Vor etwa zehn Jahren schrieb der US-Autor Nicholas Carr seinen legendären Essay "IT doesn't matter", in dem er vorhersagte, IT werde bald zum standardisierten Verbrauchsgut wie Strom aus der Steckdose, IT-Organisationen deshalb in naher Zukunft unwichtig. Der Outsourcing-Megatrend nach der Jahrtausendwende schien Carrs These zunächst zu bestätigen. Doch mittlerweile wären starke IT-Abteilungen wieder sinnvoller denn je, schließlich zwingt die digitale Transformation viele Unternehmen dazu, ihr Geschäftsmodell radikal anzupassen oder sogar vollständig neu aufzustellen.
Allerdings sind die wenigsten IT-Abteilungen dazu in der Lage, diese Rolle erfolgreich auszufüllen. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie, die das Beratungsunternehmen Pierre Audoin Consultants (PAC) im Rahmen des Forschungsprojekts ProdIT durchgeführt hat. Das Vorhaben "Produktivität IT-basierter Dienstleistungen" wird vom Bundesforschungsministerium gefördert, neben PAC sind daran auch die Universität Mannheim und das ZEW - Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung - beteiligt.
Für die Studie wurden IT-Verantwortliche aus mehr als 140 Unternehmen in Deutschland zu ihrer Rolle befragt. Ernüchterndes Ergebnis: In 70 Prozent der Firmen ist die IT nicht mehr Hauptentscheidungsträger, wenn es um neue Lösungen für die Fachbereiche geht. Und: In 72 Prozent der Fälle steht die Unterstützung geschäftlicher Innovationen nicht auf der Liste der Top-Prioritäten der IT-Abteilung. Gerade wenn es um digitale Innovationen geht, entscheiden immer häufiger Marketing- oder Vertriebsverantwortliche über Technologiefragen und Strategien.
Das neue Jahrtausend begann 2010
Dramatisch sind diese Ergebnisse insofern, als gerade jetzt das genaue Gegenteil geboten wäre, weil das Internet erst jetzt jene Veränderungskraft entwickelt hat, die nichts mehr so lässt, wie es einmal war. Der indische Unternehmer und Buchautor Vivek Ranadivé hat einmal gesagt, in technologischer Hinsicht habe das neue Jahrtausend circa 2010 begonnen: Grenzenlose Mobilität mit immer neuen Endgeräten und ihre Wirkung auf Unternehmen gibt es - frühestens - seit Erscheinen des ersten iPhones 2007.
Und erst in den Jahren danach wurde die Flatrate zum Normalfall, die Möglichkeit, jederzeit beliebig große Datenmengen aus dem Netz zu saugen. Tablet-Computer als Massenphänomen sind noch jünger, und ihr Siegeszug von den Privathaushalten in den Arbeitsalltag von Servicetechnikern, Versicherungsmaklern und vielen anderen beginnt gerade erst.
Oder Big Data: Erst seit wenigen Jahren sind Supercomputer so (vergleichsweise) preiswert, dass sie auch Privatfirmen anschaffen können. Die explosionsartige Zunahme der global transportieren Daten ist ebenfalls ein Phänomen der zurückliegenden zwei bis vier Jahre. Facebook ist zwar 2004 entstanden, entwickelte sich aber erst ab 2009 zu jener unwiderstehlichen Kommunikationsmaschine, die Junge (und Junggebliebene) auf dem ganzen Globus miteinander vernetzt.
Eine Milliarde Smartphones in einem Jahr
Mittlerweile gibt es auf unserem Planeten mehr Mobil- als Festnetztelefone. Die Menschheit brauchte 100 Jahre, bis eine Milliarde Menschen ein Telefon hatten und zehn Jahre für eine Milliarde Mobiltelefone. Aber es wird von heute an nur etwa ein Jahr vergehen, bis die nächste Milliarde Smartphones verkauft ist. Zwischen Sommer 2012 und Sommer 2013 sind weltweit mehr Daten entstanden als in den hundert Jahren zuvor. Innerhalb einer Woche laden Menschen bei Youtube mehr Content hoch als Hollywood in seiner gesamten Geschichte produziert hat. Der weltgrößte Buchhändler besitzt keine Buchläden mehr und der weltgrößte Musikhändler keine Plattengeschäfte.
Alle diese Phänomene gäbe es nicht ohne das Internet, PAC bezeichnet den Megatrend zusammenfassend als "Digitale Transformation". Die meisten Unternehmen können sich keineswegs aussuchen, ob sie sich damit auseinandersetzen möchten; es bleibt ihnen schlicht nichts anderes übrig. Zu bewältigen ist der Umbruch aber nicht mit einer schwachen, bedeutungslosen IT-Abteilung, im Gegenteil.
