Das Global-Delivery-Zeitalter ist für große, international aufgestellte Unternehmen Teil des Tagegeschäftes geworden. Bei Ausschreibungen für große Projekte sind Nearshore-/Offshore-Ressourcen daher oft fester Bestandteil - vorausgesetzt, die Anforderungen lassen es zu, größere Pakete am Stück zu entwickeln.
Trotzdem hat diese Entwicklung die Anbieterlandschaft in Deutschland bisher nicht tiefgreifend verändert - im Gegenteil. Vielmehr beklagt sich manche deutsche Vertretung der großen indischen Dienstleister hinter vorgehaltener Hand darüber, dass ihnen das Image des Preisdrückers in Ausschreibungen anhaftet. Ihre Qualitätsargumente werden deutlich weniger wahrgenommen als gewünscht.
Ein Grund für diese Entwicklung ist sicherlich die Tatsache, dass nahezu alle großen Anbieter von IT-Beratung und IT-Dienstleistungen inzwischen über eigene Nearshore-/Offshore-Ressourcen verfügen oder diese zumindest über Partner anbieten können. Zwar haben die indischen Anbieter das Global-Delivery-Modell der internationalen Leistungserbringung gewissermaßen mit "erfunden". In Deutschland fällt es den indischen Anbietern jedoch schwer, in den Kreis der strategischen Rahmenvertragspartner vorzustoßen.
Veränderte Anforderungen: Mehrwert durch Branchen- und Prozess-Kompetenz
Doch die vorhandene Kundenbeziehung ist nur ein Aspekt, der bei der Auswahl des richtigen Dienstleistungspartners eine Rolle spielt. Und angesichts der zunehmenden Komplexität der Projekte und Services dürften sich die Anforderungen großer Unternehmen nachhaltig verändern. Das zeigt auch die aktuelle Trendstudie der Lünendonk GmbH zum Thema "Erfolgreiche Projekte im Global-Delivery-Zeitalter - Best Practices für Vergabe, Steuerung und Staffing", die im Auftrag der GFT Technologies AG durchgeführt wurde.
Die analysierten Anwender-Unternehmen sind allesamt international aufgestellt und verfügen über umfangreiche Sourcing-Erfahrung. Nahezu zwei Drittel der 32 befragten Unternehmen beschäftigen mehr als 5.000 Mitarbeiter, das IT-Budget beträgt in 40 Prozent der Fälle mehr als 100 Millionen Euro in 2008. Befragt wurden die Unternehmen zu ihren Planungen beim Projektgeschäft (Projekte mit fest angestellten IT-Spezialisten von IT-Beratungs-Unternehmen), Resourcing (Einsatz freiberuflicher IT-Spezialisten), Managed Services und Outsourcing.
87 Prozent der befragten Unternehmen haben bereits Erfahrungen mit Nearshore- oder Offshore-Dienstleistungen gesammelt. Innerhalb der nächsten zwei Jahre wollen auch die verbleibenden Unternehmen nachziehen. Dabei ist der Ausbau der Nutzung internationaler Ressourcen in vielen Themen, wie Software-Entwicklung, Application Management oder auch Server Hosting, fest geplant.
Aufgrund ihrer umfangreichen Erfahrung wägen die Unternehmen bereits beim Projektdesign die Faktoren ab, die für oder gegen einen Nearshore-Anteil im Projekt sprechen. Im Mittelpunkt stehen zwar nach wie vor die Kosten - jedoch ergänzt um weitere Faktoren wie die Stabilität der Anforderungen, die sich massiv auf den Abstimmungsaufwand während des Projektverlaufs auswirken können.
In Bezug auf die Entwicklung der Auswahlkriterien des richtigen Dienstleisters steht bereits heute die Branchen- und Prozess-Kompetenz des Dienstleisters an erster Stelle und nimmt aus Sicht der Befragten weiter an Bedeutung zu. Mit Blick auf das Jahr 2010 lauten die fünf wichtigsten Auswahlkriterien:
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Branchen- und Prozesskompetenz des Dienstleisters
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Wirtschaftliche Stabilität des Dienstleisters
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Technologiekompetenz des Dienstleisters
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Fähigkeit, als Berater die Geschäftsprozesse des Kunden zu verstehen
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Flexibilität in den Dienstleistungsmodellen (Dienstvertrag, Werkvertag, Resourcing)
Auch die Fähigkeit, Projektverantwortung und -risiko zu übernehmen, wird zukünftig für wichtiger gehalten.
Damit gelten für die externen Dienstleister vergleichbare Kriterien wie für die IT-Abteilung intern aus Sicht der Fachbereiche, die Prozess-orientiertes Denken und Mehrwert durch die IT fordern. Für die IT-Beratungs- und IT-Dienstleistungs-Unternehmen stellt sich damit zunehmend die Herausforderung, Projekterfolge auch anhand der Wertschöpfungsfelder in den Kundenprozessen zu verdeutlichen und sichtbar zu machen.
von Hartmut Lüerßen, Partner Lünendonk GmbH