Professorin Irene Bertschek will auf dem IT-Gipfel das Image der Branche aufbessern - und präsentiert ihren Bericht "Stand und Perspektiven der deutschen Informations- und Kommunikationswirtschaft im internationalen Vergleich". Die Forscherin des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) untersucht: Wie groß ist die Branche? Wie viele Unternehmen gibt es? Wie hoch sind Umsatz und Wertschöpfung, und wie viele Beschäftigte arbeiten dort?
Für die aktuelle Studie hat ihr Team zunächst aggregierte Daten auf Branchenebene ausgewertet, die in öffentlichen Statistiken verfügbar sind. "Damit können wir einfache Vergleiche mit anderen Branchen anstellen", sagt Bertschek. Untersucht haben die Wissenschaftler zudem, wie produktiv die IKT für andere Branchen ist. Bertschek: "Wir haben anhand der Daten auf Branchenebene ermittelt, welchen Beitrag zur Produktivität die IKT in der Wirtschaft leistet, und zwar differenziert nach verschiedenen Anwenderbranchen."
Das erstaunliche Ergebnis: Die Wertschöpfung der IKT (76 904 Millionen Euro) ist größer als der Automobilbau (67 881 Millionen). Die Branche investiert mehr als alle Autobauer zusammen. Und sie beschäftigt auch mehr Menschen als die gesamte Autoindustrie in Deutschland. In den Worten der Wissenschaftlerin: Mit knapp 83 000 Unternehmen und 843 000 Beschäftigten stellt die IKT-Branche einen großen Wirtschaftszweig der deutschen Wirtschaft dar. Mit einem Anteil von 4,5 Prozent trägt sie mehr zur gewerblichen Wertschöpfung bei als die Traditionsbranchen Automobilbau und Maschinenbau mit jeweils knapp vier Prozent. Auch bei den Investitionen liegt die IKT-Branche im Branchenvergleich ganz vorne: 11,6 Milliarden Euro wurden im Jahr 2010 investiert und damit 3,7 Prozent der gesamten Bruttoanlageinvestitionen der gewerblichen Wirtschaft.
Irene Bertschek ist von ihren Ergebnissen allerdings gar nicht überrascht: "Es gibt zahlreiche frühere Studien, die sich die Bedeutung von IKT für die Wirtschaft auf verschiedenen Ebenen angeschaut haben, auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene, auf sektoraler Ebene und auf Unternehmensebene. Alle kommen zu dem Schluss, dass IKT ein wichtiger Treiber für die Innovationsfähigkeit und für das Produktivitätswachstum einer Volkswirtschaft ist."
Wer aber hätte gedacht, dass die Beiträge der IKT zur Produktivität in verschiedenen Anwenderbranchen wie dem Einzelhandel oder der Nachrichtenübermittlung sogar noch einmal deutlich größer sind als im Fahrzeug- oder im Maschinenbau?, fragt Frau Bertschek. Beim Einzelhandel etwa liegt der Beitrag zum Produktivitätswachstum relativ gesehen bei 35,5 Prozent. Über das Wachstum in den Branchen selbst sagt zwar dieser Wert nichts aus; im Einzelhandel war das Produktivitätswachstum im betrachteten Zeitraum gering. Die IKT-Investitionen waren jedoch zu 35,5 Prozent an diesem Wachstum beteiligt.
Autos nur "Enabler" für Logistik?
Wie kann es nun aber sein, dass die Zahlen so gut sind und die Branche zumindest auf dem Papier so mächtig ist, die IT-Branche sich aber immer noch so nach Anerkennung von Politik und Öffentlichkeit sehnt? Warum ist das Bauen eines Autos offenbar sexier als das Programmieren einer Anwendung? Wieso kommt Müdigkeit auf, wenn Deutschlands wertvollste Branche sich am 13. November beim IT-Gipfel in Essen trifft und Kanzlerin Merkel wieder über "IT als Enabler" spricht? Die Autoindustrie sieht sich ja auch nicht als Logistik-Enabler, sagen Kritiker.
Die von Bertschek errechneten Produktivitätsbeiträge belegen eindrucksvoll, was eine Querschnittstechnologie auszeichnet. Bertschek: "Es ist schon etwas Besonderes, wenn eine Branche nicht nur für sich selbst Wert schafft, sondern auch noch anderen dazu verhilft, eine gute Performance hinzulegen, leistungsfähig zu sein, Innovationen hervorzubringen und produktiver zu werden. Das sind die Kerngrößen einer Volkswirtschaft und die Grundlagen der Wettbewerbsfähigkeit", sagt sie.