Die Cannabis-Industrie in den Vereinigten Staaten wird langsam erwachsen. Der beste und aktuellste Beweis dafür: die Kooperation von Microsoft mit dem Marihuana-Start-Up Kind. Natürlich spielt der Windows-Gigant dabei eine eher hintergründige Rolle: In erster Linie stellen die Redmonder ihre Azure Cloud-Services für einen Compliance-fokussierten Software-Push zur Verfügung. Dennoch ist dieser Schritt bedeutend und bemerkenswert zugleich, wie Kyle Sherman, Mitbegründer und CEO beim Software-Hersteller Flowhub, herausstellt: "Dass der Name Microsoft künftig öffentlich im gleichen Satz wie das Wort ‚Cannabis‘ genannt werden darf, legitimiert unsere Branche."
Cannabis-Business: Strenge Regularien, hohes Potenzial
Gründer, die ein legales Cannabis-Business aufziehen wollen, kämpfen seit jeher gegen Vorurteile und Ausgrenzung. Dabei dürfte auch eine Rolle spielen, dass Marihuana in den USA - trotz der Legalisierung in einigen Bundesstaaten - offiziell weiterhin als illegale Droge mit höchstem Gefährdungspotenzial eingestuft wird. Bislang haben 25 Staaten der USA per Gesetz den Gebrauch von Cannabis zu medizinischen oder "rekreativen" Zwecken zugelassen. Für einige Marihuana-Entrepreneure ist das allerdings ein schwacher Trost: In vielen Fällen wird ihnen nämlich die Eröffnung eines Bankkontos verwehrt.
Das Problem: Banken und Kredit-Institutionen ist es per Bundesgesetz verboten, Geld aus dem Handel mit Cannabis anzunehmen. Nach offiziellen Stellungnahmen des US-Justiz- und Finanzministeriums, die besagen, dass Unternehmen, die ihren Sorgfaltspflichten nachkommen, keine Repressalien zu befürchten haben, haben einige Finanzinstitute inzwischen umgedacht - die großen Player der US-Finanzbranche lassen jedoch weiterhin die Finger von der Cannabis-Industrie.
Dabei gibt es am Profit-Potenzial der Marihuana-Branche keine Zweifel. Im Gegenteil: Der legale Verkauf von Cannabis-Produkten spülte im Jahr 2015 satte 5,4 Milliarden Dollar in die Kassen - mit Tendenz nach oben, wie eine aktuelle Studie von Arcview Market Research und New Frontier zeigt. Im Jahr 2020 soll das legale Geschäft mit dem High Schätzungen zufolge 21,8 Milliarden Dollar umsetzen.
Start-Ups: Technologie meets Marihuana
Dieses Ziel zu erreichen, haben sich etliche "Weed-Start-Ups" auf die Fahnen geschrieben. Und wie das bei Start-Ups so üblich ist, haben die juvenilen Unternehmen jede Menge Technologie im Gepäck. Das war bisher ganz anders: Bei der Produktion und dem Verkauf von Marihuana spielte Technologie bislang - vor allem aufgrund rechtlicher Bedenken - kaum eine Rolle.
"Kaum ist aber das falsche Wort", wirft Mike Bologna ein und unterstreicht: "Der Einsatz von Technologie wurde bisher eher aktiv vermieden." Bologna ist Gründer und CEO bei Green Lion Partners, einem Unternehmen, das sich auf die Business-Strategien von Firmen in der Cannabis-Branche spezialisiert hat. Seiner Einschätzung nach könnte das Technologie-Wachstum innerhalb der Branche möglicherweise schon bald das der Branche selbst übertreffen.
Dabei geht es nicht nur um landwirtschaftliche Technologien und physische Sicherheits-Maßnahmen beim Anbau der Droge, sondern auch um Tools für Ausgabe und Verkauf, die einen komfortablen, transparenten und regelkonformen Handel mit Cannabis sicherstellen sollen.
Flowhub: SaaS für Cannabis-Unternehmen
Flowhub bietet Marihuana-Bauern und Händlern eine "Seed-to-Sale"-Tracking-Plattform an - mit speziellem Fokus auf Compliance. Das in Denver, Colorado beheimatete Software-Start-Up hat außerdem mobile RFID-Scanner für die Cannabis-Pflanzen, ein Point-of-Sale (PoS)-Kassensystem für die Ausgabestellen sowie eine per iOS-App oder Web zugängliche Software-as-a-service (SaaS)-Plattform.
