"Was soll ich mit zwölf Prozessen? Der Laden läuft doch!" Häufig reagieren Mitarbeiter ablehnend, wenn neue Serviceprozesse eingeführt werden sollen. So auch in Köln: Der Stadtrat hatte entschieden, mehrere Ämter, darunter die für Gartenbau- und Bauwesen, im neuen "Technischen Rathaus" zusammenzuführen. Zugleich hatte das Amt für Informationstechnik den Auftrag erhalten, als zentraler Dienstleister für alle Ämter in das Ostgebäude der Veranstaltungshalle Kölnarena umzuziehen. Für Prozesskoordinator Klaus Märzhäuser und seine Kollegen hieß das damals, 1999, den Support für 3000 PC-Arbeitsplätze sicherzustellen.
Klaus Märzhäuser, Prozesskoordinator, Stadt Köln: „Um an Erfahrungsberichte von Prozesseinführungen nach ITIL zu gelangen, muss man sich persönlich austauschen.
Mit Bordmitteln war das nicht zu machen; Märzhäuser schrieb das Projekt aus. Auf die Aufgabenliste setzte er die Prozessoptimierung nach ITIL (IT Infrastructure Library), ein Methodenwerk, das zunehmend an Bedeutung gewinnt, obwohl es bereits Mitte der 80er entwickelt wurde. Damals hatten englische Behörden damit begonnen, ihre IT-Serviceprozesse zu dokumentieren und zu vereinheitlichen. Die Erfahrungen aus einer Vielzahl von Best-Practice-Fällen wurden unter dem Namen ITIL zusammengefasst.
ITIL ist jedoch kein verbindlicher Standard, wie oft angenommen. Vielmehr handelt es sich um eine Art Leitfaden, den IT-Dienstleister an die jeweiligen Erfordernisse anpassen müssen. In den ITIL-Büchern steht lediglich, was sie beachten sollten, wenn Serviceprozesse neu zu organisieren sind. "Um an Erfahrungsberichte von Prozesseinführungen nach ITIL zu gelangen, muss man sich persönlich austauschen", weiß Märzhäuser.
Eine Plattform für diesen Austausch bieten Kongresse des unabhängigen IT Service Management Forums (ITSMF). Mit dessen Gründung 2001 erlangte ITIL auch in Deutschland größere Bekanntheit. Märzhäuser kannte ITIL bis 1999 ebenfalls nicht. Zwar wusste er damals, dass andere Unternehmen standardisierte Prozesse eingeführt hatten; Erfahrungsberichte lagen ihm nicht vor. Über die Ausschreibung für die Prozessumstellung kam Märzhäuser an das Angebot von Hewlett-Packard. Seither hat das Unternehmen alle zwölf Prozesseinführungen begleitet.
Märzhäuser begann - klassisch - mit dem Incident Management, das zuvor sehr aufwendig war. Jetzt ist im Detail beschrieben, wie eine Kundenanfrage zu behandeln ist: Alle Anfragen der Ämter kommen zentral im "IV-Kundenservice" an, der eine Meldung mit einem "Trouble-Ticket" eröffnet und die Anfrage weiterleitet. Das Ticket stellt sicher, dass jede Einzelmaßnahme schriftlich dokumentiert wird. Das bringt Konsistenz in das Verfahren. Früher riefen Kunden bei verschiedenen Stellen in der Informationsverarbeitung an, wodurch eine Störung unter Umständen zugleich mehrfach bearbeitet wurde. Außerdem führen Krankheit oder Urlaub heute nicht mehr zu Dopplungen oder gar zum Stillstand.
Die Anfrage landet anschließend bei einem Mitarbeiter, der die Störung behebt. Ist das nicht möglich oder sind mehrere Kunden betroffen, läuft die Meldung zurück an den Kundendienst, der das Change Management anstößt. Claudia Schwarz, Change Managerin der Stadt Köln, erhält dann den Auftrag, eine neue Applikation zu programmieren oder einen neuen Server aufzusetzen. "Das Change Management dokumentiert sämtliche Veränderungen der IT-Infrastruktur und steuert das Verfahren", erklärt Märzhäuser.
