Dass sich die Bonner Wettbewerbsbeobachter in diesem Jahr nicht nur mit der Konzentration der Top-30-DAX-Unternehmen befassen, sondern auch mit den im Wettbewerb bislang unscheinbaren Versandhändlern von Arzneimitteln, ist an sich schon eine kleine Sensation.
Vor allem aber die Klarheit ihrer Einschätzung überrascht: Die "E-Commerce-Richtlinie", eine einheitliche EU-Regelung, sei bestehendes Recht. Die Entscheidung des Landesgerichts Frankfurt, in der die Richter den niederländischen Anbieter Doc Morris wegen Verstößen gegen das Versandhandelsverbot und unrechtmäßiger Werbung für Arzneimittel aburteilten, sei falsch. Begründung: Nicht nationales Recht stehe zur Diskussion, sondern Gesetze im jeweiligen Lande. Das so genannte Herkunftsrechtsprinzip in der europäischen E-Commerce-Richtlinie nämlich lege fest, dass "die Vorschriften jenes Mitgliedsstaates anzuwenden sind, in dem der Diensteanbieter niedergelassen ist".
Einzige Hintertür für die Rechtsvertreter der Pharmagroßhändler sei die "Fernabsatzrichtlinie", schreibt die Monopolkommission. Diese sieht vor, dass ein Mitgliedstaat den Fernsabsatz von Arzneimitteln im Interesse der öffentlichen Gesundheit verbieten kann. Doch auch hier ist die Regelung im Herkunftsland gefragt, also die niederländische. Kommentar der Monopolkommission: Eine Rückgriff auf nationales Recht eines anderen als des Herkunftslandes sollte durch die Richtlinie ja gerade verhindert werden.
Denn bislang beherrschen Pharmagroßhändler wie die Gehe, die Sanacorp oder die Andreae Noris Zahn den Wettbewerb in seit Jahren konstanten Anteilen nach Belieben. Der eine oder andere Großhändler investiert in E-Commerce, ein Ausdruck, der allerdings in der EDI-dominierten Techniklandschaft der Pillengroßhändler bislang kaum zum Zuge kam. Da ist es nur zu verständlich, dass einige Großhändler beharrlich ausblenden, dass sich die Zukunft auch jenseits der Deutschen Landesgrenzen abspielt.
Alles soll bleiben wie es immer war. "Die Pharmabranche ist sehr konservativ. Da tut sich so schnell nichts", hat auch Annette Schwertmann beobachtet, Senior Consultant beim Beratungsunternehmen Diebold . Die Großhändler bekommen, wie alle die Jahre zuvor ihren schon eingependelten Umsatz vom Pharmavertriebskuchen ab. Die Symbiose mit den Apotheken bleibt weiterhin bestehen. Dass zwischen Apotheke und Endkunde eine Vertriebslücke klafft, ignorieren die konservativen Pharmalogistiker offensichtlich gerne, denn nicht nur die geringeren Kosten der via Online bestellten Medikamente auch die Lieferung frei Haus lockt Kunden.
Dass die Pharmagroßhändler nach einem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs zu Beginn des kommenden Jahres noch gute Karten haben, ist zu bezweifeln. Er urteilte bereits vor Jahren, dass es Bürgern aus Europa möglich sein müsse, Medikamente in jedem EU-Staat zu kaufen. "Erst vor kurzem empfahl der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union in einer Stellungnahme, die Leistungsfähigkeit dieser Vertriebssysteme weiter zu entwickeln, um die Arzneiausgaben einzudämmen", erläutert André Leue, Analyst bei Sal. Oppenheim. Gegen Krankenkassen zu klagen, die Dienstleistungen von Doc Morris in Anspruch nehmen, bringt den Großhändlern immerhin Zeit - Zeit, um ihre eigene E-Commerce-Systeme in Schwung zu bringen.
Doch aus ökonomischer Sicht, so meint auch die Monopolkommission, ist eine Öffnung des Arzneimittelmarktes auch für den Internethandel wegen der im internationalen Vergleich hohen Endverbraucherpreise absolut wünschenswert.