"Ich wette, dass in zehn Jahren IT von der Ästhetik her gedacht wird."
Sucht man im Internet nach dem Begriff "Ästhetik" im Zusammenhang mit Informationstechnologie bzw. einfach "IT", so bleibt die relevante Trefferanzahl überschaubar. Sucht man sogar nach "Ästhetik in der Unternehmens- oder Corporate-IT", bleibt es bei wenigen Ausführungen meist in Hinblick auf die Gestaltung des Webauftritts. Es scheint so, als passten die schönen Dinge des Lebens und IT nicht zusammen. Dabei ist die Ästhetik von Hard- und Software neben den Dimensionen "Funktionalität" und "Benutzerfreundlichkeit" (engl. usability) der dritte - und immer wichtiger werdende - Aspekt zur Beurteilung von Informationstechnologie.
Bei allen in die Zukunft gerichteten Aussagen hilft ein Blick in die Vergangenheit, um zu plausiblen Annahmen zu kommen. In den Anfängen des PC-Zeitalters vor ca. 30 Jahren dominierte die Funktionalität die anderen Aspekte zur Gestaltung von IT. Welcher moderne Büroangestellte oder private Anwender könnte sich zum Beispiel heute noch vorstellen, mit einzelnen Lochkarten mühselig an einem Großrechner zu operieren oder an einem PC-Arbeitsplatz mit einem beigefarbenen Monitor und kleinem schwarzen Bildschirm mit grüner Schrift zu sitzen, dessen einzelne Arbeitsprogramme per auswendig gelernter Codes und Befehle aufgerufen werden müssen?
Durch die explosionsartige Verbreitung von IT in Form von PC, Fax, Handy oder anderen mobilen Endgeräten und nicht zuletzt auch aufgrund des rasanten Wachstums des Marktes für Computerspiele wurde die Benutzerfreundlichkeit von IT immer wichtiger. Neben der Grundvoraussetzung des reinen Funktionierens mussten IT-Produkte dem Anspruch der Usability immer stärker gerecht werden, um Käufer zu finden. Eine einfache und intuitive Bedienbarkeit wurde so zur treibenden Innovationskraft.
Herausragende Beispiele für Fortschritte in der Benutzerfreundlichkeit lieferten rückblickend das Betriebssystem "Windows", das Microsoft über viele Jahre den Markt für Standardsoftware dominieren ließ, die Worterkennung "T9", die der Kommunikationsform SMS zum Durchbruch verholfen hat, und die allgemeine Verbreitung des Internets, die wiederum Geschäftstreibenden die Augen öffnete, dass ohne einen benutzerfreundlichen Webauftritt aus interessierten Besuchern keine zahlenden Online-Kunden werden.
iMac, iPhone und iPad haben es vorgemacht
Spätestens mit dem überwältigenden kommerziellen Erfolgen der Privatkundenprodukte von Apple, wie den kunterbunten "iMacs" der zweiten Generation und den später folgenden mobilen Endgeräten "iPhone" und "iPad", ist ein weiterer Evolutionsschritt unübersehbar. Informations- und Kommunikationstechnologie muss ab sofort nicht nur funktional und intuitiv bedienbar sein, sondern wesentlich auch ästhetische Ansprüche erfüllen.
IT-Produkte müssen, wie die italienische Kaffeemaschine, der Breitbildfernseher oder das ergonomisch designte Fitnessgerät, optisch in die Wohn- und Lebenswelt des Nutzers passen und sich durch Form und Material auch gut "anfühlen". Reduzierte Formen und klare Ordnung bedienen zusätzlich das moderne Kundenbedürfnis nach Transparenz und Klarheit. Diese Entwicklung macht vor den Unternehmen nicht halt. Jungen Arbeitnehmern und freien Mitarbeitern ist nicht mehr zu vermitteln, warum die beschriebenen privaten Ansprüche am Arbeitsplatz nicht gelten sollten.
