Schön ist es immer, wennTrend-Prognosen ein bisschen klingen wie Science Fiction. Das Zukunftsinstitut von Deutschlands prominentestem Futurologen Matthias Horx hat in dieser Hinsicht für das gerade angebrochene Jahr einiges zu bieten. „Beau Teen“ lautet demnach ein Trend für 2013. Die Erklärung dazu: „Präpubertäre Jungen entdecken das Self-Design“. Unter dem Schlagwort „Urban Exploration“ erreicht der Eskapismus der Großstädter von heute nach Einschätzung des Zukunftsforschers eine neue Stufe. „Bactereality“ beschreibt die Modifizierung von Menschenbild und Märkten, „Augmented Reality“ Naturerfahrung auf Basis von Technologie.
Ausführlich erläutert werden diese Voraussagen allesamt im „Trend Report 2013“ des Instituts. Enthalten sind dort einige IT-unterstützte Entwicklungen. Unter den Etiketten „Hack Generation“ und „Cyberflaneur“ wird beschrieben, dass junge Leute durch Einsatz von Hacking-Praktiken gewünschte Veränderungen durchsetzen wollen und dass das zufällige Stolpern über Material im Internet Menschen in Zukunft glücklich macht. Open Source revolutioniere außerdem den Bildungsmarkt. Im Vergleich dazu klingen die auf die Unternehmens-IT fokussierten Prognosen von Analysten und Anbietern deutlich weniger spektakulär.
Neues Zusammenspiel von Innovationen
In der Zusammenschau der Fülle von Prophezeiungen stechen die bekannten Vokabeln hervor: Cloud Computing, Mobile IT, Big Data und Social Media. Wie schon von der Analysten-Beletagewie PAC, Gartner, Forrester Research und IDC nahegelegt, vollziehen sich auch in der Breite der Prognosen die wichtigsten Neuerungen in diesem Jahr durch neue Formen des Zusammenspiels dieser Schlüsselinnovationen. Beispielsweise werden analytische Anwendungen verstärkt auf Cloud-Basis oder mobil genutzt. Die größte Durchdringungstiefe unter den vier Großtrends haben aus IT-Sicht dabei Cloud Computing und Mobile IT, während das marketinggetriebene Hype-Thema „Big Data“ vor allem als Überschrift für alle möglichen Entwicklungen aus den BereichenBusiness Intelligence (BI) und In-Memory zu verstehen ist – also nicht allein als Big Data im engeren Sinne.
„Big Data wird auch im Jahr 2013 wieder eines der Buzz-Wörter sein“, verlautbart der BI-Anbieter Arcplan. Nichtsdestotrotz seien Fragen offen, vor allem eine: Welchen Wert haben große Datenmengen und für wen wird es nötig sein, diese Tera- und Peta-Bytes an Informationen zu strukturieren? „2012 hat es weltweit nur wenige Implementierungen unter den Top-100-Unternehmen gegeben“, so Arcplan weiter – die Hysterie um das Thema sei deshalb nicht wirklich gerechtfertigt.
Gleichwohl erwartet Arcplan 2013 Fortschritte. Vom entwicklungstechnischen Standpunkt aus könne man Big Data sowohl als neue als auch als etablierte Technologie ansehen. „Einerseits arbeitet die BI-Branche seit Jahrzehnten an effizienten Analysemethoden für große Datenmengen und bedient sich bewährter Datenquellen und In-Memory-Technologie“, so Arcplan. „Andererseits sind Zugangs- und Analysemethoden sowie Standards für wirklich große Datenmengen, wie etwa Hadoop and MapReduce, jung.“ 2012 hätten sie es noch nicht überzeugend zu anwendertauglichen Analyseumgebungen geschafft.
Big Data: Fokus aufs Tempo
Arcplan erwartet jedoch für 2013 mehr Lösungen, die den Big Data-Hype mit Trends wie Self-Service- und Collaborative BI verbinden. Gemeint sind damit der direkte Zugriff auf Dashboards, Berichte und Ad-Hoc-Analysen durch die User sowie die bessere Interaktion zwischen Nutzern und Abteilungen.
„2013 werden die mit der IT verbundenen Verzögerungen durch die zunehmende Geschwindigkeit, Kontrolle und den schnellen Zugang, die mit Self-Service BI einhergehen, überwunden“, prognostiziert Arcplan. „ In-Memory-Technologie, professionelle Visualisierung und der breitere Einsatz von HTML5 werden Entwicklern beim Aufbau vielfältiger, Web-basierter Applikationen helfen.“ Diese allen Anwendern zugänglichen Applikationen liefen auf allen Endgeräten über Standard-Web-Browser und böten einfache, intuitiv nutzbare Self-Service-Funktionen.
