Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, was denn nun NGNs genau sind. "Laut der International Telecommunication Union ITU handelt es sich bei einem NGN um ein Paket-basiertes Netzwerk, das in der Lage ist, Telekommunikationsdienste bereitzustellen und dabei die Nutzung von unterschiedlichen Breitband-Technologien und Quality of Service-fähigen Transport-Technologien zuzulassen" , sagt Wolfram Funk von der Experton Group.
Die Service-Funktionen von NGN sind typischerweise unabhängig von zugrunde liegenden Übertragungs-Technologien. Die Netzwerke der nächsten Generation bilden eine neue Architektur für den Kern der Netzwerke ebenso wie für die Zugriffsebene. Als zentralen Standard hat man sich auf das Internet Protocol (IP) geeinigt, das sich bereits etabliert hat.
Konvergenz als größter Vorteil
Der Vorteil von NGN ist die Konvergenz. Unterschiedliche Netzfunktionen wie Transport, Dienst und Kontrolle können auf verschiedenen Netzebenen betrieben werden. Wird zum Beispiel für ein NGN als Transportnetz ein IP-Netz genutzt, so kann dieses in das Internet integriert sein. Das erklärt auch, warum heute meistens eher von IP-Technologie die Rede ist als von NGN.
Konvergenz von IT und TK ist zwar einer der Hauptvorteile, aber auch eines der größten Probleme - noch. "Ein neues Netzwerk aufzubauen ist ein langfristiges Unternehmen. Das Thema NGN ist gar nicht so trivial und sehr komplex", sagt Funk. Momentan schaffen die Carrier in Europa weiter die Basis für die Konvergenz von Netzen und Endgeräten sowie für die Migration auf IP-Technologie im klassischen Telekommunikationsumfeld. "Dabei entwickeln sich die IT-Architekturen vom herkömmlichen Modell der Anwendungs-Silos zu einem Service-orientierten Modell", berichtet der Berater.
IP Multimedia Sub-Systeme (IMS) dienen dabei als unterstützende Plattform. Zu den Vorreitern gehört unter anderem die British Telecom. Der TK-Anbieter will bis 2010 die Migration von Public Switched Telephone Network hin zu IP-Netzwerken abschließen. Aber auch bei der Deutschen Telekom ist der Technologie-Schwenk zumindest intern schon geschafft. In Bezug auf das Kundengeschäft muss aber noch etwas passieren.
Die Versuchskaninchen der großen Telcos
Momentan haben da eher klassische Portalanbieter wie Google, Yahoo, MSN oder auch Kabelanbieter die Nase vorne. Die großen TK-Anbieter schauen aber genau, was die Kleinen im Markt machen. Noch hält sich die Unruhe in Grenzen, da Angebote wie Skype eher von Privatkunden oder kleineren Firmen genutzt werden. Noch lässt ihre Zuverlässigkeit zu wünschen übrig. Es scheint fast so, als ob die Großen wie Telekom oder Arcor abwarten, was aus diesen Versuchskaninchen wird, und erst konkret in den Markt einsteigen, wenn sie selbst fit sind, die Ansprüche von Großkunden komplett zu erfüllen.
Die sollen von NGNs einmal dadurch profitieren, dass mehr unterschiedliche Dienste auf einem Endgerät gebündelt werden können. Bisher war das eher schwierig. Mit der neuen Generation bei den Netzwerken sollen Dienste aber einfacher und vor allem schneller bereitgestellt werden. So zum Beispiel, wenn auf IP-basierte Technologie umgestellt wird. Durch das zu erwartende Gerangel im Markt bei den Anbietern wird sicherlich auch an der Preisschraube gedreht. Funk erwartet, dass die Kosten sinken werden, wenn NGNs zum gängigen Modell werden.
Generell zeigt sich, dass die Carrier den IMS-Einsatz unterschiedlich intensiv angehen. Das liegt laut Funk an zwei Problemfeldern, die beide mit der Komplexität des IMS-Standards zu tun haben.
Konservativ statt innovativ
Zum einen ist die Implementierung nach dem Prinzip "Big Bang", wie sie von manchen Netzausrüstern gewünscht wird, mit Risiken verbunden.Viele Carrier gehen daher das Thema eher konservativ an und orientieren sich zunächst an Service Delivery Plattformen (SDPs) und Unlicensed Mobile Access (UMA). Diese Technologien stellen mit einem vergleichsweise geringeren Risiko sofort einen Teil der IMS-Funktionalität bereit. Sie sorgen für eine komplette Integration mit Legacy-Systemen und können ohne weiteres in eine künftige IMS-Strategie aufgenommen werden. Manche Anbieter haben auf diese Entwicklung bei den Telcos reagiert und bieten nun stufenweise IMS-Architekturen an.
