CIO: Herr Mendel, 2002 haben Sie geschrieben, ITIL ist die falsche Antwort auf die richtige Frage. Warum?
Thomas Mendel: ITIL hilft CIOs nur bedingt, interne IT-Services zu erstellen: Die Problembehebung dauert zu lang, CIOs investieren kaum noch Geld in Projekte, und die IT muss komplette Services, End-to-End-Services, liefern. Viele Berater und Hersteller erwecken den Eindruck, CIOs können alle drei Fragen mit ITIL in einem Aufwasch erledigen. Das ist natürlich zu viel verlangt.
Jutta Blessin: Gerade bei der Problembehandlung bietet ITIL sehr gute Ansätze. Auch bei End-to-End-Services schafft ITIL Nutzen durch klar strukturierte Prozesse im Support und bei den Delivery-Funktionen. ITIL löst die Probleme allerdings nicht komplett.
Mendel: Das hat einen historischen Grund: Die ITIL-Entwicklung begann vor 20 Jahren, und es gibt erst eine zweite Version der Bücher. Deshalb kommen Themen wie Extended Enterprise, Extended Value Chain und Internet nicht vor. Heute kaufen CIOs für IT-Services meist Komponenten von Dienstleistern ein. Auch sitzen Anwender wie Geschäftspartner oder Außendienstmitarbeiter nicht mehr im Unternehmen. Das kommt bei ITIL alles nicht vor.
Blessin: Richtig, in den ITIL-Büchern steht nicht, dass man das prinzipiell anders macht, je nachdem, ob man den Prozess intern abdeckt oder Teile zukauft. Es ist auch nicht der Anspruch von ITIL, verschiedene Geschäftsmodelle abzudecken. Der ITIL-Prozess funktioniert über klar definierte Rollen; dass einige Aufgaben und Rollen durch Verträge abgedeckt werden, ändert nichts am Prozess.
Mendel: Sehr viele CIOs stehen genau vor diesem Problem und denken, ITIL liefert die Lösung. Um End-to-End-Modelle anzubieten, müssen CIOs unterschiedliche Partner in ein Servicemodell integrieren. ITIL bildet allerdings kein Multi-Provider-Modell ab.
Blessin: ITIL ist wie folgt strukturiert: Man stellt eine interne IT so auf, dass sie wie eine externe funktionieren könnte. Gerade durch klar beschriebene Prozessschritte und Verantwortlichkeiten wird die Service-Erbringung unabhängig davon, wer welchen dieser Schritte übernimmt. Underpinning Contracts binden Dienstleister ein, die genau definierte Teilschritte des Prozesses und klar abgegrenzte Rollen übernehmen.
Mendel: Es ist nur ein Unterschied, ob ich Leistungen zukaufe oder ob ich in der Lage bin, meine IT-Produkte so zu beschreiben, dass ich alle notwendigen Komponenten für einen Service erbringen und einem Service zuordnen kann. Außerdem müssen IT-Abteilungen Änderungen in den Komponenten jederzeit dokumentieren.
Blessin: ITIL behandelt das. Im Servicekatalog definiere ich die Produkte, egal ob ich sie selbst erstelle oder ob ich sie kaufe. Wichtig sind auch Messkriterien für die einzelnen Produkte, denn den Gesamtvervice kann ich nur bewerten, wenn ich die einzelnen Module messe. Auf das notwendige Messen weist ITIL verstärkt hin.
CIO: Wann wird ITIL das End-to-End-Management beim Multi-Provider-Management beschreiben?
Mendel: Das britische Office of Government Commerce (OGC) besitzt die Rechte an ITIL und steuert zentralistisch, was in die Bücher kommt. Um ITIL in die Fläche zu tragen, müssen Anwenderorganisationen mehr Macht bekommen.
Blessin: Das OGC hat dem Executive Board des itSMF International schriftlich zugesichert, dass das Board bei der dritten Auflage der ITIL-Bücher stark involviert sein wird. Damit wird der Praxisbezug auch in Zukunft sichergestellt. Das OGC will sämtliche Änderungen über itSMF International kanalisieren, den Herstellern werden keine Einzelrechte eingeräumt.
Mendel: Die dritte Auflage kommt erst in vier oder fünf Jahren. Das dauert aber viel zu lang. Deswegen bauen Hersteller möglichst viele IT-Basisprozesse für Operations in ihre Produkte ein und setzen ihre eigenen Standards.
CIO: Jeder Anbieter wird dann seine eigenen Prozesse haben.
Mendel: Selbstverständlich, anders verdienen sie ja kein Geld.
CIO: Lässt sich mit ITIL der Qualitätsfortschritt von Prozessen messen?
Blessin: Ich muss beim Festlegen der Messkriterien darauf achten, dass ich diese Kriterien exakt messen kann; dann kann ich auch aus regelmäßigen Messungen einen Trend ablesen. ITIL-Bücher geben dafür lediglich Hilfestellung, aber keine Vorgaben, welche Kriterien für eine Anwendung jeweils die besten sind. Es bleibt CIOs nicht erspart, für die Geschäftserfordernisse des eigenen Unternehmens den richtigen Weg zu finden. Das kann ein allgemeiner Ansatz wie ITIL nicht vorgeben.
Mendel: ITIL hilft CIOs nicht dabei, konkrete Messgrößen zu finden. Ich treffe immer wieder Unternehmen an, die zwar Prozesse nach ITIL eingeführt, aber vergessen haben, Messkriterien festzulegen. Ich muss den Leuten schon sagen, was sie messen sollen.
Blessin: Jein, grundsätzlich wird das Thema behandelt, jedoch nicht in dieser Detailtiefe. Sonst müsste man einzelne Bücher für einzelne Branchen herausgeben. Das ist eben nicht der Ansatz von ITIL ...
Mendel: ...und eben das ist ein Fehler. Von Best Practices wie ITIL erwarten CIOs, dass jemand das macht.
Blessin: ITIL-Bücher können nicht jedes Jahr neu erscheinen, weil sie weltweite Erfahrungen sammeln. Und aus genau diesem Grund halte ich es für legitim, dass wir auf einer allgemeinen Ebene bleiben, weil sich Details wie genaue Messkriterien zu oft ändern.
Mendel: Darum liefern Hersteller die Messkriterien in ihren Produkten mit. Dann hat man wieder viele verschiedene Messgrößen.
CIO: Ist ITIL vielleicht doch die falsche Antwort auf die richtigen Fragen der CIOs?
Blessin: ITIL ist nicht die komplette Antwort auf alle Probleme, bietet aber eine hervorragende Grundlage.
itSMF-Kongress 2004: ITIL-Treffen
Am 7. und 8. Dezember findet in Hamburg der 4. Jahreskongress der unabhängigen und internationalen Organisation für IT Service Management (itSMF) statt.
www.itsmf.de