Ein kleinerer, innovativer Telekommunikationsanbieter prescht vor. Seit Februar bietet Freenet testweise in Berlin und Hamburg Smart-Home-Boxen an. Über eine eigene App auf dem Handy können die Kunden unter anderem jederzeit ihre Heizungsanlage aus der Ferne steuern.
Eine noch weitaus gefährlichere Konkurrenz droht Energieversorgern durch die Marktmacht der Deutschen Telekom, die im Sommer mit einer speziellen Plattform an den Start gehen will und dabei das Themenfeld Energiesparen mit Sicherheit und Komfort verbindet. Vor wenigen Tagen hat der Konzern zudem einen interessanten Ansatz vorgestellt, welcher die Idee des Smart Home mit eigenen Energieerzeugungskomponenten kombiniert – die perspektivisch zu sogenannten „Schwarmlösungen“ überführt werden können.
Energieversorger lassen auf sich warten
Vergleichbare Lösungen der Utilities lassen dagegen auf sich warten, wie die Erfahrungen der Verbraucher belegen. Nur jeder zehnte Bundesbürger hat bisher nach eigenen Angaben interessante Smart-Home-Angebote seines Energieversorgers erhalten. Dabei interessieren sich inzwischen zwei Drittel für diese Technologien. Sie wünschen sich primär Lösungen, mit denen sie Energie sparen können.
Und die Deutschen sind auch bereit, dafür Geld in die Hand zu nehmen. 63 Prozent rechnen mit Kosten von mehr als 100 Euro im Jahr. Das zeigen Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Online-Umfrage von CSC. 1000 Bundesbürger wurden dafür zum Themenkreis "Smart Home in Deutschland" befragt.
Noch bemühen sich gerade Telekommunikationsunternehmen um eine gemeinsame Marktbegehung mit den Utilities. Ihr Interesse an Kooperationen ist groß. Denn sie wissen, dass der Smart-Home-Markt schneller und gezielter mit Unterstützung der Versorger erschlossen werden kann, die ja über große Erfahrungen -beispielsweise bei der effizienten Nutzung von Energie - verfügen.
Energieversorger sehen immer noch mehr Risiken als Chancen
Doch die Versorger halten sich zurück, sie sehen weiterhin mehr Risiken als Chancen. Wie bei der Liberalisierung schauen sie der Entwicklung skeptisch entgegen und warten mit Aktivitäten, bis der Gesetzgeber sie zum Handeln zwingt. So gibt es auf dem deutschen Markt beispielsweise bisher keinen auf Smart-Home-Nutzer zugeschnittenen Stromtarif. Und nur jeder zehnte Versorger bietet Produkte für den intelligenten Stromzähler (Smart Metering) einschließlich eines Tarifs an.
Wenn die Energieversorger jedoch nicht schnell umdenken, wird die ITK-Branche den Smart-Home-Markt für sich besetzen. Schon heute kann das Energiesparen im Prinzip auch ohne intelligente Zähler und unabhängig von den Versorgern funktionieren. Connected-Home-Gateways sind beispielsweise in der Lage, mit einer Vielzahl unterschiedlicher Geräte zu kommunizieren und Zugang über das Breitbandnetz der Telekommunikationsanbieter bereitzustellen. Über einen Steuerungs- und Konfigurationsserver beim Service-Provider ist es den Kunden möglich, per Cloud-Service auf ihre Heimtechnik zuzugreifen.
Solche Lösungsansätze können sich zu einer ernsthaften Bedrohung für die Energieversorger entwickeln. Denn sie sind auf eine Schnittstelle zum Verbraucher angewiesen. Die intelligente Energiewelt der Zukunft mit Smart Grids, den intelligenten Verteilnetzen, funktioniert nicht ohne eine flexible Steuerung der Lastregelung. Die Haushalte müssen in die Netzbetriebsführung der Versorger eingebunden werden.
