Queen Mary 2

IT um Buglängen voraus

06.09.2004
Das größte Kreuzfahrtschiff der Welt arbeitet mit einem komplexen Property- Management-System. Vom Verriegeln der Kabinentüren über den E-Mail-Verkehr bis zum interaktiven Fernsehen steuert es alles, was an Bord elektronisch ist.

Hunderttausende Schaulustige sind extra früh aufgestanden, um dem Luxusliner Queen Mary 2 zu seinem ersten Deutschland-Besuch einen würdigen Empfang zu bereiten. Der Anblick des größten, höchsten, breitesten und teuersten Kreuzfahrtschiffes der Welt lässt selbst Nichtschwimmer, Landratten und erklärte Kreuzfahrtgegner ehrfurchtsvoll erstarren. Was sich im Frühnebel auf den Hamburger Hafen zubewegt, sprengt schon äußerlich alle Dimensionen. Was der Bewunderer nicht sieht: Um das gesamte Geschehen rund um die 2600 Passagiere und 1200 Besatzungsmitglieder auf dem Ozeangiganten möglichst elegant zu steuern und zu kontrollieren, hat die britisch-amerikanische Reederei Cunard ihre Königin von Achtern bis zum Bug verkabelt und mit IT vollgepackt.

Smart-Card ersetzt Schlüssel und Bargeld

Einen Vorgeschmack bekommt der Gast bereits beim Einchecken an Bord: Statt Kabinentürschlüssel erhält er eine mit seinem Foto versehene ID-Card, mit der ihm fortan alle Annehmlichkeiten an Bord bargeldlos zur Verfügung stehen. Neben der Kredikartenfunktion dient sie ihm auch als Passersatz, sodass er weder Geldbörse noch einen Ausweis mit sich tragen muss.

Die Smart-Card und die dahinter wirkende IT markieren eine neue technische Dimension auf See: Beim Einlesen der Passagier-Daten werden mehrere Systeme aktiviert und darüber informiert, dass der entsprechende Gast an Bord gegangen ist. Daraufhin wird sofort sein Abrechnungskonto aktiviert, sodass dieser seine ID-Card an sämtlichen Kassenstandorten - Bars, Internet-Cafe und SpaClub sowie in allen an Bord befindlichen Läden - als Kreditkarte nutzen kann. Auch Reservierungen für Veranstaltungen an Bord oder von Ausflügen auf dem Festland sind über das System möglich. In seiner Kabine oder Suite verfügt jeder Reisende über einen eigenen E-Mail-Zugang, er kann online einkaufen, Wein ordern oder bei Bedarf einer Mitreisenden Blumen zukommen lassen. Von Zeit zu Zeit kann er sich einen Überblick darüber verschaffen, wie viel er an Bord bereits ausgegeben hat.

"Für unsere Zwecke brauchen wir ein absolut zuverlässiges System", sagt Frank Finch, Technischer Direktor von Cunard in Miami. Man arbeite daher mit drei Redundanzen. Komme es zu einem Ausfall in Computerraum eins, springe sofort das Ersatzsystem in Computerraum zwei ein. Drei Computerräume gebe es an Bord. Finch: "Der Passagier merkt davon nichts." Die Anforderungen an die IT an Bord unterscheiden sich von denen einer normalen Hotelsoftware insbesondere hinsichtlich ihrer Sicherheitsanforderungen. "Seit den Anschlägen des 11. September hat sich viel geändert, es gelten strenge Regeln und Richtlinien", erläutert Richard Beliveau, Applications- und Development-Manager bei Cunard. Auch das müsse die IT leisten.

Das System der Queen Mary 2 integriert als Herzstück eine Property-Management-Applikation der US-Firma Discovery Travel Systems (DTS) mit Lösungen, die sich über sämtliche Bereiche erstrecken: angefangen bei der Verriegelung der Kabinentüren über die Unterhaltungselektronik innerhalb der Kabine bis hin zu einem Kommunikationssystem, zu dem die Passagiere mittels interaktivem Fernsehen Zugang erhalten. Die Lösung basiert auf der Open-Edge-Platform der Progress Software Corporation, die Entwicklungswerkzeuge und Infrastruktur für die Anwendungen liefert.

Buchungen von Bord aus

Über das Fernsehsystem, das eine Schnittstelle zur Abrechnungsapplikation auf dem Luxusliner hat, können quasi vom Kabinenbett aus Ausflüge an Land gebucht werden. Außerdem kann der geneigte Gast schon einmal einen Blick auf die Speisekarte der elf Restaurants werfen, vorbestellen und einen Platz reservieren. Das interaktive TV-System stammt von der deutschen Firma IDF GmbH (Hamburg). Die genannten Beispiele sind nur einige von diversen Anbietern. "Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die vielen Produkte und Systeme unterschiedlicher Firmen reibungslos zusammenwirken", sagt Frank Finch von Cunard. Bisher habe es noch keine größeren Pannen gegeben, kleinere Widrigkeiten konnten innerhalb weniger Stunden behoben werden.

Noch vor der Jungfernfahrt der QM 2 erhielt die Crew ein spezielles IT-Training, sodass jeder Mitarbeiter den Gast einweisen kann beziehungsweise selbst mit dem elektronischen Equipment wie zum Beispiel dem Kassensystem umzugehen weiß. Sicherheitshalber sind ständig drei Support-Officer an Bord; bei größeren Störungen hilft die Cunard-Zentrale via Satellit. "Heute ist es nicht mehr nötig, per Hubschrauber Hilfe einfliegen zu lassen", sagt Finch.

Auch die Sicherheit an Bord wird maßgeblich über das IT-System gesteuert und kontrolliert. So kann über Smart-Card-Reader in Treppen, Fahrstühlen und anderen neuralgischen Punkten jederzeit kontrolliert werden, ob sich Menschen in gefährdeten Bereichen aufhalten. Auch diese Technik wirkt - für den Gast vollkommen unsichtbar.

Karolin Köcher [redaktion@cio.de]