Welche Veränderungen vorgenommen werden, entscheidet das wöchentlich tagende Change Advisory Board (CAB) mit Amtsleitern, IT-Geschäftsleitung, Service- und Bereichsleitern sowie Technikern. In dringenden Fällen trifft sich ein verkleinertes Board auch ad hoc. Erhält Schwarz einen Änderungsauftrag, setzt sie den Prozess "Inbetriebnahme" - für den sie ebenfalls zuständig ist - in Gang. Einen derartigen ITIL-Prozess gibt es indes gar nicht; "den haben wir selbst entwickelt", so Märzhäuser. "Bislang haben wir zwölf Prozesse eingeführt, obwohl ITIL für Service Support und Delivery nur zehn vorsieht." Der Mitarbeiter in der Inbetriebnahme setzt dann in sechs Stufen die Änderung um, wobei er sich mit Mitarbeitern in anderen Prozessen, etwa der "Beschaffung", austauscht. Zugleich informiert die Inbetriebnahme immer wieder die Change Managerin. Ist die Software schließlich freigeschaltet oder der Server installiert, übergibt die Inbetriebnahme den neu geschaffenen Teil der IT-Infrastruktur dem Betriebsverbund. Dort laufen die Prozesse "Operations IV-Kundenservice" und "Problemmanagement" ab.
"Natürlich klappt das nicht immer reibungslos", räumt Märzhäuser ein. Denn ein Mitarbeiter kann in mehreren Prozessen arbeiten und damit zwei Prozess-managern zugeordnet sein. Da kommt es schon mal vor, dass beide zum selben Zeitpunkt einen Datenbankspezialisten einsetzen wollen. Außerdem ist der Prozess-manager nur selten auch der direkte Vorgesetzte, sodass hier hierarchische Unklarheit droht. In solchen Fällen muss das CAB kurzfristig entscheiden, welcher Prozess Priorität erhält.
Die nach ITIL geformten Verfahren stoßen in der Praxis gelegentlich auf Widerstand bei den Mitarbeitern. Um dem vorzubeugen, führt Märzhäuser Schulungen durch. "Die Mitarbeiter müssen die Prozesse akzeptieren, verstehen und leben. Damit steht und fällt jede Prozesseinführung", stellt der Koordinator fest. Er selbst hat vor eineinhalb Jahren an einer dreitägigen Foundation-Schulung teilgenommen, die die zehn ITIL-Basisprozesse vermittelt. Als einzige Prüfungsstelle in Deutschland vergibt die TÜVAkademie Zertifikate für die ITIL-Grundkurse.
Bei den übrigen Mitarbeitern würden interne Schulungen über Erfolg oder Scheitern einer Prozesseinführung entscheiden. "Dabei kann man viel falsch machen", weiß Märzhäuser. "Schulungen mit 30 Teilnehmern und mehreren Dozenten bewirken wenig. Die Fülle der Detailinformationen erschlägt die Fortzubildenden." Märzhäuser schult deshalb nur Gruppen mit höchstens sieben Mitarbeitern und vergleichbaren Tätigkeiten. Selbst diese kleinen Gruppen sollten allerdings unter besonderen Gesichtspunkten zusammengestellt werden, rät Märzhäuser: "Auf jeden Fall sollten auch Bedenkenträger teilnehmen" - zudem Techniker und Spezialisten, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen informell weitergeben und so für mehr Akzeptanz sorgen können.
Der Kölner Koordinator rät zudem dringend dazu, den Betriebsrat von Anfang an einzubeziehen. Sonst könne es zu Schwierigkeiten kommen, wenn Mitarbeiter zusätzliche Aufgaben und damit mehr Verantwortung übernehmen müssen, warnt er. So könne es passieren, dass Datenbankspezialisten im Kundenservice Störungen beheben, an der Inbetriebnahme teilnehmen und in der Kundenberatung Fragen zu Datenbanken beantworten. "Damit jedem Mitarbeiter seine Verantwortung innerhalb eines Prozesses deutlich wird, haben alle Rollen besondere Bezeichnungen erhalten, beispielsweise "Inbetriebnahme-Koordinator", erklärt Märzhäuser.
Ganz ohne Technik kommt jedoch auch ITIL nicht aus. In den Schulungen lernen die Mitarbeiter daher den Umgang mit Soft- und Hardware. Alle dokumentierten Informationen müssen in der Configuration Management Data Base (CMDB) abgelegt und verwaltet werden. In dieser Konfigurationsdatenbank laufen die Daten über Technik, Anfragen und Änderungen an der Infrastruktur zusammen. In Abhängigkeit von den Anforderungen können sie miteinander verknüpft werden.
Prinzipiell bedeutet ITIL trotzdem: null Technik. "Wir haben zuerst alle Prozesse so beschrieben, als hätten wir kein Tool. Erst dann haben wir den IT-Dienstleister ausgewählt, der mit seiner Software die Prozesse abbildet", sagt Märzhäuser. "So verkürzen sich die Durchlaufzeiten, die Preis- und Zeitkalkulationen werden genauer, die ITInfrastruktur lässt sich besser standardisieren, die Kundenzufriedenheit steigt - der Laden läuft einfach besser."
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