Die Fragen stellten gemeinsam Christian Cohrs (für "Business Punk") und Thomas Cloer.
In Ihrer Twitter-Bio schreiben Sie, Sie seien der glücklichste CTO der Welt. Gilt das noch immer?
Adam Pisoni: Doch, klar. Als wir Yammer vor sechs Jahren gründeten, waren wir ein sehr kleines Team, fünf oder sechs Leute - und schauen Sie, was mittlerweile daraus geworden ist. Wir wussten, dass soziale Kommunikation auch ins Enterprise vordringen würde. Wir wussten aber nicht genau, was das bedeutete - und fanden uns plötzlich im Herzen einer ganzen Reihe von Bewegungen wieder, die da entstanden waren: Transparenz, Übertragen von Verantwortung auf Untergebene, Arbeiten wie ein Netzwerk und all das.
Ich kann mich glücklich schätzen, eine Company mitaufgebaut zu haben, die diesen Ideen zum Durchbruch verholfen hat. Die richtig gut zusammenarbeitet - wir haben eine unheimlich enge interne Community - und die anderen Unternehmen helfen kann. Ich war neulich zu einem Kunden-Meeting mit dem CEO von Telstra. Am Ende des Gesprächs kommt dieser Mann zu mir, schüttelt mir die Hand und sagt: "Sie haben meiner Firma wirklich geholfen". Dabei bin ich der Anbieter, sie bezahlen uns für unsere Services.
Ja, das fühlt sich immer noch gut an. Und unsere Möglichkeiten haben sich erweitert, jetzt wo wir ein Teil von Microsoft sind. Office hat eine Milliarde Nutzer rund um den Globus; wir hatten vorher acht Millionen.
Was hat sich denn verändert nach der Übernahme durch Microsoft?
Adam Pisoni: Zu allererst der Spielraum. Bevor wir gekauft wurden, war unser primäres Ziel Wachstum - wie gewinnen wir mehr Nutzer und Unternehmen. Da waren wir sehr gut unterwegs. Diese Sorte Wachstum brauchen wir nicht mehr - wir sind jetzt Teil von Office. Trotzdem stehen wir jetzt, da wir "legitimiert" sind und die Leute verstehen, dass Tools wie unsere die Arbeitswelt umkrempeln werden, vor einer ähnlichen Herausforderung: Wie kommen wir wirklich in die Unternehmen, wie treiben wir die Akzeptanz und die Veränderung voran.
Zu dem Zeitpunkt, als Yammer verkauft wurde, waren wir 500 Leute. Wir waren von fünf auf 500 gewachsen. Das ist nicht klein, aber auch kein Großkonzern. Wir hatten zwar eine Menge Vorstellungen davon, was große Unternehmen verändern müssen, arbeiteten aber nicht für einen Konzern. Wir haben enorm viel daraus gelernt, Microsoft die gleichen, teilweise schmerzlichen Transformationen durchlaufen zu sehen wie unsere Kunden. Vorher war ein: "Macht einfach dies" leicht gesagt - eine 130.000-Mann-Firma antwortet aber auch mal: "Das können wir nicht machen". Man sieht schnell ein: Selbst wenn man der Chef ist, kann man ein so großes Unternehmen nicht mit einem Fingerschnipsen umkrempeln. Man muss die Firma beeinflussen - und diesen Einfluss zu beobachten war unheimlich lehrreich.
Manche Dinge sind natürlich schwieriger geworden, jetzt wo wir Teil eines großen Konzerns sind; große Unternehmen schlagen sich irgendwo alle mit dem gleichen Dingen herum. Aber im Ausgleich für mehr Schwierigkeiten haben wir auch mehr Handlungsspielraum durch mehr Reichweite bekommen.
Sie transformieren sich also gegenseitig?
Adam Pisoni: Ja, aber wir haben Microsoft stärker verändert als sie uns verändert haben, würde ich sagen. Wir sind zwar nur 500 von den 130.000, aber unsere Wirkung war überproportional.
Bei der kurzen Produkt-Tour vorhin konnte man fast den Eindruck gewinnen, Office sei jetzt ein Teil von Yammer. Entwickelt sich das in diese Richtung?