„Nutzer werden 2013 mehr Eigenverantwortung haben“, so der Anbieter weiter. Die User stellten sich die Informationen, die sie zur Optimierung und Beschleunigung ihrer Entscheidungsfindungsprozesse benötigen, selbst zusammen. Ein weiterer Trend sei Mobile BI. „Aus technischer Sicht hat HTML5 die beste Ausgangsposition und größte Akzeptanz und bietet dadurch mehr Einsatzmöglichkeiten“, so Arcplan. Bis Ende des Jahres sei eine echte All-in-One-Lösung auf dem Markt zu erwarten.
Die Analysten von Saugatuck prognostizieren, dass sich bei Big Data der Fokus vom Datenvolumen hin zur Verarbeitungsgeschwindigkeit verschiebe. „Bis zum Jahresende wird es auf Business-Seite ein verbreitetes Zutrauen in Predicative Analytics in Echtzeit geben – innerhalb und über geschäftliche Funktionen und Operation hinweg, in sämtlichen Branchen“, so Saugatuck. Zudem werde Analytics immer stärker in Cloud-Angebote eingewoben. In einem Jahr werde mindestens die Hälfte der Software-Angebote aus der Wolke Analyse-Möglichkeiten beinhalten. Die Anwender könnten dann nachvollziehen, wie werthaltig die Angebote sind; die Anbieter erhielten Einblicke in die tatsächliche Nutzung durch die Kunden.
CA Technologies sagt voraus, dass Big Data 2013 endlich erwachsen werde. „Künftig wird es Big-Data-Administratoren geben, die neue Technologien nutzen und hohe Rechnerleistung benötigen“, so der Anbieter. „Sie werden Businessanwendungen danach beurteilen, wie schnell und gut sie Daten verarbeiten können.“ 2013 werden Big-Data-Projekte laut CA Technologies zudem erstmals einen nachweisbaren Return of Investment (ROI) erzielen, weil die Vorteile von Cloud Computing künftig stärker geschäftlich genutzt werden.
Losgelöste Datenanalyse-Abteilungen
„Diese neue Infrastruktur, die sich mit Social-Media-Daten und anderen offenen Datenquellen integrieren lässt, wird die Nachfrage von Management- und Sicherheitslösungen dramatisch steigern“, so der Anbieter. Die IT-Berater von Consol gehen davon aus, dass bei Big Data die Frage der Datenqualität eine zunehmende Rolle spielen wird. Eine Antwort darauf könne das Einführen von Data Scientist Departments sein, die sich einzig und allein mit der qualitativen Datenanalyse beschäftigen und losgelöst von der eigentlichen IT-Abteilung arbeiten.
„Durch die konsequente Erfassung und Auswertung der Betriebs- und Maschinendaten im Unternehmen können Schwachstellen identifiziert und die Produktion insgesamt optimiert werden“, ergänzt Anbieter Soft Select. „Die Software-Hersteller reagieren auf die neuen Herausforderungen mittels neuer Techniken und Verfahren wie dem In-Memory-Computing.“
Neben Big Data hat Soft Select erwartungsgemäß mobile Anwendungen und Cloud Computing als Top-Trends auf der Liste. „Die Verlagerung von Rechenleistung und Speicherplatz auf mit dem Internet verbundenen Services wird auch im kommenden Jahr deutlich zunehmen“, so der Anbieter.
In den Unternehmen steige die Nachfrage nach Infrastructure-as-a-Service (IaaS), Platform-as-a-Servie (PaaS) und Software-as-a-Service (SaaS). „Auch komplexere Anwendungen wie umfängliche Cloud-ERP-Systeme werden von dieser Entwicklung profitieren und in den kommenden Jahren stärker nachgefragt werden“, so Soft Select. Den vielerorts noch anzutreffenden Sicherheitsbedenken gegenüber Software aus der Cloud begegneten viele Softwarehersteller in der DACH-Region mit der Etablierung höchster Sicherheitsstandards in den Rechenzentren.
CA Technologies erwartet, dass sich die Unternehmen 2013 stärker in Richtung Public Cloud orientieren, was durch erweiterte Angebote der Service Provider – insbesondere der Telekommunikationsfirmen – befeuert werde. „Service Provider werden ihre Geschäftsmodelle an Partnerfirmen weitergeben, und dadurch wird Cloud Computing sich auch außerhalb der USA entwickeln“, so der Anbieter.
Vertical Scaling in der Cloud
Der Hype um Cloud Computing wird laut CA Technologies nachlassen, weil sich die Cloud immer mehr zu einer normalen IT-Umgebung entwickle. „IT-fremde Wirtschaftszweige wie zum Beispiel die Gesundheitsbranche werden diesen Trend anführen, wenn sie erst einmal die Vorteile von Cloud Computing erkannt haben“, so der Anbieter weiter. Dazu gehörten Sicherheit, zielgruppenspezifische Services und Kosteneinsparung bei der Compliance. Wer Mainframes einsetze, könne Cloud-Services schneller in vollem Umfang nutzen.