Derzeit hat das Marihuana-Start-Up Kunden in den Bundesstaaten Colorado, Alaska und Oregon. Das Ziel von Flowhub ist es, jede Marihuana-Pflanze, jedes Produkt und jeden Mitarbeiter, der mit der Produktion und dem Verkauf in Zusammenhang steht, nachverfolgbar zu machen, um die Erfüllung der strengen, rechtlichen Vorgaben gewährleisten zu können.
Deshalb sendet das PoS-System von Flowhub alle nötigen Daten über APIs direkt an die verantwortlichen staatlichen Stellen. Ein Prozess, der zuvor arbeitsintensiv und zeitraubend manuell durchgeführt werden musste. Seine Schnittstellen hat das Unternehmen auch anderen Cannabis-Gründern zur Verfügung gestellt und sie so dazu befähigt, Applikationen zu schreiben, die die Flowhub-Datensätze nutzen - etwa für Belohnungs- oder Loyalitätsprogramme.
"Unser Ziel als Unternehmen ist eine verantwortungsvolle Legalisierung von Cannabis durch Technologie. Zunächst in Nordamerika und irgendwann einmal auf der ganzen Welt", so Flowhub-CEO Sherman. "Die staatlichen Regulatoren müssen endlich einsehen, dass es die bessere Lösung ist, Cannabis durch Rückverfolgbarkeit vom Schwarzmarkt fern zu halten. Wir wollen der Welt zeigen, dass das auf verantwortungsvolle Art und Weise geht."
La Conte’s: Flowhub im Praxis-Einsatz
Die in Denver, Colorado ansässige Marihuana-Ausgabestelle La Conte’s Clone Bar and Dispensary hat durch den Einsatz der Flowhub-Lösung bereits unzählige Arbeitsstunden eingespart, wie Zach Howell, Supply-Chain-Manager des Ladengeschäfts erzählt: "Bevor wir Flowhub genutzt haben, mussten wir jeden Abend die Daten manuell bei den Behörden hochladen. Das bedeutete jede Menge Screenshots von jeder Menge Tabellenkalkulationen und einen Copy-Paste-Marathon." Heute können die Verkaufs-Datensätze eines Tages automatisch in die Behörden-Datenbank geladen werden - in nur einem Schritt. Zudem dient das Flowhub System der Cannabis-Abgabestelle auch als Echtzeit-Inventar.
Jeder Kunde, der den Laden betritt, muss seinen Ausweis scannen lassen und so sowohl Geburtsdatum als auch Wohnort bestätigen. Dieser Scanvorgang loggt die Kunden zugleich im System des Ladens ein. So wird sichergestellt, dass jeder Kunde auch nur das kauft, was er kaufen darf. In Colorado etwa ist es Einwohnern anderer US-Bundesstaaten verboten, mehr als eine Unze (ca. 28 Gramm) Marihuana zu kaufen.
Die Kontrolle von Vorgaben wie dieser fiel bislang in das Aufgabengebiet der Mitarbeiter: Sie mussten bis dahin möglichst schnell herausfinden, welche Gesamtmenge sich aus einer Vielzahl von Cannabis-Produkten wie Gebäck oder Süßigkeiten ergibt. Diese Aufgabe übernimmt nun Flowhub - völlig automatisch. Zach Howell zeigt sich begeistert: "Wenn ein Ausweis aus einem anderen Staat gescannt wird, wird die Transaktion bei Überschreitung der Grenzmenge automatisch gestoppt. Im Grunde haben die die Regularien in ein Stück Software gepresst, das die Kunden dazu bringt, nach den Regeln zu spielen."
Howell selbst kann, wie er preisgibt, übrigens auch jederzeit über das Flowhub-System eingreifen, wenn es Probleme geben sollte: "Wenn ich gerade im Flugzeug sitze und ein Manager anruft, weil er Produkt-Nachschub aus dem Lager braucht, kann ich es über das System in sein ‚Inventory‘ verschieben, so dass er darauf zugreifen und es in den Verkauf nehmen kann."
Zum Video: IT im Cannabis-Business
"Ein Haufen Leute ohne Geschäftssinn, die wussten, wie man Gras anbaut"
Technologie durchdringt also dieselben Prozesse und setzt dieselben Ressourcen frei wie in anderen Handels-Sparten, wo das schon lange zum Standard gehört, geht dabei aber auf die besonderen regulatorischen Bedürfnisse der Marihuana-Industrie ein. Und weil die Branche wächst und reift, wird sich dieser Trend fortsetzen und weiter verstärken.
