Blicken wir anderthalb Jahre zurück: Anders als viele ihrer Kollegen in Großbritannien oder den USA, wo zum Beispiel externe Ausgaben für Software und IT-Services (SITS) mehr als 50 Prozent der IT-Budgets ausmachten, übten sich deutsche IT-Anwender in Zurückhaltung. Mit einem externen SITS-Anteil von unter 40 Prozents konnte man sie regelrecht als "Do-it-yourself“-Gesellschaft bezeichnen: Für IT-Leistungsbezug sowie IT-Leistungserbringung war in der Regel die interne IT in Personalunion zuständig und das Thema IT-Sourcing spielte eine entsprechend untergeordnete Rolle.
Zu den Hauptgründen dafür gehörte zum einen die skeptische Haltung kleiner und mittelständischer Unternehmen, die in manchen Branchen hierzulande eine große Mehrheit bilden, gegenüber externen Anbietern. Zum anderen hinderten "politische Hürden große deutsche IT-Dienstleister daran, Offshore- beziehungsweise Nearshore-Kapazitäten aufzubauen. Hinzu kam ganz allgemein die Angst vor kulturellen Barrieren und der Notwendigkeit, Anforderungen genauer und detaillierter zu definieren.
Mehrheit deutscher Unternehmen nutzt Nearshore- und Offshore-Ressourcen indirekt
Im Großen und Ganzen bestehen diese Hürden immer noch. Dennoch beginnt das Blatt, sich auch in Deutschland zu wenden. Insgesamt sind folgende Trends in Bezug auf IT-Sourcing zu beobachten: Etwa drei Viertel der deutschen Unternehmen nutzen Nearshore- und Offshore-Ressourcen lieber indirekt, das heißt via etablierte, internationale Anbieter als in direkter Zusammenarbeit mit ausländischen Anbietern.
Es ist vor allem eine Frage des Vertrauens sowie der geografischen Nähe, dass deutsche Anwender Nearshoring bevorzugen, besonders in Osteuropa sowie in Portugal, Spanien oder Irland. Langsam gewinnen jedoch auch Offshore-Standorte - neben Indien die Philippinen und China - für sie zunehmend an Bedeutung.
Letzteres hängt sicher auch damit zusammen, dass die deutschen Marktteilnehmer immer erfahrener mit Nearshore- und Offshore-Kapazitäten umgehen. Gemäß der Einschätzung von PAC erachtet inzwischen ein Großteil der Unternehmen eine IT-Sourcing-Strategie für wichtig. Mehr noch, die meisten von ihnen verfolgen bereits eine solche. Doch was umfasst eigentlich eine IT-Sourcing-Strategie?
Unternehmen stehen vor der Wahl zwischen In- und Outsourcing, zwischen Onsite- und Offsite-Leistungsbezug, wobei Letzteres nicht nur Nearshore- und Offshore-Kapazitäten sondern auch Standorte (so genannte "IT Factories“) im Inland umfasst.
Die Entscheidung für Insourcing versus Outsourcing sollte verschiedene Aspekte berücksichtigen, allen voran Gewinn und Risiko abwägen. Welchen Reifegrad ein Service hat, sollte ebenso in die Überlegung miteinbezogen werden wie seine strategische Relevanz. So eignen sich "Commodity Services“ von geringer strategischer Relevanz am besten für Outsourcing, während hochspezifische, hochstrategische Services im Insourcing erbracht werden sollten.
Risiko und Kommunikationsaufwand möglichst gering halten
Es kommt also nicht von ungefähr, dass in Deutschland ein Hauptanteil von Near- und Offshore-Projekten aus Standard-Dienstleistungen mit geringem Risiko bestehen. In der Tat sollte man nur Projekte mit einer klaren Aufgabenstellung, also bei denen sich die Anforderungen nicht beziehungsweise nicht häufig ändern, an Nearshore- und Offshore-Standorte verlagern. Sonst wird der Kommunikationsaufwand zu groß, ganz abgesehen davon, dass das Risiko steigt - beispielsweise dafür, dass es zu Diskrepanzen zwischen Anforderungen und Leistung kommt.
Ein weiteres zentrales Kriterium dafür, ob ein Projekt sich für Offsite-Delivery eignet, stellt der Projektumfang dar: Damit sich der Aufwand für den Aufbau der Organisation und Steuerung der Nearshore- und Offshore-Kapazitäten lohnt, darf ein Projektvorhaben nicht zu klein sein.
Weitere wichtige Faktoren für eine IT-Sourcing-Strategie sind die Reife eines Unternehmens, Verfügbarkeit des nötigen Know-hows sowie die Auslastung. Da ein in einem Service weniger erfahrenes Unternehmen schwerlich den Dienstleister kontrollieren kann, sollte es von einem Outsourcing desselben absehen. Überlegenswert ist dagegen, Spitzenauslastungen durch externe Service-Provider abzudecken.
Der Faktor internes Know-how sollte unbedingt in Bezug zur strategischen Relevanz eines IT-Services gesetzt werden. Bei hochrelevanten IT-Dienstleistungen kann es durchaus Sinn machen, noch nicht vorhandenes internes Know-how aufzubauen. Zwischen den beiden Polen Outsourcing einerseits und Insourcing andererseits gibt es hier viel Raum für Mischformen. Bei der Anwendungsentwicklung kann man beispielsweise nur bestimmte Teile wie Schnittstellen "offshore" entwickeln lassen und den Rest intern oder durch eine Offsite-Filiale im eigenen Lande.
