EIN STURM PFEIFT um den überdimensionalen Vierzylinder am Münchener Petuelring. Die Sicherheitskontrollen am Eingang erinnern an das Kanzleramt: „Früher mussten wir uns vor der Roten-Armee-Fraktion schützen, heute vor den Islamisten“, so die Pförtnerin gebieterisch. Immerhin seien die Bayerischen Motorenwerke (BMW) „ein Bluechip“, bittet der Pressesprecher um Verständnis. Die Tonlage seiner Stimme schwingt zwischen Andacht und Respekt, während der Fahrstuhl sanft gen Himmel schnurrt. Das Treffen mit Jürgen Maidl findet in der Konferenzetage des Hauses statt – nicht in seinem Büro. Das Signal kommt an: Bei BMW zählt allein das Unternehmen; die Mitarbeiter haben sich hinter der mächtigen Marke zu ducken.
Der 41-jährige Maidl ist Leiter der letztes Jahr geschaffenen Abteilung Zentrale Informationstechnologie. „Es war nötig, unsere IT-Organisation noch stärker zu straffen und die Verantwortung auf wenige Einheiten zu konzentrieren“, begründet Maidl die Entstehung der neuen Abteilung. Statt einer Vielzahl kleiner Inseln in den Abteilungen des Unternehmens hat jetzt nur noch jedes Vorstandsressort seinen eigenen IT-Stab. Darüber hinaus gab es bisher zwei Einheiten, die sich mit unternehmensübergreifendem Koordinieren, Harmonisieren und den IT-Leitlinien befassten: die eine zuständig für Planung, Steuerung, Strategie und Architektur, die andere für Infrastruktur und Technologie. In einem fünfmonatigen Prozess wurden beide Abteilungen nun zu einer verschmolzen. Die Zentrale Informationstechnologie ist dem Finanzvorstand unterstellt und koordiniert die Aktivitäten aller IT-Abteilungen. 400 Mitarbeiter sind hier beschäftigt; hinzu kommen noch einmal 300 im Ausland, die fachlich von München aus geführt werden.
Mit dem Strukturwandel hofft BMW, die fortschreitende Globalisierung des Unternehmens in den Griff zu bekommen. Zu viele Köche sorgten offenbar für zu viele verschiedene, inkompatible Lösungen. BMW produziert immerhin von Brasilien bis Südafrika, montiert von Mexiko bis Vietnam und vertreibt von Finnland bis in die USA.
Software muss nicht aus Bayern kommen
Copy Exact, E-Business und 24/7-Fähigkeit heißen die Herausforderungen, denen sich IT-Leiter Maidl und seine Kollegen derzeit stellen. Die Ziele sind hoch gesteckt. So sollen weltweit die gleichen Prozesse mit den gleichen Systemen gemessen, geregelt und gesteuert werden (Copy Exact). „Natürlich müssen wir dabei ein paar landesspezifische IT-Besonderheiten berücksichtigen, aber im Prinzip sollen Produktion, Vertrieb oder Accounting etwa in Indonesien über jeweils identische Prozesse abgewickelt werden wie in den USA oder Deutschland“, sagt Maidl. Dass BMW dabei zu einem gigantischen Exporteur deutscher Software wird, ist ein Nebenaspekt. „Entscheidend ist nicht, woher die Programme kommen; entscheidend ist, wie sie eingesetzt werden“, sagt er und räumt mit lokalpatriotischer Großzügigkeit ein: Das Unternehmen arbeite gelegentlich auch mit Software, die aus anderen Ländern als Bayern kommt.
Noch wird im Konzern viel mit Handgestricktem gearbeitet. Die selbst entwickelten Systeme und Programme sind zum Großteil älter als acht Jahre. „Es gab damals einfach nichts auf dem Markt, was einen vergleichbaren Nutzen gebracht hätte“, erinnert sich Maidl. Künftig allerdings sollen eigene Entwicklungen nur noch bei einem „nachhaltigen Wettbewerbsvorteil“ in Angriff genommen werden. Zwanzig bis dreißig Prozent des Gesamtvolumens werden das sein, so die Vision – vor allem in den Bereichen Planung und Steuerung der Projekte sowie der Prozessdefinition, denn „da wollen wir auch in Zukunft nicht, dass Externe unsere Prozesse gestalten“, sagt Maidl.
Beim größeren Teil des Kuchens jedoch will sich das Unternehmen stärker auf Standardlösungen konzentrieren. – nicht zuletzt, weil „wir Geld leichter beschaffen können als IT-Fachkräfte für eigene Lösungen“. Im Rahmen von Entwicklungspartnerschaften mit Software-Herstellern sollen deshalb die Ideen der Münchener in die jeweiligen Standards eingepflegt werden. Das gilt besonders für die Beziehungen zu den Zulieferern, das Supplier Relationship Management. „Wir wollen mühsame Abstimmungen zwischen unterschiedlichen Systemen ohne Standardschnittstellen vermeiden“, erklärt Maidl.
Das Netz sei die Zukunft, die Lösung heiße E-Business. „Wir entwickeln keine eigenen Standards mehr, sondern setzen auf Weltstandards“, so der Informatiker. Für BMW bedeute das: durch größeren Wettbewerb unter den Zulieferern niedrigere Preise für die Einkäufer des Hauses. Der Datenaustausch zwischen Händlern, Zulieferern und Produktion via Internet soll so weit optimiert werden, dass sich ein Kunde noch vier Tage vor Produktionsbeginn (bisher zwanzig Tage) statt für die Stoffsitze von Zulieferer A für die Ledergarnitur des Herstellers B entscheiden kann. Rund 40000 solcher Änderungswünsche laufen bei BMW pro Jahr auf – nach der Bestellung. „Änderung heißt für uns oft Aufwertung“, verrät Maidl. Anders gesagt: Der unentschlossene Kunde neigt am Ende zu teureren Varianten.
Pflichtverfügbarkeit: 24 mal 7 in der IT
Handfeste Kostenersparnisse durch bessere und schnellere Prozesse spielen bei der weltweiten Vernetzung jedoch eine ebenso wichtige Rolle wie ein verbesserter Kundendienst. Am Ende sollen auch die Entwicklungszeiten für die neuen Modelle verkürzt werden; denn nur die lassen sich ohne Abschläge und Rabatte verkaufen. Für die IT bedeutet das, Prozesse wie Collaborative Engineering oder Supply Chain Management mit Car-Konfiguratoren, Ordering-Prozessen und Maschinenanwendungen zu vernetzen und den Externen „offene Stecker“ anzubieten.
Schon lauert dabei das nächste Problem: Hat der Händler in Japan Probleme beim Anwerfen seines Car- Konfigurators, dann dürfte der Entwickler in München noch schlafen. Wer weltweit mit den gleichen Systemen und Programmen agieren will, muss seine Technologie auch 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche zur Verfügung stellen (24/7-Fähigkeit). In einigen BMW-Werken laufen die Maschinen bereits bis zu 160 Stunden die Woche. Anwendungen und Infrastruktur müssen da mithalten. „IT-Angestellte sind nicht nur rar, sie sind auch den Schichtbetrieb nicht gewohnt“, kritisiert Maidl. Die Lösung müsse also in Anwendungen liegen, die rund um die Uhr laufen und von Fachfremden bedient und gewartet werden können. „Ein großes Thema“, stöhnt Maidl.
Doch wie sagte der Mann, dessen Abteilung über ein jährliches Budget in dreistelliger Millionenhöhe verfügt? „Wir kriegen eher Geld als Personal.“