Rote Nase, tränende Augen, das dumpfe Dröhnen der Bronchitis hallt durch den Raum. Der fiebrig erkrankte Mitarbeiter sitzt im Meeting und verbreitet seine Bazillen, anstatt sich zu Hause auszukurieren und ein paar Tage später fit und motiviert wieder am Projekt zu sitzen. In deutschen Firmen gar nicht so selten, so das erschreckende Ergebnis einer Umfrage der Personalberater von LAB & Company gemeinsam mit der Hochschule Coburg unter 1500 deutschen Führungskräften.
Mit Fieber zu Arbeit
Die Berater fragten Führungskräfte, wie sie mit erkrankten Mitarbeitern umgingen, etwa im Falle eines dringenden Projekts oder einer anstehenden Deadline. Zwar schickten mehr als zwei Drittel (67,7 Prozent) der Chefs ihren Kollegen wieder nach Hause, damit er sich auskuriere oder nicht womgölich andere anstecke. Aber ein Viertel der Führungskräfte gab an, dem Mitarbeiter eine Heimarbeitsmöglichkeit zu organisieren. Soll heißen: Der werte Kollege kann ja auch im Bett arbeiten. Etwas weniger, 17,6 Prozent, fanden den Einsatz des Mitarbeiters gar gut. Dass er so seine eigene Gesundheit und die seiner Kollegen gefährdet, war wohl weniger wichtig.
Nun sind zwar Mitarbeiter erwachsene Menschen und können im Idealfall selbst entscheiden, was sie tun. Genau aus diesem Grund würden 14,2 Prozent der Führungskräfte ihre Kollegen nicht nach Hause schicken. Damit übersehen Chefs aber die Abhängigkeit ihrer Angestellten. "Oft denken Mitarbeiter, sie seien unersetzlich", sagt LAB-Beraterin Petra Müller. Andere blieben aus Loyalität oder gar Angst um ihren Arbeitsplatz nicht im Bett. "Es gibt auch schon Betriebe mit einer repressiven Stimmung, wo die Chefs mit "Wie kann der ausgerechnet jetzt zuhause bleiben?" reagieren", sagt Müller. Und natürlich ist das, was die Führungskraft vorlebt, auch für ihre Mitarbeiter ein Maßstab. Chefs schonen sich nämlich selbst nicht, wie die Studie ergab.
Keine Schonzeit für Chefs
Mehr als die Hälfte (58 Prozent) der Entscheider geht selbst mit einer mittelschweren Erkältung noch zu Arbeit, weitere 29 Prozent arbeiteten selbst vom Krankenlager aus weiter. Insgesamt also arbeiteten 87 Prozent der Führungskräfte trotz einer Erkrankung weiter. Da wundert es nicht, dass sie an ihre Mitarbeiter auch hohe Maßstäbe anlegen oder dass sich Kollegen schlicht nicht trauen, einfach mal zuhause zu bleiben. Die Folgen dieser fehlgeleiteten Arbeitsmoral: "Die Gefahr besteht, dass immer mehr Mitarbeiter an Burnout leiden oder frühpensioniert werden. Damit verschenken wir unverzichtbares Potenzial - und die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft sinkt natürlich auch", sagt LAB-Geschäftsführer Klaus Aden. Schon jetzt steigen die Zahlen der Frühverrentung an. Und auch der Geschäftserfolg der Firma ist in Gefahr.
Dass man mit Husten, Schnupfen und Fieber selbst unproduktiv ist und oft auch noch Kollegen ansteckt, das scheint in zahlreichen deutschen Firmen noch egal zu sein. "Die Anwesenheit am Arbeitsplatz gilt in Deutschland noch immer als Leistungs- und Karrierekriterium - auch, wenn das zu Lasten der eigenen Gesundheit geht", sagt Eberhard Nöfer, Professor für Soziale Arbeit und Gesundheit an der Hochschule Coburg. Dass reine Anwesenheit am Arbeitsplatz nichts mit der Qualität der Arbeit zu tun, das hat sich wohl in einigen Firmen noch nicht durchgesetzt. Schließlich sagten auch 63 Prozent der Befragten, dass Führungskräfte mit besonders langen Arbeitszeiten bei der Beförderung bevorzugt würden. Krank zur Arbeit zu gehen, das scheint in einigen Firmen noch als "Einsatz" missverstanden zu werden.
