen die Datentransparenz geschaffen, um anschließend die Preise intelligent anzugeglichen, was insgesamt zu mehr Umsatz führte“, berichtet Eul.
Kundenbeziehungs-Management-Systeme (CRM) wie beispielsweise After-Sales-Lösungen brauchen Unternehmen dringend. „Kundenservices, Ersatzteilbeschaffung und Finanzierung können die Unternehmen erfolgreich lediglich mit CRM-Systemen bieten“, sagt Experton-Berater Burau. „IT-Lösungen für Kataloge, Bestellroutinen und Multi-Channel-Kontaktaufnahme setzen aber noch zu wenige ein.“ Daneben steigt die Bedeutung von Business Intelligence (BI), um Kundendaten, Lebenszyklusdaten von Maschinen sowie Vertriebs- und Produktionsdaten zu analysieren.
Informationen für die Analysen stammen zunehmend auch aus Programmen, die in den Maschinen eingebaut sind. So überwacht beispielsweise ein Wasserboiler-Hersteller seine Geräte beim Kunden mit so genannter Embedded-Software, sammelt die Wartungsparameter in einer Datenbank und erhält so die Informationen über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Fehler analysiert der Techniker aus der Ferne beim Hersteller und vermeidet vorausschauend Störfälle und Verschleißprobleme.
In einem anderen Fall misst ein Landmaschinenhersteller mit eingebauter Software die Qualität des Bodens und hält fest, wie viel Düngemittel er aufs Land gestreut hat. Das Fahrzeug ist mit einem Satellitennavigationssystem ausgestattet. So weiß der Landwirt für jeden Quadratmeter seines Landes über die Qualität des Bodens Bescheid. Wenn im Herbst der Mähdrescher erntet, misst der wiederum den Ertrag pro Quadratmeter. Durch den Vergleich mit den Daten von Boden und Düngemittel weiß der Landwirt, wo er im nächsten Jahr mehr oder weniger Nährstoffe auftragen muss. Auf dieser Basis können der Einsatz und die Nutzung der Flächen optimiert werden. „Damit verbessert der Landmaschinenhersteller seine Wettbewerbsposition in Form höherer Kundenbindung, denn selbstverständlich ist diese Software proprietär. Beim Kauf einer Landmaschine eines anderen Herstellers würde der Landwirt wert
Daten verlieren“, sagt Berater Eul. „Ein Beispiel dafür, wie Embedded-Software den Wert eines Unternehmens steigert.“
Berater Jakov Cavar von Pierre Audoin Consultants (PAC) hält Embedded-Software für einen Megatrend. Dadurch komme aber ein höheres Datenvolumen auf Unternehmen zu. „CIOs müssen diese Daten in die anderen Bestände integrieren und das Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik und IT dokumentieren“, sagt Cavar. „Für diesen Kraftakt haben Unternehmen ihre Organisation aber noch nicht umgestellt.“
Volle Datentransparenz schaffen
Auf der technischen Seite gibt es für die Datenintegration MES-Lösungen – Manufacturing Execution Systeme. MES verbinden Daten aus Produktionsplanungssystemen mit Lösungen aus der Fertigung und schaffen so Transparenz. Letztlich geht es darum, eine integrierte Sicht auf alle Daten und Abläufe und jeweils die gesamte Prozesskette zu schaffen. MES ermöglichen es, die Produktion mit Echtzeitzeitdaten aus Maschinen und Anlagen zu steuern und schnell auf Änderungen zu reagieren. Bisher koppeln nur wenige Unternehmen diese Systeme miteinander. „Bei MES-Lösungen besteht ein sehr großer Nachholbedarf. Die weite Verbreitung in Unternehmen wird noch drei bis fünf Jahre dauern“, schätzt VDMA-Mann Glatz.
Deutlich IT-abstinenter als der Maschinenbau ist die metallverarbeitende Industrie. „Der IT-Einsatz hat bei diesen Firmen keinen hohen Reifegrad“, sagt PAC-Berater Cavar von PAC.„Die Systeme sind weniger standardisiert, nicht zuletzt weil die Unternehmen längst nicht so international aufgestellt sind wie Maschinenbauer.“ Eine Ausnahme bilden nur die stark in die Zuliefernetzwerke der Autoindustrie eingebundenen Unternehmen.
Technologie-affiner zeigt sich dagegen die Elektrotechnikindustrie. Weil Handys eine kurze Lebenszeit haben, sind Product-Lifecycle-Systeme und Lieferketten-Management sehr gereift. Gerätehersteller geben laut PAC zwischen zwei und vier Prozent ihres Umsatzes für IT aus. Ansonsten kämpft die IT dieser Branche wie der Maschinenbau mit der Internationalisierung. Technisch heißt das auch hier, SCM- und CRM-Systeme sowie Embedded-Software stärker einzusetzen und zu integrieren.
Wichtiger als die technische Lösungen ist für VDMAMann Glatz aber was anderes. „CIOs sprechen zu viel über Technik. Deswegen ändert sich auch gerade die Rolle des CIOs zu seinem Nachteil“, stellt er immer wieder fest. „Sie müssen aber die gesamte Prozesskette im Blick haben. Integration von Servicegeschäft und Techniken sind entscheidend.“ Doch viele CIOs tun sich damit noch sehr schwer.
So beanspruchte beispielsweise kürzlich auf der Hannover Messe die „Digital Factory“ rund 5000 Qudratmeter Fläche für die Aussteller. Dieser Teilbereich der Messe ist inzwischen die wichtigste internationale Plattform für IT-basierte Lösungen in der Industrie. Glatz stellte jedoch auch dort fest, dass sich überwiegend Manager aus den Fachbereichen an den Ständen informierten. IT-Leiter waren dagegen kaum anzutreffen. „Das Management bringt Ideen wie MES mit zurück in die Firma und zum IT-Leiter.“
CIOs müssen Berater werden
Die IT gerät immer stärker in die Rolle des bloßen Dienstleisters, der Aufträge aus den Fachbereichen annimmt und ausführt. „Die IT besitzt kein strategisches Wissen mehr. IT können Firmen auslagern“, sagt Glatz. Um den Bedeutungsverlust aufzuhalten und umzukehren, müssten sich deshalb der CIO und die IT zum internen Berater im Unternehmen entwickeln. „Die IT muss auf den Anwender zugehen, Kommunikation lernen und über Produktions-Management reden und nicht über Technik“, rät Glatz.
Denn die Wichtigkeit der IT zur Wertsteigerung des Unternehmens ist unbestritten, wie auch der Industrieverband VDMA zeigt. So hat sich der Fachverband Software seit der Gründung 1994 zum drittgrößten Einheit innerhalb des VDMA entwickelt. Der Fachverband mit rund 300 Unternehmen wächst am schnellsten in der Industrievereinigung.
Nur mit Business-Verständnis bekommt die IT auch das nötige Geld, um weltweit die Services zu unterstützen und IT-Lösungen zu integrieren. Noch ist Deutschland aber ein Ingenieursland – kein Serviceland.