Mit diesem Trend in Richtung "Consumerization der (Unternehmens-)IT" beschäftigen wir uns bei ERGO bereits seit einiger Zeit. Wir sehen darin insbesondere mit Blick auf unser Markenversprechen, das wir unseren Kunden geben, viele Chancen. Wir haben verstanden, dass wir mehr Transparenz und Klarheit benötigen. Denn das sind nach unseren Marktforschungen und Kundenbefragungen tatsächlich zwei wesentliche Attribute, die viele Kunden suchen und insbesondere auch mit Blick auf ihre Versicherungen vermissen.
Nur den Verstand ansprechen reicht nicht
Als verantwortlichem Vorstand für die Bereiche Kundenservice, Betriebsorganisation und Informationstechnologie in einem Versicherungsunternehmen mit weltweit über 50.000 Mitarbeitern und 20 Millionen Kunden ist mir bewusst, dass vor allem auch die "Werkbank der Versicherung", die IT, einen wesentlichen Beitrag zur Einlösung des Markenversprechens leistet. Dabei stelle ich fest, dass es nicht allein darauf ankommt, die Köpfe der Mitarbeiter anzusprechen, die tagtäglich für unsere Kunden Klarheit schaffen sollen. Es bedarf auch des Verstehens der intrinsischen Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und das beinhaltet für mich selbstverständlich die Berücksichtigung steigender Ansprüche an die ästhetischen Eigenschaften von (Unternehmens-)IT!
Zu einer ganzheitlichen Beschäftigung mit dem Thema "Ästhetik" gehört für mich auch das Wissen um das Verhältnis des Unternehmens zu Kunst und Kultur. So ist das Zusammenwirken von Architekten und Künstlern bei der Gestaltung der Gebäude in der über 100 Jahre langen Geschichte der ERGO-Gesellschaften immer eine Selbstverständlichkeit gewesen.
Ästhetische Raumkonzepte in der IT
Auch bei unserem in diesem Jahr eröffneten Neubau zur Bündelung unseres IT-Bereichs am Hauptstandort in Düsseldorf gehört es zum architektonischen Gesamtkonzept, dass sich in allen sechs Etagen Kunstwerke befinden. Über ästhetische Raumkonzepte zur Verbesserung der Arbeitsatmosphäre hinaus arbeiten wir bei ERGO seit letztem Jahr mit Kommunikationsdesignern des Institute of Electronic Business der Universität der Künste Berlin zusammen. Mit ihnen haben wir eine sogenannte Designstudie durchgeführt. Dabei war es zunächst das Ziel, die zahlreichen Einzelanwendungen in unserem Kundenservicecenter optisch so zusammenzuführen, dass Kundenanfragen intuitiver und schneller bedient werden können. Am Ende ist jedoch viel mehr daraus entstanden. Durch die gezielte Verwendung von selbsterklärenden Icons, Reitern oder Grafiken ist nicht nur eine übersichtliche Struktur, sondern auch eine ansprechende, den menschlichen Spieltrieb anregende Oberfläche entstanden.
Der unkonventionelle Ansatz, Designer in die Arbeitsplatzgestaltung mit einzubinden, lohnt sich für ERGO auch wirtschaftlich. Die verbesserte Usability senkt Anlernzeiten neuer Mitarbeiter und die Fehlerwahrscheinlichkeit aufgrund zu komplexer Abläufe. Durch die neue Ästhetik aber wird vor allem auch die Freude im Umgang mit dem Programm gefördert.
An den "schönen Seiten" des Lebens kommt auch die IT nicht mehr vorbei
Von den positiven Auswirkungen auf die Motivation des einzelnen Mitarbeiters bis zur insgesamt steigenden Produktivität ist es dann nur noch ein kleiner gedanklicher Schritt. Daher bin ich mir sicher, dass selbst streng rationale IT-Entscheider in zehn Jahren überhaupt nicht mehr an den "schönen Seiten" des Lebens und Arbeitens mit IT vorbeikommen werden, wenn sie die Akzeptanz und Motivation ihrer Mitarbeiter erhalten wollen.
Ich freue mich auf Ihre Gegenwette!
Weitere Wetten finden Sie auf unserer Seite Wetten auf die nächste Dekade.