Adam Pisoni: Nein. Yammer ist ein Kommunikations-Tool, ein Teil der Werkzeuge, die wir brauchen. Office bringt eine Menge mehr ein - Collaboration, Dokumente, Audio, Video, Meetings. Das sind so viel mehr Fähigkeiten - wir müssen es jetzt schaffen, die sozialer zu machen und stärker zu vernetzen. Darauf sind wir jetzt irgendwie alle fokussiert.
Wir haben den Kommunikationsteil beigesteuert und unser Verständnis von Netzwerken. Nicht Yammer als Produkt wird die größten Auswirkungen auf Office und Microsoft haben. Sondern dass wir wissen, wie man Software für Endkunden baut - mit schneller, datengestützter Entwicklung - und welche Kraft im Netzwerk liegt.
Wir kamen genau zum richtigen Zeitpunkt - Microsoft hatte gerade Office 365 fertig, es gab eine Menge Nabelschau und Fragen, Cloud war klar, was kommt als nächstes? Da kamen wir gerade recht und hatten eine Menge anzubieten, was zwei Jahre früher sehr viel schwieriger gewesen wäre.
Sharepoint, Kommunikation, Herrschaftswissen
Haben die Sharepoint-Kollegen Sie nicht gehasst? Die hatten Sharepoint in Version 2013 auf Social getrimmt, und dann kauft Microsoft Yammer? Das muss doch hart gewesen sein?
Adam Pisoni: Das war es vermutlich. Aber ich erzähle Ihnen mal, was dann wirklich passiert ist: Es gab in Redmond dieses Team, das hieß Sharepoint Social und sollte aufgelöst werden, nachdem Microsoft Yammer gekauft hatte. Sie mochten aber, was sie taten, und beschlossen stattdessen, sich uns anzuschließen. Sie benannten sich um in "Yammer North" und sind jetzt Teil meiner erweiterten Truppe. Sie berichten zwar nicht an mich, aber arbeiten eigentlich genauso wie wir.
Wir haben ein ziemlich einzigartiges Entwicklungsmodell, das wir scherzhaft "Beyond Scrum" nennen. Das haben sie übernommen und arbeiten mit uns an den gleichen Produkten - in vielen Fällen natürlich an Sharepoint, aber auch an unserer Codebase, und helfen uns, die beiden zusammenzubringen.
Kommunikation wird für Unternehmen immer zentraler. Es sind Werkzeuge wie Yammer, die man in der Arbeit zuerst aufruft. Wo geht es zukünftig hin, was wird der Use Case für Yammer sagen wir 2020?
Adam Pisoni: Ich glaube tatsächlich, dass jedes Unternehmen in der Zukunft als ein Netzwerk arbeiten, sozialer kommunizieren wird. Kommunikation im Stile von Yammer wird Standard werden. Das bedeutet aber nicht das Ende für E-Mail oder Outlook. Die werden sich weiterentwickeln, genauso wie sich auch Yammer schon sehr weiterentwickelt hat. Wir arbeiten gerade daran, Yammer und Outlook enger zu verzahnen, um auch die Mitarbeiter mit in Richtung Social zu nehmen, die noch stark in ihrer Inbox verhaftet sind.
Enterprise Social hat sich aus Consumer Social heraus entwickelt. Diese beiden unterscheiden sich aber stark, und wir arbeiten diese Differenzen sogar noch weiter heraus. Bei Consumer Social geht es ausschließlich ums Entdecken: Ich schnuppere hier und da mal rein, brauche aber nicht alle Inhalte. In Unternehmen, wo man Dinge erledigen muss, spielt Discovery auch eine Rolle - vor allem geht es aber um Umsetzung: Jemand hat mir eine Nachricht geschickt, die muss ich beantworten. Ich arbeite in einer Gruppe, muss auf deren aktuellem Stand sein.
Discovery und Triage werden längerfristig zusammenwachsen zu einer neuen Art von Kommunikation, bei der man Dinge abarbeitet und dabei gleichzeitig mit neuen Informationen versorgt wird, die man sonst verpasst hätte. Einfach Beispiel: Jemand schickt Ihnen eine Nachricht mit einer Frage. Das System zeigt Ihnen dann schon andere Unterhaltungen, die möglicherweise schon die gesuchte Antwort enthalten.
Damit verändert ja Ihre Software die komplette Organisation eines Unternehmens?
Adam Pisoni: Hoffentlich. War das jetzt auch eine Frage?
Das sollte schon eine sein, ja.
