Tradition lockt Investoren

Italiens Angst vor dem Ausverkauf

20.01.2014
Sie kommen aus China, Frankreich oder Katar: Dutzende ausländische Investoren kaufen jedes Jahr italienische Traditionsunternehmen. In dem Land wächst die Angst vor einem Ausverkauf. Doch auf der anderen Seite hat Italien das frische Geld von außen bitter nötig.

Buitoni, Ducati oder Valentino - mit Marken wie diesen verbindet man echte italienische Pasta, Motorräder oder Mode. Doch tatsächlich sind die Unternehmen längst nicht mehr in heimischer Hand, sondern wurden von ausländischen Investoren übernommen. Hunderten Firmen in Italien erging es einer Studie zufolge in der tiefen Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre so. Die Gewerkschaften schlagen Alarm und befürchten einen Ausverkauf der Industrie - während die Regierung neue Investoren anlocken will.

Seit Jahren steckt die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone in einer Rezession, der bislang schwersten der Nachkriegsgeschichte. Die Arbeitslosenzahlen steigen, die Industrieproduktion sank über Monate, und die Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Unternehmen ließ nach. Tausende kleinere Familienunternehmen müssen jeden Monat schließen, auch viele Großkonzerne halten sich nur mit Mühe und Not über Wasser.

Laut der kürzlich vorgestellten Untersuchung "Outlet Italien. Chronik eines Landes im (Aus)verkauf" des Forschungsinstituts Eurispes und der Gewerkschaft UIL wurden in den vergangenen vier Jahren mehr als 430 italienische Unternehmen von ausländischen Investoren geschluckt. Etwa 55 Milliarden Euro mussten die Käufer demnach dafür hinblättern.

"Viele unserer besten Unternehmen sind zerdrückt worden von der negativen Konjunktur, der Überbürokratisierung, ungerechten Steuern und der Unmöglichkeit, Kredite zu bekommen", sagte Eurispes-Präsident Gian Maria Fara bei der Vorstellung der Studie. "Hier endet das "Made in Italy" in den Jahren der Krise", titelte die Zeitung "Corriere della Sera".

Der zum Schweizer Nestlé-Konzern gehörende Nudelproduzent Buitoni, die von der Volkswagen-Gruppe übernommene Motorradmarke Ducati oder das Modelabel Valentino - inzwischen im Besitz von Investoren aus Katar - sind nur einige Beispiele. Die angeschlagene Fluglinie Alitalia hofft auf frisches Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die spanische Telefónica stockt ihre Anteile an der Telecom Italia auf - und auch um die Zukunft des Rüstungskonzerns Finmeccanica wird gerungen. Selbst vor dem Fußball macht die Entwicklung nicht Halt: Ein indonesischer Investor sicherte sich die Mehrheit der Anteile am Spitzenclub Inter Mailand.

Vor allem die Tradition und die bekannten Marken locken Geldgeber aus der Ferne an. "Weil es sehr kompliziert ist, schnell eine Marke aufzubauen und noch schwieriger, über einen langen Zeitraum die Qualität zu halten, kaufen viele ausländische Unternehmen Firmen in Italien, um einen Sprung nach vorne zu machen, der sie sonst Jahrzehnte gekostet hätte", sagte Giuseppe Recchi vom Gremium für ausländische Investoren des Verbands Confindustria der Nachrichtenagentur dpa. "Das vergangene Jahr war ein Jahr der besonderen Aktivitäten im Hinblick auf Käufe von Ausländern in Italien", erklärte Recchi.

Vielen Italienern macht die Entwicklung Angst. Die Gewerkschaften fordern, dass das Land sein Tafelsilber nicht verschleudern darf. "Die Unternehmen sind unvermeidlich gezwungen, zu einem niedrigeren Preis als dem realen zu verkaufen", kritisierte Benedetto Attili von UIL bei der Vorstellung der "Outlet"-Studie. Häufig würden die Unternehmen nach der Übernahme ihren Sitz ins Ausland verlagern, mit schlimmen Folgen: "Verlust von Arbeitsplätzen und qualifiziertem Personal, eine Abkehr von den Qualitätsstandards der Produkte".

Doch so lange dies nicht geschieht, sehen die Unternehmen und die italienische Regierung die Entwicklung positiv. "Die Investoren bringen nicht nur Kapital, sondern auch Know-how, Technologie und internationale Kultur", sagte Recchi. "Es ist definitiv eine Chance." Eine Sprecherin des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung erklärte: "Italien sieht den Zufluss von Kapital positiv für die Entwicklung der eigenen Industrie." Regierungschef Enrico Letta sagte, Italien sei "weder ein Outlet, das alles zu niedrigen Preisen verkauft, noch ein Fort Apache, das nur in der Verteidigung ist". (dpa/rs)