In den kommenden sieben bis acht Jahren sind es nicht so sehr neue Technologien, die Arbeits- und Konsumwelt verändern. Vielmehr ändert sich der Umgang mit jetzt bereits verfügbaren Technologien. Eine Folge davon wird sein, dass Unternehmen mit flacheren Hierarchien arbeiten und Entscheidungen dezentraler treffen. Das heißt auch: Das mittlere Management verliert an Bedeutung.
Diese These vertritt zumindest Lynda Gratton, Professorin für Management Practice an der London Business School. Sie kommt in der Studie "Agent of change - The future of technology disruption in business" zu Wort. Herausgeber ist die Economist Intelligence Unit, Sponsor das Unternehmen Ricoh. Gratton spitzt ihre These bereits als "the end of the middle manager" zu.
IT wird der Great General Manager
Laut Gratton hat die Informationstechnologie bereits selbst eine Rolle als "Great General Manager" übernommen. Analyse- und Collaboration-Tools ermöglichen Unternehmen, auch Mitarbeitern in der Peripherie Entscheidungsbefugnisse zu übertragen. Das sei Teil einer allgemeinen Entwicklung zu flacheren Hierarchien und dezentralen Unternehmensstrukturen. Dieser Trend beruht allerdings nicht nur auf technologischen Möglichkeiten, sondern hängt auch mit den Ansprüchen jüngerer Mitarbeiter-Generationen zusammen.
Grattons These stößt bei 63 Prozent der von der EIU befragten 567 Führungskräfte auf Zustimmung. Allerdings fühlen sich diese nicht unbedingt wohl mit der Prognose: Sie sehen Probleme mit Compliance auf sich zukommen und haben Angst vor Kontrollverlust.
Ein weiterer Effekt verbesserter Collaboration-Tools: Die Zahl mittelgroßer Unternehmen wird abnehmen. Die EIU geht davon aus, dass kleine Firmen schneller auf Veränderungen am Markt reagieren können. Sehr große Konzerne wiederum können Skaleneffekte nutzen. Mittlere Unternehmen müssten sich also entscheiden, ob sie zu einer kritischen Masse wachsen wollen, oder ob sie sich verkleinern.
Die "zero e-mail company" kommt
Weiter glauben die Studienautoren, dass die Tage der E-Mail gezählt sind. Zwar werde es auch 2020 noch Nutzer geben, die gerne mailen. Doch Collaboration-Tools, die Interaktion per Video ermöglichen, und Social Networks innerhalb der Firmen verdrängen die Mail. Diese gilt bereits jetzt als nicht mehr zeitgemäß: der Dienstleister Atos zum Beispiel hat voriges Jahr angekündigt, binnen 36 Monaten eine "zero e-mail company" werden zu wollen.
Außerdem unterstützt die EIU in ihrer Analyse die These von der neuen Macht der Verbraucher. Sie ziehen hier eine Parallele zu den politischen Protestbewegungen des vorigen Jahres: Social Media-Tools ermöglichen den Verbrauchern, jedes Unternehmen zu durchleuchten. Das werde für mehr Transparenz sorgen, so die EIU. Firmen falle es zunehmend schwerer, schlechten Service, hohe Preise und unpopuläre Praktiken zu verschleiern.
Technik ist nur so gut wie ihre Anwender
Die EIU sieht das gesamte Jahrzehnt von umfassenden Technologie-bedingten Veränderungen bestimmt. Dabei machen die Analysten jedoch zwei Konstanten aus: Zum einen sind jede Technologie und jeder Prozess immer nur so gut wie ihr Anwender. Wie effektiv Unternehmen jeglichen Fortschritt nutzen können, liegt daher immer auch bei den Mitarbeitern.
Zum anderen kommen Verbesserungen nicht unbedingt durch technische Innovationen. Vielmehr gilt es, Dinge neu zu denken. Als konkretes Beispiel dafür gilt der Apple Internet App Store, der 2008 entstand. Dieser basiert auf einem Umdenken hinsichtlich der Vermarktung und des Vertriebs von Software.
Weitere Beispiele seien Ebay und Facebook. Auch hier haben die Gründer auf Basis bestehender Technologien neue Geschäftsmodelle geschaffen, so die EIU.
Mehrheit geht von radikalem Branchenwandel aus
Rund sechs von zehn Befragten (62 Prozent) erklären denn auch, ihre Branche werde sich bis 2020 vermutlich radikal verändern. Mehr als einer von zehn (dreizehn Prozent) fürchtet, das Unternehmen, in dem er derzeit arbeitet, werde es in zehn Jahren nicht mehr geben.
Lynda Gratton von der London Business School sagt, dass der kulturelle Wandel dem technologischen immer hinterher hinke. Möglich, dass das Technologie-affine Entscheider frustriere - dennoch müssten sie die Menschen in den Fokus der Unternehmensentwicklung stellen.
Die gesamte Studie finden Sie hier: Agent of change - The future of technology disruption in business