Adam Pisoni: Das ist unser Ziel. Wir wollen Firmen verändern. In mancher Hinsicht in Yammer das Kommunikations-Tool für Firmen, die es noch gar nicht gibt, die anders arbeiten. Es gibt aber so etwas wie symbiotische Beziehung zwischen der Art und Weise, wie sich Unternehmen stärker an Werkzeuge wie Yammer gewöhnen, und dem Werkzeug Yammer, das Firmen dabei hilft, sich weiterzuentwickeln. Firmen müssen in vielen Fällen offener arbeiten, aber weil wir ihnen gleichzeitig den Mehrwert durch unser Produkt aufzeigen, kriegen wir sie dazu, sich schneller in diese Richtung zu bewegen.
Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Sie beraumen ein Meeting zu einem bestimmten Thema an. Das System sagt Ihnen dann: Hey, es gibt da schon eine andere Gruppe von Leuten, die hat sich in der gleichen Sache schon vor einer Woche getroffen. Für ein großes Unternehmen ist so etwas revolutionär. Wir bauen unser System so, dass das aktive Arbeiten - Kommunizieren, Dokumente erstellen, Meeting ansetzen - für mehr Menschen verfügbar ist. Wir nutzen Intelligenz, Maschinenlernen und Social Routing, um diese Informationen an die richtigen Personen zu verteilen.
Das mag im Augenblick vielleicht noch verwirrend erscheinen, weil wir erst geschätzte zehn Prozent davon geschafft haben. Das ist noch so weit weg davon, wo es sein sollte.
Sie haben uns erzählt, dass Sie von Ihren Vorfahren her eigentlich ein halb deutsch sind. Haben Sie den Begriff "Herrschaftswissen" schon einmal gehört? Wie gehen Sie mit Menschen um, die ihr Wissen nicht teilen wollen, weil sie Angst haben, dadurch ersetzbar zu werden?
Adam Pisoni: Dazu habe ich ein Modell im Kopf: In einer Welt, die sich nur langsam verändert, hat Information lange einen hohen Wert - da ist auch sinnvoll, sein wertvolles Wissen zu horten. Die Welt verändert sich aber längst sehr rasch, und deswegen sinkt der Wert ihrer Informationen auch sehr schnell [skizziert das Modell auf seiner Serviette]. Man hat nicht mehr so viel Zeit wie früher, um Wert aus Informationen zu schöpfen. Das verändert die Gleichung, ob nun das Horten oder Teilen von Informationen wertvoller ist. Wie wertvoll sie in Zukunft sein werden, hängt nicht länger davon ab, was Sie heute wissen. Information wird erst dann wertvoll, wenn man sie teilt - wenn Sie allein sie haben, ist sie wertlos.
Dafür müssen wir die Menschen umerziehen - wir haben über Generationen Knowledge Worker und mittleres Management dazu erzogen, ihre Informationen zu horten. Plötzlich sagen wir: Es geht um Einfluss, Verbindungen und Teilen. Das sehen wir bei all unseren Kunden, sie haben damit zu kämpfen. Doch was macht einen Manager effektiver? Mehr Wissen. Man vernetzt sich mit anderen Menschen, teilt sein Wissen mit ihnen und sie teilen ihres.
Es ist aber wahrscheinlich so - und ich sage das nur ungern - dass erst einmal eine Menge Leute aus dem System in den Ruhestand gehen müssen, damit das wirklich funktioniert. Wir hoffen aber natürlich, dass es darunter auch noch welche gibt, die noch fähig sind, umzulernen. Beispiele dafür gibt es zuhauf, auch innerhalb von Microsoft.
Mobile, Startup, Kultur
Derzeit geht ja alle Welt in Richtung Mobile. Können Ihre mobilen Apps Schritt halten mit Ihrer eigenen Vision? Es gibt ja schon lange diese Diskussion Web vs. App, Ihr Entwicklungsmodell mit raschen Iterationen und A/B-Testing lässt sich ja schwerlich auf native Apps übertragen?
Adam Pisoni: Doch, das geht tatsächlich. Mit unserer iOS-App können wir zum Beispiel testen und iterieren, ohne jedes Mal eine neue Version der App zu veröffentlichen. Wir verwenden dazu, so wie das auch Facebook und andere machen, eine Art zwischengeschalteten Rendering-Layer. Der erlaubt es uns zum Beispiel, Nutzern unserer Apps unterschiedliche Elemente der Benutzeroberfläche auszuliefern und zu schauen, wie sie darauf reagieren.