"Als ich in dieser Branche angefangen habe", erzählt LaConte’s-Manager Howell, "war das einfach ein Haufen Leute ohne Geschäftssinn, die wussten, wie man Gras anbaut. Heute fangen die großen Player damit an, Berater anzuheuern und HR-Abteilungen aufzubauen. Die Unternehmen, die in diesem Umfeld überleben, wissen, dass sie einen CEO, ein Geschäftsmodell und einen Plan brauchen. Und wir brauchen Technologien, um unsere Prozesse zu verschlanken und Richtlinienkonformität gewährleisten zu können."
Das sind wichtige Schritte, denn wenn es nach Green Lion Partners-CEO Bologna geht, werden Cannabis-Produkte irgendwann zu völlig normalen Bedarfsartikeln. Sollte das tatsächlich geschehen, dürften auch in der Marihuana-Branche dieselben effizienzsteigernden Best Practices und Tools zur Anwendung kommen, wie in der restlichen Enterprise-Welt: "Viele Leute stecken uns in eine Schublade, aber wir sind bereits dabei, mit allen grundlegenden Tools zu arbeiten", so Bologna.
GreenRush: Lieferheld für medizinisches Marihuana
Bei GreenRush ist das definitiv der Fall: Die E-Commerce-Plattform für die Auslieferung von medizinischem Marihuana arbeitet mit lokalen Ausgabestellen und Lieferservices zusammen und hilft ihnen, über die Online-Plattform bei der Kundenakquise. "Wir sind wie GrubHub für medizinisches Marihuana", subsummiert Gründer und CEO Paul Warhsaw ("GrubHub" ist ein US-Lieferservice und funktioniert ähnlich wie beispielsweise "Lieferheld" hierzulande, Anm. d. Red.).
Kunden können auf der Online-Plattform sowohl Ausgabestelle als auch Produkte wählen und diese - mit einer verifizierten Karte für medizinisches Marihuana - bestellen. Wer in Kalifornien wohnt, aber keine entsprechende Karte besitzt, kann über die GreenRush Telemedicine-Plattform auch gleich einen Arzt konsultieren.
Die Technologie hinter GreenRush wurde zwar in großen Teilen inhouse programmiert, aber das Start-Up hat eine Reihe externer Tools benutzt, um sein Business in Gang zu bringen. Eine Partnerschaft mit Salesforce etwa hilft in Sachen Sales Management und Kunden-Support. Das hat auch seinen Grund, wie Warshaw erklärt: "Wir sind eine Sales Company. Alles steht und fällt mit den Kontakten zu den Ausgabestellen."
Daneben setzt GreenRush zum Beispiel DocuSign für Mitgliedschafts-Verträge, MailChimp für E-Mail-Marketing und Slack für die Kommunikation mit seinen Partnern ein. Es muss also nicht immer eine Speziallösung sein, wie Warshaw verdeutlicht: "Es ist toll, dass Leute speziell auf die Cannabis-Branche zugeschnittene Technologien erschaffen, aber es gibt bereits einige großartige Plattformen und Tools da draußen, die unser Business so viel effizienter und transparenter machen können."
Beim Start-Up Potbot brüstet man sich mit dem weltweit ersten "virtuellen Bud-Tender". Dabei handelt es sich um eine "Empfehlungs-Engine" für medizinisches Marihuana, die Patienten per mobiler App oder Webzugang entsprechend ihrer benötigten Cannabinoid-Dosen und Konsum-Gewohnheiten zur richtigen Marihuana-Sorte führt. Diese kann anschließend direkt zur nächstgelegenen Abgabestelle bestellt werden.
Zwischen Profitabilitäts-Wunder, Banken und Vorurteilen
Mehr als 80 Prozent der Start-Ups in der legalen Cannabis-Industrie erreichen nach einem Jahr den Break-Even. Das sei teilweise dem hohen Preisniveau zu Schwarzmarkt-Zeiten geschuldet, verrät Leslie Bocskor, President bei Electrum Partners, einer auf das Cannabis-Business spezialisierten Beratungsfirma. "Eine solch rapide Profitabilität hat es vorher nicht gegeben", erklärt sie.