Britscher Versorger ändert Geschäftsmodell
Für die Versorger gilt es daher, jetzt zu handeln und adäquate Geschäftsmodelle zu entwickeln. Der Wandel hin zum Servicepartner für Energieeffizienz im Heim lohnt sich, das zeigt unter anderem das Beispiel des großen britischen Versorgers Centrica. Das Unternehmen hat sein Geschäftsmodell komplett umgestellt und versteht sich inzwischen als Rundum-Dienstleister für energiesparende Lösungen - von der Beratung bis hin zur Gebäudesanierung und Photovoltaik.
Eine solche Fokussierung des Geschäftsmodells bietet zudem weitreichende Chancen, beim Kunden auch mit ergänzenden Dienstleistungen beispielsweise zu den Themen Sicherheit und Assisted Living zu punkten.
Die zentralen Aufgaben für Energieversorger
Doch auf dem Weg dahin sind zahlreiche Hausaufgaben zu erledigen. Zu den zentralen Herausforderungen für die Versorger gehören etwa die Entwicklung eines besseren Kundenverständnisses und die Erschließung neuer Vertriebswege. Nicht minder wichtig ist auch die Entwicklung neuer Tarifstrukturen sowie -pakete aus Erzeugung, Verbrauch, Speicherung und Elektromobilität. Hier fehlen den Utilities Know-how und funktionierende IT-Systeme.
So erfassen kleinere Stadtwerke ihre Daten teilweise immer noch mit Excel-Tabellen. Auch die Rechnungsstellung muss den neuen Anforderungen gerecht werden - derzeit geben die Energieversorger dafür zehnmal so viel aus wie die Unternehmen der Telekommunikationsbranche.
Die Schwächen der Versorger sind die Stärken der Kommunikationsanbieter; sie können das, was Energieversorgern fehlt. So sind die Telekommunikations-Provider beispielsweise in der Lage, mit ihren hochentwickelten Abrechnungslogiken das Verbraucherverhalten zu prognostizieren und über Mischkalkulationen ertragreiche Flatrate-Modelle für Smart-Home-Lösungen zu entwickeln.
Sie kennen ihre Kunden weitaus besser als die Energieversorger. Doch auch sie müssen die Prozessabläufe im eigenen Haus grundlegend anpassen und Expertise rund um das Themenfeld Energieeffizienz erwerben, wenn sie den Smart-Home-Markt erschließen wollen.
Verbraucher entscheiden über den Marktsieger
Wer wird den Wettbewerb um diesen neuen Riesenmarkt gewinnen - Energieversorger oder ITKs? Die Antwort darauf ist noch völlig offen. Sie hängt davon ab, wie lange die Versorger zögern werden. Letztlich entscheiden aber die Verbraucher mit ihrem Verhalten. Diese attestieren den Telekommunikationsunternehmen (18 Prozent) derzeit eine etwas größere Smart-Home-Kompetenz als den Energieversorgern (16 Prozent). Auf Interesse stoßen jedoch Angebote beider Branchen (33 Prozent).
6 Thesen zum Smart-Home-Markt
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1. Das Ausland ist innovativ: In Großbritannien, den USA aber vor allem auch in Schwellenländern wie Brasilien wird sich der Smart-Home-Markt wesentlich schneller entwickelt haben als in Deutschland.
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2. Der Gesetzgeber wird in wenigen Jahren erneut eingreifen müssen, um Smart-Home-Lösungen durch die Energieversorger voranzutreiben.
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3. Um anhand von Smart Metering und Smart Grids wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle zu erschließen, brauchen die Energieversorger mehr Kundennähe sowie den Zugriff auf die Endgeräte der Kunden.
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4. Smart Home funktioniert prinzipiell auch ohne Smart Meter.
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5. Sollten die Versorger weiter zögern, hat die ITK-Branche gute Chancen, einen erheblichen Teil des Marktes für sich zu erschließen, insbesondere da sie ihre Stärken im Kundenzugang und im Social Networking ausspielen können.
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6. Energieeffizienz wird bei den Smart-Home-Technologien Priorität haben. Unternehmen, die hier erfolgreich sind, können weitere lukrative Geschäftsfelder erschließen, beispielsweise Sicherheit und Assisted Living, aber auch Entertainment und Komfort.
Michael Fritz ist Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter des Unternehmensbereichs Technology & Energy bei CSC in Deutschland.