Haben Sie zuletzt mehr Entwicklungs-Ressourcen auf Mobile verlagert?
Adam Pisoni: Das haben wir in der Tat. Wir machen inzwischen verschiedene Dinge tatsächlich "mobile first". Das ist interessant, weil die Erwartungen dort andere sind. Wenn sie eine Webseite mit Millionen von Nutzern haben, können sie die nur sehr schwer drastisch verändern, weil die User bestimmte Erwartungen haben. Mit unserer iPad-App verändern wir aber schon richtig tiefgehend unsere Interaktions-Metaphern, bieten zum Beispiel neue Einstiegspunkte. Und das geht, weil die Erwartungen dort andere sind als für die Webseite. Wir nutzen das gewissermaßen als Spielweise, um stärker mit einem besseren mobilen Erlebnis zu experimentieren.
Und wenn ich darüber nachdenke, in welche Richtung sich Office und auch das Web entwickeln - das wird mehr wie Apps aussehen. Yammer ist ja kein monolithisches Produkt, sondern eine Sammlung von Services mit Apps. Office bewegt sich ebenfalls in diese Richtung - es wird eine Menge Interfaces geben, einige davon klein und schmal, um nur eine Sache damit zu erledigen, andere breiter, um einen Haufen Dienste zusammenzubringen. Generell geht es beim Revolutionieren von Office darum, die Konzepte von Client und Service zu trennen. Es bleiben Services, die Daten, Identität und verschiedene Funktionen bereitstellen. Auf die greift man mit unterschiedlichsten Clients zu. Sogar auf der Webseite wird man gewissermaßen zwischen verschiedenen Apps "rotieren".
Ich habe ja irgendwie mehrere Jobs und bin zum Glück auch noch in die Weiterentwicklung von sowohl Yammer als auch Office insgesamt involviert. Es ist spannend, all die Geschichten von unseren Kunden zurück in die Teams zu spielen, unsere Einsichten weiterzugeben und daraus die Weiterentwicklung der Produkte abzuleiten. Es gibt niemanden, der so breit aufgestellt ist wie Microsoft, vor allem wenn man an klassische Bürosoftware denkt. Woran arbeiten die Menschen die meiste Zeit? An E-Mail und an Dokumenten. Und bei Dokumenten zuvorderst Word, dann Powerpoint, dann Excel. Die Menschen verbringen, ich weiß die Zahl nicht exakt, aber so rund 70 Prozent ihrer Arbeitszeit in Microsoft-Produkten. Word, Outlook und andere Produkte so direkt beeinflussen zu können - nirgends sonst könnte ich Unternehmen derart stark verändern.
Ist das aber nicht ein bisschen seltsam - Sie kommen mit ihrem kleinen Startup daher und wollen dem großen Tanker Microsoft erzählen, in welche Richtung er seine Produkte steuern soll? Wie war das Feedback, dass Sie da zum Beispiel vom Office-Team bekommen haben?
Pisoni: Klar gar es da vor allem anfangs Reaktionen wie "Ihr Jungs seid klein, Ihr versteht das nicht". Aber zu dem Zeitpunkt, als wir übernommen wurden, war Microsoft selbst längst auf dem Weg in Richtung "Services first". Das kann man zum Beispiel daran sehen, wir radikal die Veränderungen am User Interface von Office 2013 im Vergleich zu den Vorversionen sind - die Veränderung hatten schon begonnen. Als wir dann dazustießen, waren viele Gruppen innerhalb von Microsoft schon interessiert und hungrig auf Veränderung. Sie kamen aus der Welt der On-premises-Clients und bewegten sich Richtung Services-Welt - und wir waren in dieser Welt geboren.
Natürlich gab es auch Bedenken gegen unsere Vorstellungen von Experimentieren und Iterieren, dass man einfach nicht heute vorhersagen kann, was in drei Jahren funktionieren wird. Das war ein radikales Konzept. Da gab es Leute, die sagten "Euch fehlt der große Plan". Als vernetztes Unternehmen wollten wir aber nicht einfach nur Yammer sein, wir wollten Unternehmen verändern. Wir haben uns richtig hineingedrängt in Microsoft, haben nicht versucht uns abzuschotten und zu isolieren.
