Führungskräften ist es wichtiger, das Kerngeschäft weiterzuentwickeln (52 Prozent), als neue Geschäftsfelder anzugehen (26 Prozent), so die Studie weiter. Und Chefs optimieren lieber bestehenden Abläufe (64 Prozent) statt die Selbstorganisation von Teams zu fördern (17 Prozent). Sie setzen eher auf Effizienzsteigerung (62 Prozent) als auf den Ausbau von Agilität (48 Prozent).
Diesen Spagat vollführt auch die Ontras Gastransport GmbH täglich. Doch die Leipziger machen sich auf den Weg, agiler zu werden: So hat das Unternehmen vor einiger Zeit einen dreitägigen Sprint organisiert, so dass nun einzelne Themen bereichsübergreifend weiterbearbeitet werden. Doch spätestens, wenn Entscheidungen fallen, wollen Geschäftsführung und die neun Bereichsleiter ganz klassisch mitwirken.
"Wir müssen uns die Methode selbst vermitteln", sagt der IT-Leiter Mario Lochmann, "und mehr Verantwortung von oben nach unten abgeben". Die Arbeit mit neuen Tools funktioniere nur, wenn sich gleichzeitig die Denkweise verändert. "Wir müssen kreativer und schneller werden", so der promovierte Wirtschaftsingenieur, denn mittelfristig wird das Unternehmen etwa von fossilem Erdgas auf erneuerbare Gase umsteigen oder zusätzliche Dienstleistungen anbieten.
Auch wenn niemand die Dynamik der Digitalisierung abschätzen kann, findet Hays-Sprecher Frank Schabel: "Die Organisationsstrukturen halten nicht mit dem rasanten Wandel mit." Selbstorganisierte Arbeitsformen erleben zwar einen überbewerteten Hype, doch umgekehrt könnten Unternehmen nicht auf Zeit spielen und sich auf ihre Substanz verlassen. Wer wie etwa Nokia den Zug verpasse, komme nicht mehr hinterher. Ähnlich wie bereits die Musikindustrie erleben aktuell Banken und Versicherungen eine digitale Disruption, weil sie die Dynamik unterschätzt haben. Auch die Medienlandschaft und die Personalwirtschaft werde man in zehn Jahren kaum wiedererkennen, meint der Hays-Manager.
Studienteilnehmer nennen ein ganzes Bündel von Hindernissen, die den Weg zum schnelleren und selbstorganisierten Arbeiten verstellen: Den Führungskräften fällt es schwer, ihren Führungsstil zu ändern (61 Prozent), das Kerngeschäft nimmt zu viel Zeit in Anspruch (60 Prozent), die Fachbereiche verharren im Inseldenken (59 Prozent) und bestehende Prozesse stehen geradezu im Widerspruch zu neuen Ansätzen (55 Prozent).
Genau das stellt der Ontras-IT-Leiter Lochmann fest: Das Umdenken sei aufgrund alter Gewohnheiten und den gesetzlichen Vorgaben schwierig. "Wir sind ein stark reguliertes Unternehmen", erzählt er, "deshalb denken unsere ITler, Ingenieure und Techniker sicherheitsorientiert und agieren vorsichtig."
Schließlich betreibt das Unternehmen ein 7.000 Kilometer langes Fernleitungsnetz für Erdgas, das für einen Druck bis 100 bar ausgelegt ist. Wegen der hohen Sicherheitsstandards schauen die 300 Mitarbeiter auch gerne dreimal hin. Entsprechend ticken viele Führungskräfte und Mitarbeiter anders als agile Startups, die nach der Design-Thinking-Methoden verfahren und ihren Nutzern "halbfertige" Lösungen anbieten, um das Produkt an Hand des Feedbacks mehrfach zu optimieren.
Undankbare Sandwich-Position
Unter der Spannung von laufendem Kerngeschäft und innovativen Projekten leiden besonders die Mitarbeiter, vor allem die in der oft treibenden IT. So arbeitet ein Entwickler, der namentlich nicht genannt werden möchte, seit Kurzem nur noch 80 Prozent. "Reiner Selbstschutz", sagt der Mittarbeiter eines baden-württembergischen Automobilzulieferers. Zerrissen zwischen eigenem Anspruch und den Anforderungen seines Arbeitgebers zog der 39-Jährige die Reißleine.
Als Experte soll er in seiner Abteilung seit drei Jahren ein neues IT-System einführen und standardisieren. Stattdessen ist er an jedem neuen Projekt beteiligt, das dieses System betrifft. In seiner eigenen Abteilung fungiert er deshalb lediglich als Feuerwehr, wenn es Probleme gibt. "Weil ich keine Chance habe, Grundlagen zu schaffen, ist das Sisyphosarbeit", sagt er frustriert.
Zwar bekommt er neue Mitarbeiter an die Seite gestellt, die ihm Freiraum verschaffen sollen, doch erstens müssen sie eingelernt werden und zweitens werden auch sie in Projekte eingebunden, wenn sie sein fachliches Niveau erreichen. Die Standardisierungs-Arbeit bleibt liegen. Seinen Chef hält der Entwickler nicht für "verkehrt": Der versteht ihn gut, ist aber selbst getrieben von Kosten- und Termindruck. "In der Sandwichposition möchte ich erst recht nicht stecken". Der Baden-Württemberger hat das Glück, dass der Betriebsrat des Technologiekonzerns Regelungen zur Arbeitszeitreduzierung durchgesetzt hat, sonst würde er weiterhin zwischen den Mühlsteinen Effizient und Agilität aufgerieben.