Immer weniger Mitarbeiter für immer mehr Arbeit
Wie die Berater herausfanden, hat die Anwesenheit trotz Krankheit zum Teil auch damit zu tun, dass immer weniger Mitarbeiter immer mehr Arbeit erledigen müssen. "Ohne Zwölf-Stunden-Schichten ist das Pensum nicht mehr zu schaffen", gab einer der Befragten an. Ein anderer wollte schlicht "Die Berge, die liegen bleiben", vermeiden. In Zeiten immer unsicherer Arbeitsplätze fürchten viele, zu wenig Leistung zu bringen. Dabei gebe es bessere Möglichkeiten, erkrankten Mitarbeitern wirklich zu helfen.
Gesundheitsexperten erachten Seminare für sinnvoll, in denen Mitarbeiter mehr über Bewegung und gesunde Ernährung lernen. Das, so fürchtet ein Studienteilnehmer, erreiche aber nur diejenigen, die sich ohnehin schon mit dem Thema beschäftigen. "Ein besseres Betriebsklima, wo alle Mitarbeiter aufeinander achten, ist auf jeden Fall sinnvoller", sagt Müller. Das sahen auch 72 Prozent der befragten Führungskräfte so. "Ein Unternehmen beziehungsweise der direkte Vorgesetzte hat einen sehr großen Einfluss auf den Krankenstand seiner Mitarbeiter. Wertschätzung, Respekt und Anerkennung sorgen für Motivation der Mitarbeiter und damit für einen geringeren Krankenstand", sagte einer der Befragten.
Prämien und Kündigungen sind keine Lösung
Aber nicht alle Chefs erkennen, dass eine Verbesserung des Betriebsklimas auch die Gesundheit der Mitarbeiter fördert. Auch wenn einige sie für "ethisch nicht vertretbar" halten: Neun Prozent der befragten Führungskräfte hielten Prämien für sinnvoll, die Angestellte für wenige Krankentage belohnen. "Das ist absolut kontraproduktiv", sagt Müller. "Denn damit öffnet man der Praxis Tür und Tor, sich auch noch im Krankheitsfall in die Arbeit zu schleppen." Nicht das einzige Problem: 17 Prozent gaben an, dass sie es befürworteten, sich von häufig erkrankten Mitarbeitern zu trennen. Damit hätte sich dann ein hoher Krankenstand von allein erledigt. Diese erschreckende Prozentzahl will Beraterin Müller aber nicht gleichsetzen mit einer tatsächlichen Kündigung. Da der Fragebogen nur eine Ja/Nein-Antwort zugelassen habe, so Müller, wäre sie mit einer solchen Interpretation vorsichtig. Trotzdem bleibt angesichts dieser Zahl ein fader Beigeschmack. Andererseits ist es nach deutschem Arbeitsrecht nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich, einem Mitarbeiter wegen Krankheit zu kündigen - insofern ist diese Überlegung allenfalls menschlich schockierend.
Der Gesundheitsexperte Nöfer war von den Studienergebnissen selbst erschrocken. Dass die Gesundheit der Mitarbeiter auch ein wertvolles Gut ist, das habe sich wohl in Deutschland noch nicht durchgesetzt, fürchtet er. Aber nicht alle Chefs sind so. "In Deutschland sagt der überwiegende Teil der Chefs: Wer krank ist, gehört nach Hause", sagt Müller. "Er soll sich vor allem auskurieren", schrieb denn auch eine Führungskraft über einen kranken Mitarbeiter, der trotzdem ins Büro kam. Den meisten Chefs ist die Gesundheit der Mitarbeiter also wichtig. Jetzt müssen sie sich nur noch um ihre eigene kümmern. Dann klappt das auch mit der Vorbildfunktion.