Wir haben angefangen, uns mit Leuten zu treffen und bei Microsoft intern das anzubringen, was wir darüber gelernt hatten, wohin Unternehmen sich verändern. Jetzt, knapp zwei Jahre später, gibt es jede Menge Teams, die unsere Ideen übernommen und sich zu eigen gemacht haben. Dafür kriegen wir inzwischen nicht mehr die Credits, das sind jetzt ihre Vorstellungen, mit denen sie wiederum andere Gruppen pushen. Das Word-Team zum Beispiel fängt mit A/B-Tests in Word an, das ist irre. Jedermann hantiert jetzt mit gesammelten Engagement-Daten, alles bewegt sich in dieser Richtung. Kaum jemand sagt mehr "Hey, diese Yammer-Jungs sind crazy."
Was glauben denn Sie persönlich, warum Microsoft Sie gekauft hat - wegen Ihrer Kultur, wegen Ihres Entwicklungsmodells oder wegen Ihres Produkts?
Adam Pisoni: Gute Frage. Ich denke, sie haben in jedem Fall mehr als ein Schnäppchen gemacht mit uns [lacht]. Kontaktiert haben sie uns, weil ihnen klar war, dass Unternehmen stärker Richtung Social gehen. Und weil sie erkannt hatten, dass sie nicht schnell genug in dieser Richtung vorankamen und sich dafür Hilfe holen mussten. Wir überzeugten dann aber auch schon vor der Übernahme das Top-Management davon, dass es uns um weit mehr geht als nur die Features in unserem Produkt.
In den ersten Meetings waren sie vor allem fasziniert davon, wie wir unsere Software bauen - das unterschied sich so radikal von ihrer Herangehensweise. Bei Yammer releasen wir heute täglich. Jedes einzelne Features Release ist ein A/B-Test. Wir haben Daten dazu, was da passiert. Wir unterschieden uns außerdem in der Art und Weise radikal, wie wir mit unseren Kunden und unserer Community interagieren und Feedback einholen. Das ist etwas ganz anderes als ein Jahr planen und dann zwei Jahre lang entwickeln. Neben unserer Entwicklungsmethode hatte außerdem unser Freemium-Modell die Geschäftsbeziehung zu unseren Kunden verändert.
Der kulturelle Aspekt hat sie glaube ich eher kalt erwischt. Sie konnten sich vermutlich nicht vorgestellen, was das für Auswirkungen haben würde. Yammer hätte Microsoft aber natürlich auch nicht verändern können, wenn Microsoft sich nicht selbst hätte ändern wollen. Für uns als coole Startup-Jungs aus dem Valley gab es nach der Akquisition aber auch eine Menge Überraschungen. Wir hatten natürlich so unsere Vorstellungen davon, wie die Leute bei Microsoft so sein würden. Als wir sie dann kennenlernten, mussten wir feststellen, dass sie letztlich so waren wie wir - sie wollten einfach gute Software für die Menschen bauen.
Nur waren sie halt durch ihr Planungs- und Entwicklungsmodell - auch wenn sie das unglaublich perfektioniert hatten - zuletzt zu sehr eingeschränkt. Die Welt hatte sich einfach verändert. Wir haben sie stark beeinflusst, aber das wurde ihnen nicht aufgezwungen. Die Leute bei Microsoft wollten sich ändern, sie hatten die Fähigkeiten dazu und großartige Produkte. Da kam irgendwie alles zum richtigen Zeitpunkt zusammen.
Nadella, Kunden, Relevanz
Der neue CEO Satya Nadella kommt ja anders als sein Vorgänger Steve Ballmer eher aus der Entwicklerecke. Wird das weitere Veränderungen bei Microsoft erleichtern?
Adam Pisoni: Was genau er versuchen wird, weiß ich nicht genau und kann das auch nicht ausführlicher kommentieren. Was ich aber sagen kann ist: Ich kenne Satya, vermutlich besser als Ballmer, den ich nur ein paar Mal getroffen habe, und schätze ihn wirklich sehr. Er hat eine Weile Bing geleitet, also einen Consumer-Dienst, und er hat Azure geleitet, einen Cloud-Dienst. Er hat eine Demo auf der Entwicklerkonferenz BUILD auf einem Mac gemacht und damit etwas aufgezeigt: Unsere Services müssen allgegenwärtig sein. Er fährt einmal im Monat ins Silicon Valley, einfach um sich mit Startups zu treffen, interessiert sich dafür, was sich bei der Entwicklung und bei den Kunden verändert. Von all den Kandidaten war er derjenige, der mich am meisten gereizt hat, und es hat mich wirklich gefreut, dass er das Rennen gemacht hat.