Gleichzeitig stelle diese Profitabilität auch die größte Herausforderung für die Branche dar: "Hohe Margen können über viele Fehler hinwegtäuschen. Wenn Unternehmen nicht vorankommen, müssen sie Best Practices nutzen - egal wie es um ihre Profitabilität steht. Technologie spielt hierbei eine große Rolle", so Bocskor.
Das "Banken-Problem" bleibt allerdings weiterhin eines der größten Hindernisse für die Cannabis-Industrie, wie GreenRush-CEO Warshaw aus eigener Erfahrung weiß: "Das durchschnittliche Cannabis-Unternehmen kann nicht einfach zu irgendeiner Bank gehen. Und nicht jeder ist auch Willens, mit dir zusammenzuarbeiten. Es kann für Cannabis-Unternehmen auch Schwierigkeiten geben, wenn es um Werbe-Anzeigen auf Google oder Facebook geht oder darum, Apps online zu bringen. Dinge, die man sonst überhaupt nicht als Herausforderung wahrnehmen würde."
Dennoch dürfte das legale Geschäft mit Marihuana eine große Zukunft vor sich haben. Denn die Bemühungen und Investitionen könnten für neue Arbeitsplätze und steigende Steuereinnahmen sorgen. Den klischeebehafteten Kinderschuhen ist diese Branche jedenfalls längst entwachsen, wie Leslie Bocskor betont: "Da steht nicht länger ein Typ in einem verlassenen Lagerhaus, wo Kaffee geröstet wird, um den Geruch zu überdecken. Die Investitionen sind Innovationstreiber und werden sich weltweit auf die Landwirtschaft auswirken."
Oder wie Howell es ausdrückt: "Wir bauen nicht mehr nur Gras an, um Gras zu verkaufen. Es ist ein Business."
Cannabis-Legalisierung in Deutschland ab 2018?
Vielleicht ist Ihnen das ganze Thema viel zu theoretisch und praxisfern. Schließlich steht Erwerb und Verkauf von Cannabis in Deutschland weiterhin unter Strafe. Lediglich zu medizinischen Zwecken dürfen Cannabis-Produkte in engen rechtlichen Grenzen eingesetzt werden. Und das dürfte sich - trotz zahlreicher Modellprojekte und Petitionen - auf Bundesebene wohl auch nicht so schnell ändern. Aber vielleicht haben Sie sich auch schon einmal gefragt, was passieren würde, wenn die Bundesregierung plötzlich eine Kehrtwende vollzöge und Cannabis legalisiert? Welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen daraus entstehen würden?
Journalist und Autor Rainer Schmidt hat genau das getan und seine Zukunftsvision zu Papier gebracht. Das satirische Ergebnis heißt "Legal High" und ist am 26. August 2016 im Rohwolt-Verlag erschienen.
Im folgenden haben wir eine kleine Leseprobe für Sie zusammengestellt. Wenn Sie danach Lust auf mehr verspüren, finden Sie weiteres Material zum Probelesen direkt bei Rohwolt.
Auszug aus Rainer Schmidts "Legal High":
"Manchmal verstand die Kanzlerin ihre Mitbürger nicht. Warum hackten scheinbar normale Menschen ohne Not schmucklose Gewächse klein, stopften das Gestrüpp in Papier, zündeten es an und saugten daran - bloß um dann auszusehen und aufzutreten wie ihre halbe Fraktion nach anstrengenden Sitzungen? War das so erstrebenswert? Bei internationalen Konferenzen sah es übrigens nicht anders aus. In einigen Fällen lag es an den Themen, bei manchen Teilnehmern am Alkohol, oft einfach an der Erschöpfung.
Sie wollte sich gar nicht davon ausnehmen. Gott, in was für einem Zustand sie teilweise während dieser absurden Verhandlungen mit den Griechen vor drei Jahren gewesen waren, unverantwortlich eigentlich. Wie Betrunkene hatten sie bis in die frühen Morgenstunden über Dinge gesprochen, die selbst ausgeruht kaum zu verstehen waren, vollkommen übermüdet und erschöpft gegen fünf Uhr morgens allerdings allen wie ägyptische Kreuzworträtsel erschienen. Sogar den Griechen selbst. Auch ihr Finanzminister hatte mehr als einmal hysterisch gekichert, und der rauchte ja wohl nicht. Obwohl, vielleicht aus medizinischen Gründen …?
