Die vom Bundesland Schleswig-Holstein ins Leben gerufene "Stiftung Gesundheit“ hat nach den Vorjahren eine weitere Ärztebefragung durchführen lassen. Seit 2006 wird die Studie jedes Jahr wiederholt. Das Ergebnis für den Einsatz von IT in den Arztpraxen für 2010 ist niederschmetternd: IT? Nein danke!
Leicht verharmlosend ließe sich die Studie zunächst so interpretieren, dass die Nutzung von moderner Informationstechnologie bei den niedergelassenen Ärzten "eher verhalten“ ausfällt: "Die grundlegenden Veränderungen im Informationsaustausch durch moderne Informationstechnologien sind in der Ärzteschaft erst partiell angekommen“, ziehen die Autoren der Befragung ein Fazit. Geprägt durch hohe Ansprüche an Datensicherheit und Skepsis gegenüber modernen, oftmals nicht wirklich durchschaubaren Datenflüssen und -automatismen, "etablieren sich in anderen Berufszweigen längst zum Standard gehörende IT-Prozesse nur langsam".
Das ist insofern erstaunlich, als der Gesundheitssektor ein äußerst stabiler und stark wachsender Wirtschaftsbereich ist. Offenbar ist die Gesundheitswirtschaft gerade bei den niedergelassenen Ärzten so stabil, dass man die IT-Unterstützung nur partiell oder gar nicht braucht. Klassische Karteikarten und Eintragungen per Hand, Untersuchungen und ihre Dokumentation schon wie vor Jahrzehnten auf Papier – alles geht offenbar wie gehabt seinen gemächlichen Gang. Der Einsatz von IT scheint für viele niedergelassene Ärzte etwas zu sein, um das man sich nicht besonders kümmern muss. Das Geschäft geht auch so.
Diese Zustandsbeschreibung zieht sich wie ein roter Faden durch ähnliche Befragungen: Auch die jüngste Studie der "Stiftung Gesundheit“ diagnostiziert die seit Jahren nur langsam voranschreitende Weiterentwicklung der elektronischen Vernetzung in den Arztpraxen. So werde wegen allgemeiner Sicherheitsbedenken und der besonders schützenswerten Arzt-Patient-Beziehung eine sehr zurückhaltende Entwicklung befürwortet oder eben weitgehend auf IT-Unterstützung verzichtet.
Die Autoren der Studie, die sich auf die Antworten von etwa 450 Ärzten stützen und auf Grund der gewählten Methodik als repräsentativ gelten kann, betonen die Revolutionierung des Austauschs von Informationen im Zeitalter des Internets. Dies habe inzwischen viele Bereiche des menschlichen Zusammenlebens erfasst. Auch für den Gesundheitssektor insgesamt könnten die Auswirkungen nicht länger geleugnet werden, denn Medizin sei zu einem Großteil "Austausch von Informationen, Anwendung von Expertenwissen und auch optimale Verknüpfung zu anderen Leistungserbringern“ wie Krankenkassen oder Behörden.
Einstellungen und Verhalten vieler Ärzte bleiben zwiespältig
Im einzelnen bringt die Studie folgende Resultate:
80 Prozent der Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten erledigen ihre Bankgeschäfte inzwischen online.
Rund 60 Prozent kaufen ihr Verbrauchsmaterial im Internet.
Aber nur knapp die Hälfte der Befragten wickelt ihre Abrechnungen mit den Krankenkassen über den möglichen Online-Weg ab.
Aufgaben im Bereich Buchhaltung werden zu 19,3 Prozent per Internet erledigt, und Arbeiten im Bereich der Personalverwaltung wickelt man zu 13 Prozent über das Internet ab.
Andererseits geben 8,8 Prozent der Befragten an, gar keinen Online-Service in der Praxis zu nutzen.
Gefragt wurde auch nach der – für Patienten sehr bequemen – Online-Terminvergabe. Oft sucht man im Internet nach einem Spezialisten und möchte dann gleich bei dieser Möglichkeit einen Termin ausmachen. Dieser Wunsch ist laut der Befragung über 75 Prozent der Ärzte bekannt. Aber lediglich 14 Prozent bieten bereits diese Möglichkeit an, und 6,1 Prozent planen es für die nächste Zeit. Die übergroße Mehrheit von 57 Prozent verhält sich abwartend oder ablehnend.
Keine fundierte Beschäftigung mit IT
Die Autoren der Studie ziehen ein eher bitteres Fazit: Die schiere Menge an komplexen Themen, die an niedergelassene Ärzte herangetragen wird, erlaube es oftmals nicht, sich mit einem Thema "fundiert und evidenzbasiert auseinander zu setzen“. Es bestünden somit zum Teil "erhebliche technische und wissenschaftliche Erkenntnislücken, die dann zu einer nicht sachgerechten Einschätzung führen“.
Und sie sind der Ansicht, dass der "Umgang mit Komplexität in einer hoch-technisierten und sozial disparaten Gesellschaft durch den niedergelassenen Arzt adäquat bewältigt und gemanagt“ werden müsse- Doch wie das geschehen kann, steht offen. Dazu müssten weitere Forschungen durchgeführt werden.
Solange hier nichts passiert, zeigt sich – so die Studie der "Stiftung Gesundheit“ – "eine insgesamt konservative Haltung der Ärzteschaft zu neuen Themen, Methoden und Technologien“. Damit bestehe die Gefahr, dass die Ärzte den Anschluss an die moderne Technologie verpassen. Die im internationalen Vergleich eher langsame Einführung der IT müsse als "Armutszeugnis für den Industrie- und Wissensstandort Deutschland“ gewertet werden.