Was Unternehmen brauchen, so die Autoren der zitierten Studie, ist die Unterstützung durch eine IT-Organisation, die aufgrund ihrer Nähe zum Business helfen kann, den Umbau von Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen auf Basis digitaler Technologien effektiv und unternehmensübergreifend zu unterstützen.
IT-Abteilung setzt die falschen Prioritäten
Verstanden und umgesetzt haben diesen Rollenwechsel aber bisher die wenigsten IT-Organisationen, so das ernüchternde Ergebnis der Studie. Die Mehrheit der Befragten aus 140 Unternehmen nennt die Gewährleistung eines reibungslosen IT-Betriebs und die Steigerung der Effizienz als wichtigste Entwicklungsziele der IT. Die Optimierung von Geschäftsprozessen oder die Förderung von geschäftlichen Innovationen haben dagegen nur eine geringe Bedeutung.
Zwar fordern viele IT-Abteilungen eine bessere Einbeziehung in strategische Einscheidungen, aber nur wenige halten es für notwendig, ihre Möglichkeiten und Leistungen gegen über dem Business besser darzustellen. Zufriedenheitsbefragungen bei Endanwendern oder Fachbereichen kommen fast nie vor.
Schwer verständlich auch, dass sich Business und IT in nur 40 Prozent der befragten Unternehmen regelmäßig zu strategischen Fragen austauschen. In etwa jedem fünften Unternehmen findet dazu gar kein Dialog statt. Und wer sich klein macht, der wird auch so behandelt: Selbst auf traditionellen IT-Feldern wie der Entwicklung neuer Softwarelösungen für die Fachbereiche sitzt in der Mehrheit der Unternehmen die IT-Abteilung zwar als Mitentscheider am Tisch, aber nicht in der Rolle des Projektleiters.
Bei der Gestaltung von Geschäftsprozessen oder von Innovationen hat die interne IT in der Mehrheit der Unternehmen allenfalls eine beratende Funktion. Gründe für die passive Rolle der IT liefert die Studie nicht direkt, allerdings haben die Autoren versucht, ihnen in zusätzlich durchgeführten Vertiefungsgesprächen mit Teilnehmern nahe zu kommen. Viele IT-Verantwortliche verwiesen dabei auf die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Fachabteilungen und eine unzureichende Unterstützung durch das Top-Management. Andere merkten durchaus selbstkritisch an, dass mit IT-Verantwortlichen "alter Schule" eine Änderung in der Ausrichtung nur schwer möglich sei.
Insgesamt glichen viele Beschreibungen der Ursachen des Problems der berühmten Katze, die sie selbst in den Schwanz beißt: Wegen fehlender Anerkennung ist die IT zu Kosteneinsparungen gezwungen. Dadurch fehlen die Ressourcen für eine Neuausrichtung. Stellt sich die IT aber nicht neu auf, dann wird sich der Kostendruck noch weiter verschärfen.
5 Ratschläge für IT-Abteilungen
Die Vertiefungsgespräche und Interviews lieferten den Forschern allerdings auch Hinweise darauf, wie sich dieser Teufelskreis durchbrechen lässt. Die wichtigsten:
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Erstens sollten IT-Abteilungen darauf dringen, die Infrastruktur so weit wie möglich zu standardisieren und konsolidieren, um finanzielle und personelle Ressourcen für mehr Businessorientierung freizuschaufeln.
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Zweitens sollten sie ihre diesbezüglichen Leistungen in einem Servicekatalog beschreiben.
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Drittens empfiehlt es sich für IT-Macher, systematisch Prozesswissen aufbauen.
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Viertens lohnt es ich nach Meinung vieler Antwortenden, in IT-Marketing zu investieren, also eigene erfolgreiche Projekte nach Möglichkeit über die Unternehmenskommunikation nach außen zu tragen.
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Fünftens schließlich kann es für IT-Verantwortlich durchaus lohnenswert sein kann, formale, mit Widerständen behaftete Prozesse zu verlassen und sich statt dessen auf informellem Weg Verbündete in den Fachabteilungen zu suchen, um auf diesem Weg Pilotprojekte umzusetzen.
Auf welchem Weg auch immer: Den Rollenwechsel beherzt anzugehen, ist für IT-Abteilungen (über-)lebenswichtig, wollen sie nicht in Bedeutungslosigkeit versinken. Nur wenn die Verantwortlichen aufhören, sich ausschließlich um niedrige Kosten und gut ausgelastete Ressourcen zu kümmern, statt dessen den Wert ihrer Leistung aus Sicht des Kunden maximieren, können sie die Rolle im Unternehmen spielen, die ihnen im Sinne einer erfolgreichen digitalen Transformation zukommt.