Aufmerksam blätterte sie in dem kleinen Geheimdossier, das ihr die Büroleiterin am 16. August 2018 zusammengestellt hatte, wie darauf vermerkt war, privat sozusagen, niemand sollte mitbekommen, womit sie sich hier beschäftigte. Und alles nur wegen der Amerikaner. Lächelnd schüttelte sie den Kopf, denn neben den Cannabis-Umsatzzahlen und den entsprechenden Steuereinnahmen der diversen US-Bundesstaaten hatte ihre Vertraute sehr liebevoll überall lachende Schäuble-Köpfe mit Hanf-Siegerkranz und Dollarzeichen in den Pupillen hingemalt. Je höher die Summe, desto breiter grinste sie ihr ewiger Minister an.
Mit vor Erregung glühenden Wangen saß er auf der steil nach oben ragenden Pfeilspitze der Einnahmenkurve, in der Hand das prall gefüllte Staatssäckle. Das sah fast zu süß aus, dachte die Kanzlerin, so süß war der ja selten in echt. Aber wie er sie so triumphierend von der Zeichnung angrinste, wurde ihr klar, dass genau diese Zahlen seine radikale und durchaus überraschende Kehrtwende bewirkt haben mussten. Plötzlich stellte er sich vor die Kameras und sagte: «Ja, Legalisierung ist auch ein Gebot fiskalpolitischer Vernunft!» Das hatte er selbstredend wieder ohne Absprache und Ankündigung zur besten Sendezeit in den Tagesthemen und auf YouTube verkündet.
Schäuble eben. Nicht zu bremsen. Sie kannte das ja. Deswegen fragte sie manchmal ihre Büroleiterin morgens als Erstes: «Gibt es was Neues vom irren Alten?» Wahlweise auch: «Was heckt unsere Schwarze Null heute wieder aus?» Das war ihr kleiner Running Gag. Aber sein neuer Drogenkurs war nicht witzig. Der Seehofer lag ihr mit dem Cannabis-Thema auch schon länger in den Ohren. Kurz hatte sie gedacht, endlich ist Ruhe an der Südfront, der hat so viele Pleiten erlebt, jetzt geben der und dieser fränkische Fleischkopf endlich mal Ruhe, nein, bekommt er wieder seine berühmten fünf Minuten und will im Alleingang die Hanf-Revolution ausrufen, weil seine Bauern endlich Klarheit verlangen, wie er behauptet.
Bayerns und Deutschlands Zukunft als fortschrittliche Agrarnation stehe auf dem Spiel, man könne und werde sich diesen Milliardenkuchen unter gar keinen Umständen von den Amis oder eventuell sogar den Chinesen vor der Nase wegschnappen lassen, die schon in Colorado die US-Anbieter von Ausrüstung zum Cannabisanbau in die Ecke gedrängt hätten. Der Bayerische Bauernverband drohe bereits unverhohlen mit Aufrufen zu Wahlboykott und Parteiaustritten. Sogar die Katholiken saßen dem im Nacken. Gottes Schöpfung sei heilig und zu ehren, kein Mensch habe das Recht, seine Weisheit und Güte in Frage zu stellen und bei seinen Geschenken zwischen Gut und Böse zu urteilen.
Das sei anmaßend und frevelhaft, eine Sünde wider den Herrn, weswegen sich die Deutsche Bischofskonferenz bald in einem Hirtenbrief für Cannabis starkmachen werde. Das traf den Horst bis ins Mark. Der glaubte selbstverständlich schon lange an gar nichts mehr außer an sich selbst, aber er wusste sehr genau um die mögliche Wirkung solcher Worte von der Kanzel bei seiner verbliebenen Kernklientel.
Der steht ganz schön unter Druck, der Arme, dachte die Kanzlerin, deswegen führt er sich auf wie Rumpelstilzchen. Gedroht hatte er ihr auch schon wieder. Wenn sie sich nicht bald zu einer Stellungnahme bewegen ließe, würde er eben alleine vorpreschen. Ganz böse hatte der Horst dabei geguckt, fehlte nur noch, dass er mal wieder mit einer Verfassungsklage drohte. Und alles bloß wegen dieses Cannabis.
Schnell warf sie einen Blick auf die aktuellen Umfragen zum Thema, die seit dem Nachmittag auf dem Tisch lagen. Oha! Daher wehte der Wind also. Das waren allerdings klare Zeichen. Sie würde wohl doch bald handeln müssen."
Mit Material von IDG News Service.