Laut Consol spielt beim Cloud Computing 2013 das Vertical Scaling eine immer größere Rolle. „Dabei geht es um die Nutzung zusätzlicher Ressourcen wie zum Beispiel Speicher- oder Prozessorleistung auf denselben Rechnerinstanzen, also eine qualitative Verbesserung der Cloud-Angebote“, erläutern die Berater. Im Gegensatz zum Horizontal Scaling müssten beim Vertical Scaling bei einer höheren Lastabfrage also keine zusätzlichen Instanzen zugeschaltet – und bezahlt – werden. Es könne einfach kurzfristig mehr Leistung auf einer Instanz zur Verfügung gestellt werden.
„Besonders im Bereich der Datenbanken beginnt sich das Thema mit einem Angebot von Amazon zu konkretisieren“, so Consol weiter. Im neuen Jahr werden sich nach Meinung der Berater fast alle großen Cloud-Player mit dem Thema beschäftigen und ihr Angebot entsprechend erweitern müssen.
Im SaaS-Bereich geht Consol davon aus, dass neue Qualitätskriterien in die Cloud-Angebote integriert werden. „Es wird dabei nicht mehr nur auf die Verfügbarkeit der Anwendungen in der Cloud ankommen, sondern auch auf deren Performance-Level“, erklären die Berater. „Damit nähert sich die Cloud dem klassischen Outsourcing an - zwar nicht mit dem gleichen Grad der Individualisierung, aber doch zumindest die Performance von Anwendungen betreffend.“
Darüber hinaus rechnet Consol damit, dass die IT Infrastructure Library (ITIL) 2013 auch die Cloud erobert. „Agile Prozesse werden adaptiert und als Best Practices Standard- und Cloud-fähig gemacht“, so Consol. „2013 werden sich diese Ansätze weiter konkretisieren mit dem Ziel, die Vorteile agiler Prozesse als Best Practices in ITIL aufzunehmen und auch für die Cloud als Framework zur Verfügung zu stellen.“ Ziel dieser Entwicklung sei es vor allem, für Projekte und Prozesse in den Bereichen Change Management und Incident Management eine Messbarkeitsgrundlage und mehr Transparenz zu schaffen.
Strategisches Potenzial ungenutzt
Saugatuck erwartet, dass die Telcos massiv auf mobile SaaS-Angebote setzen. Hier winkten hohe Margen, zudem sei die Kontrolle über das Mobilfunknetz größer als im Festnetzbereich. Cloud-Services werden laut Saugatuck verstärkt zu integrierten Paketen geschnürt und branchenspezifisch angeboten.
Die strategischen Vorteile der Cloud IT werden nach Einschätzung der Analysten aber solange brach liegen, bis die Anstrengungen und Investitionen bei Entwicklung und Integration auf die Optimierung von Business Workloads gerichtet würden – und umgekehrt. Bis Ende 2015 bleiben Cloud-Implementierungen demnach zumeist begrenzt, punktuell und taktisch. Die Kosten für das IT- und Business-Management werden solange laut Saugatuck tendenziell in die Höhe getrieben.
Gleichwohl führe die Entwicklung von vielfältigen, wenngleich oft instabilen Enterprise Cloud-Umwelten zu einer schnellen Evolution auch bei den organisatorischen Prozessen in der IT. Verantwortlichkeiten, Rollen und Einfluss der Abteilung veränderten sich entsprechend rasch. In den kommenden zwei Jahren werde die IT in mindestens 30 Prozent der Großunternehmen zu einem der größeren Kostencenter werden. Damit gehe der Wandel von traditioneller Integration der Systeme zur Integration von Geschäftsprozessen einher.
„Unternehmensanwendungen werden künftig nicht nur zusätzlich über mobile und soziale Netzwerke nutzbar sein, sondern sie werden hauptsächlich für diese neuen Nutzungsplattformen entwickelt werden“, erwartet CA Technologies im Bereich Mobility und Social Media. Dieser Trend werde durch die privaten Nutzererfahrungen hinsichtlich mobiler Endgeräte beflügelt. „Gleichzeitig werden sich Sicherheitsfunktionen nicht länger allein auf die Endgeräte beschränken, sondern die mobilen Anwendungen und Daten mit einbeziehen“, so der Anbieter.