Kosten und Risiken nicht überbewerten
Für die Festlegung einer IT-Sourcing-Strategie müssen die einzelnen Kriterien, die sich wechselseitig beeinflussen, in Kombination miteinander betrachtet und bewertet werden. Dabei sollten die Faktoren "Kosten“ und "Risiken“ nicht überbewertet werden, weil dies oft das Finden einer optimalen Lösung blockiert.
Im Gegenzug sollte man das Einsparpotenzial durch Near- und Offshore-Delivery nicht überschätzen. Berechnet man den Aufwand für den Aufbau von Kommunikationsstrukturen, Abstimmung, detaillierte Anforderungsdefinition und klare, umfangreiche Fachkonzepte mit ein, sind Einsparungen von über 30 Prozent unrealistisch.
Gemischte Delivery-Modelle bevorzugt
In der Praxis hatten kombinierte Modelle bisher am meisten Erfolg. Entsprechend bevorzugen globale "Player“, und zwar sowohl auf IT-Anbieter- als auch auf Anwenderseite, gemischte Delivery-Modelle, die zudem auch eine Mischkalkulation je nach den Zielen und Bedürfnissen des Kunden bedeuten.
PAC empfiehlt ein dreistufiges Delivery-Modell mit den Komponenten "Onsite“, "Offsite“ (im Sinne von Niedrigpreis-Standorten oder spezialisierten "Factories“ im eigenen Land) und "Near- und Offshore“:
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Die Onsite-Komponente gewährleistet die Nähe zum Kunden, steuert das Projektvorhaben, entwickelt gemeinsam mit den Fachbereichen die Fachkonzepte, führt Onsite-Tests durch und zeichnet für die Integration verantwortlich.
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Das Offsite-Team wiederum fungiert als Entwickler-Pool für dringende und kritische Komponenten (die häufig noch Änderungen in der Anforderungsspezifikation unterliegen) sowie als zentrale Schnittstelle zu den Near- und Offshore-Einheiten: Hier finden die konkrete Planung, technische Konzeption und Entwicklung der Aufgaben, sowie Testdurchläufe statt. Allein das Offsite-Team hat direkten Kontakt zu den Near- und Offshore-Kapazitäten, koordiniert die Offshore-Aufgaben und sorgt für Know-how-Transfer. Aufgrund seiner Schnittstellenfunktion kommt der Offsite-Einheit zentrale Bedeutung zu: In Aspekten wie Zeitzone, Arbeitsstil, Kultur und Sprache stimmt sie mit dem Onsite-Team und damit auch dem Kunden überein, besitzt aber gleichzeitig das nötige Wissen über die arbeitstechnischen und kulturellen Bedingungen am Nearshore- und Offshore-Standort.
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Die Ausführung der Aufgaben, zum Beispiel die Entwicklung bestimmter Anwendungen, erste Tests und Qualitätssicherung obliegen schließlich dem Nearshore- und Offshore-Team.
Mit der perfekten Strategie allein ist es jedoch nicht getan. Denn zuerst braucht man den geeigneten Partner, um diese Strategie umzusetzen. In der Tat ist der richtige Partner das A und O! An Qualifikationen soll der Anbieter auf jeden Fall fundiertes Branchen-Know-how und die nötige Reife mitbringen. Fachliche Ansprechpartner muss er nicht nur "offsite", sondern auch vor Ort einsetzen können, wobei die Schlüssel-Personen im Bestfall nicht nur in Englisch, sondern auch in der Landessprache kommunizieren können sollten. Dass die wirtschaftliche Situation des IT-Partners stabil sein sollte, versteht sich von selbst.
Weitere wichtige Eigenschaften eines Partners ergeben sich aus dem beschriebenen Modell. So sollte der Partner beispielsweise nicht nur an Nearshore- und Offshore-Standorten präsent sein, sondern auch vor Ort Delivery-Kapazitäten haben.
Rahmenbedingungen rechtzeitig abstecken
Zudem sollte sich das Anwenderunternehmen erkundigen, wie zeitnah die Kapazitäten "onsite" geholt werden können. Von Nearshore- und Offshore-Locations in politisch instabilen Regionen ist selbstverständlich Abstand zu nehmen. Zusätzlich sollte rechtzeitig geklärt werden, ob der Vertrag auf der Rechtsprechung des Kundenlandes basiert. Welche technologische Maßnahmen trifft der IT-Partner für Security und Datenschutz und wie gewährleistet er die Einhaltung von Vertraulichkeit?
Deutschland ist auf jeden Fall bereit für die neuen IT-Sourcing-Modelle. Wir erwarten, dass der Anteil von Nearshore- und Offshore in Application-Development- und Application-Management-Projekten überproportional wachsen wird. Mit dem richtigen Partner an der Hand kann eigentlich jedes Unternehmen den Schritt hin zum Offsite-Sourcing wagen. Vorab sollte man sich erkundigen, ob der Anbieter Referenzen aus dem gleichen Kulturkreis aufzuweisen hat. Und wem die Partnerwahl schwer fällt, der kann sich dafür gezielt Beratung ins Boot holen.
Klaus Holzhauser ist Senior Consultant bei Pierre Audoin Consultants (PAC)