"Die zweite Herausforderung besteht darin, dass IMS als komplexe Standardarchitektur zwar den größten Teil der Anforderungen der meisten TK-Anbieter erfüllt, aber für keinen die perfekte Lösung darstellt", berichtet Funk. Das hat dazu geführt, dass mehrere große Carrier sich mit ihren Lieferanten zusammengetan haben, um eine optimal auf die eigenen Anforderungen zugeschnittene Version der IMS-Plattform zu schaffen. Das ist vor allem in den USA der Fall, wo Verizon mit A-IMS und AT&T mit Carts entsprechende Standards geschaffen haben.
Fragmentierung gefährdet Interoperabilität
Die vermehrte Schaffung von IMS-Plus-Plattformen könnte in Zukunft zur Fragmentierung des Standards führen, befürchtet Funk: "Die Interoperabilität zwischen einzelnen Netzbetreibern wäre dann nicht mehr hundertprozentig gewährt."
"Kein CTO und CIO von Telekommunikations-Anbietern zweifelt daran, dass sich die Zeiten von Time Division Multiplexing ihrem Ende zuneigen“, sagt IDC-Analyst Dan Bieler. In allen OECD-Ländern und auch in vielen Wachstumsmärkten sind die TK-Anbieter damit beschäftigt, ihre Netzwerkinfrastruktur auf NGN-Infrastruktur umzurüsten.
Durch den steigenden Kostendruck einerseits und dem Preisverfall bei Sprachdiensten andererseits sind Dienstleister und Netzwerkbetreiber gezwungen, neue Ansätze zu suchen. Ziel ist ein wirtschaftliches und effizientes Angebot von Telekommunikationsdiensten und Betrieb von Netzen.
Laut IDC sind deshalb auch zu erwartende Einsparungen zwischen 30 und 50 Prozent bei den Netzwerkkosten Haupttreiber für die Migration auf NGN - aufgeteilt auf etwa 70 Prozent Investitionen und 30 Prozent Betriebskosten. Der Marktforscher prognostiziert, dass sich der Quotient von Infrastrukturinvestitionen zum Spartenumsatz von etwa 13 bis 14 Prozent innerhalb der kommenden fünf bis sechs Jahre auf zwischen sieben und acht Prozent reduzieren wird. "Natürlich bedarf es Vorabinvestitionen, die den Quotienten mittelfristig nach oben treiben", relativiert Bieler die Vorhersage.
Dieser Migrations-Prozess ist aber nicht wegen des Kosteneinsparungspotenzials von fundamentaler Bedeutung, meint Bieler: "Er ist revolutionär, da im Kern dieser Migration die Welten von IT und TK beginnen, wirklich zusammenzuwachsen." TK-Anwendungen werden von NGNs genauso als IP-Applikationen behandelt wie IT-Applikationen. Die Folgen für TK-Anbieter sind weitreichend.
Kunden-orientiert statt Technik-bezogen
Zum einen bieten NGNs Anbietern die Chance, sich Endkunden-orientiert und nicht mehr rein Technik-bezogen zu positionieren. Das heißt, Carrier sind in einer besseren Position, sich auf Konsumenten und Geschäftskunden, anstatt rein auf Festnetz und Mobilfunk auszurichten.
Andererseits laufen TK-Anbieter, so die Befürchtung von IDC, ernsthaft Gefahr, die Folgen von NGN zu unterschätzen. Wer so handelt, muss sich nicht wundern, wenn die eigene Position im Markt an IT-Anbieter verloren geht. Denn Migration zu den neuen Netzen bedeutet nicht nur die Erneuerung einer physikalischen Netzwerkinfrastruktur. "NGNs werden grundlegend die Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse der Anbieter und Anwender von ITK-Dienstleistungen verändern", prognostiziert IDC-Analyst Bieler.
Marktanteile werden neu verteilt
Sollten es TK-Anbieter verpassen, sich auf die fundamentalen Veränderungen vorzubereiten, könnten IT-Firmen und System-Integratoren ICT-Marktanteile der klassischen Telcos wegschnappen. Denn viele der essenziellen Veränderungen, die durch die NGN-Migration angestoßen werden, fallen in den IT-Bereich.