Consol sagt voraus, dass Social Media 2013 zum wichtigsten Wettbewerbsfaktor beim Kundenservice wird. „Ein massiver öffentlicher Angriff in sozialen Medien beispielsweise kann die öffentliche Reputation eines Unternehmens ruinieren“, so die Berater. „Umso wichtiger wird es für die IT sein, die technische Integration von Social Media in Kundenservice-Lösungen wie CRM-Systeme so voranzutreiben, dass Mitarbeiter schnell und ohne Aufwand reagieren und überwachen können.“
Konzentration auf mobile Apps
Wichtigster Treiber der IT-Entwicklung bleiben aber auch 2013 Smartphones und Tablets – darin sind sich die diversen Trend-Prognosen weitgehend einig. Ein Tenor dabei ist, dass in diesem Jahr mobile Anwendungen einen Schub erhalten und sich entsprechend der Fokus der IT weg von den Endgeräten verschiebt.
Technologisch erwarten die Analysten von ABI Research, dass es in naher Zukunft zu einer Verschmelzung von Tablets und Smartphones zu „Phablets“ kommt. Wegweiser dafür seien Smartphone-Modelle mit großem Display wie zuerst 2011 das Samsung Galaxy Note. 2013 werde die Morgendämmerung für Phablets anbrechen, so ABI Research. Zudem werde sich Gesture Recognition in diesem Jahr zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal bei den Geräten entwickeln.
Bring-Your-Own-Device (BYOD) – womöglich das Hype-Thema des vergangenen Jahres schlechthin – wird in den meisten Prognosen als fortdauernde Herausforderung für die IT beschrieben. Soll heißen: Mitarbeiter werden weiterhin immer mehr Endgeräte mitbringen – und Firmen müssen dafür Lösungen finden. Anbieter AppSense hingegen hält BYOD für ein überholtes Konzept und schlägt als Alternative COPE vor: „corporate owned, personally enabled“.
„Beim Gedanken an die Nutzung privater Geräte im Arbeitsalltag bekommen viele CIOs schnell kalte Füße“, so AppSense. Zu eingeschränkt seien die Möglichkeiten für ein effizientes Management und einen sicheren Datenschutz auf persönlichen Tablets, Smartphones und anderen Geräten. „Für viele Firmen wird daher die Variante Geräte selbst zu kaufen und sie Mitarbeitern je nach Bedarf bereit zu stellen im kommenden Jahr eine willkommene Alternative“, meint AppSense.
Der Anbieter zeigt in seiner Glaskugelschau auch auf, dass sich 2013 aus IT-Sicht nicht gänzlich in den vier Großthemen erschöpft. Gamification erobere die Business-Welt, so AppSense: „Während bislang Screen-Designer die Ideen von IT-Entwicklern ein wenig aufhübschen durften, wird in Zukunft die Usability ein ganz entscheidender Punkt in allen Entwicklungsphasen sein.“
Migration auf Windows 7 oder 8
Als weiteres zentrales Thema benennt AppSense die Migration auf Windows 7 oder 8. CA Technologies hält zudem den Siegeszug von DevOps für unaufhaltsam. „Der Trend zur intelligenten IT erzeugt immer komplexere IT-Umgebungen, und Unternehmen müssen dies bereits bei der Planung berücksichtigen“, so der Anbieter. DevOps – also die Verbindung und Zusammenarbeit zwischen Entwicklern und IT-Betrieb – werde deshalb immer notwendiger. Gleichzeitig werde die Entstehung von DevOps Anwendungen hervorbringen, die stärker auf Nutzererfahrungen basieren.
Wie aber lassen sich diese vielfältigen Entwicklungen auf einen Nenner bringen? AppSense schlägt als Formel „Einfachheit“ vor. „Im Spannungsfeld zwischen neuen Betriebssystemen, Endgeräten und wachsenden Datenbergen erwarten die Anwender zeitgemäße Konzepte, die ihnen die Arbeit erleichtern", sagt Markus Martinek, Country Manager Austria und Eastern Europe bei AppSense.
„2013 wird die IT über die Wettbewerbsstärke von Unternehmen entscheiden“, sagt John Michelsen, CTO von CA Technologies. CIOs müssten ein Geschäftsmodell entwickeln, welches alle Elemente und Technologien enthält und dabei eine integrierte Anwendererfahrung möglich macht. „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen CIOs als Innovatoren und Integratoren gleichermaßen fungieren“, so Michelsen. „In dieser Welt der komplexen IT muss der CIO ein verlässlicher Ratgeber, ein Service Broker und ein Qualitätsmanager gleichzeitig sein.“
Klingt anstrengender, als von Science Fiction zu träumen. Und auch langweiliger. Michael Beutner, Geschäftsführer Technik bei Consol, bestätigt das. „2013 werden kaum radikal neue Trends auftauchen, sondern bestehende werden neu justiert“, so Beutner. „Das heißt, sie werden sich den tatsächlichen und ganz alltäglichen Unternehmensanforderungen anpassen.“