Man sollte aber nicht vergessen, dass auch Ballmer einen unglaublichen Job gemacht hat. Viele Leute wissen ja gar nicht mehr, dass Großunternehmen so um 1998, 1999 herum Microsoft noch nicht vertraut haben. Sie vertrauten der IBM. Microsoft-Produkte wie Word oder PowerPoint mussten User damals einschleusen in ihre Firmen. Microsoft hat dann so 99, 2000 herum gesagt: Wenn uns die Konzern noch nicht trauen, dann müssen wir das ändern. Das haben sie gemacht und waren damit enorm erfolgreich. Sie wurden vielleicht zu dem Anbieter, dem Enterprise am meisten vertrauten. Jetzt aber haben Trends wie BYOD und Konsumerisierung der IT die Unternehmen erneut verändert, und Microsoft hatte es vielleicht ein bisschen zu weit getrieben in Richtung Enterprise, da ging es fast nur noch um Compliance und Sicherheit. Wir helfen ihnen jetzt, sich wieder stärker in Richtung Empowerment ihre Nutzer zu bewegen.
Es ist spannend, Microsoft beim Tanz mit seinen Kunden zuzuschauen. Nehmen wir das Thema Cloud. Ich erinnere mich da zum Beispiel an die letzte Sharepoint-Konferenz: Erst nachdem Microsoft in seiner Keynote erklärte "Schaut, wir machen das jetzt selbst auch mit der Cloud", waren auch die Kunden dazu bereit; das ist oft eine Art Henne-Ei-Problem. Wir sind aber jedenfalls Zeugen der Konsumerisierung geworden - und die war in weiten Teilen eine Reaktion darauf, dass die Unternehmenssoftware nicht länger Schritt hielt mit Consumer-Software. Unter anderem deswegen, weil sie nicht genauso gebaut wurde.
Kommen wir noch einmal zurück auf die Frage, wie Sie ihren Nutzern die für sie relevanten Informationen präsentieren wollen. Wie genau wollen sie das anstellen?
Adam Pisoni: Ich habe letzte Woche in Norwegen den Mann getroffen, der Chef von Fast Search war, als Microsoft die Firma kaufte. Fast hatte als Websuche für Consumer begonnen - und zwar deswegen, weil Enterprise Search nicht funktionierte. Für die Websuche gibt es jede Menge Signale; die Nutzer stimmen tatsächlich mit ihren Klicks ab. All diese Signale kann man korrelieren und damit eine richtig gute Suche bauen. Im Enterprise fehlten diese Signale - man wusste nicht, was die Nutzer machen oder warum.
Was wir mit Office, Fast und überall versuchen, ist einen Knowledge Graph zu erstellen, der alles erfasst, was geschieht. Bei Yammer haben wir das Enterprise Graph genannt, schon lange bevor wir gekauft wurden. Der Enterprise Graph ist mehr als Personen - es geht um Personen, Gruppen, Konversationen, Dateien, Objekte aus Third-Party-Applikationen wie zum Beispiel Einträge in Salesforce, und alle Signale drumherum. Dateien, die jemand mit anderen teilt, die in Meetings benutzt werden - das sind wichtige Informationen, mit denen man spannende Dinge anstellen kann. Semantik, Machine, Learning, klar - wir machen Suche über den Graphen.
Haben Sie die Ankündigung von IBM Mail Next gesehen? Geht das nicht in eine ganz ähnliche Richtung?
Adam Pisoni: Die ganze Welt bewegt sich in diese Richtung, das überrascht mich jetzt nicht. Ich habe das Announcement nicht im Detail gelesen, sehe aber zumindest ein Problem: Da geht es nur um Ihre Mail. Und auf die kann außer Ihnen niemand zugreifen. E-Mail ist privat. Social und Documents kann man aber offener gestalten. Und je offener man das machen kann, desto wertvoller werden die Signale.
E-Mail ist einfach Ihre Inbox. Wir sollten heute schon sehr viel weiter damit sein, dort relevante Informationen herauszufiltern. Aber im Unternehmen passiert noch so viel mehr. Beim Unterschied zwischen Social und E-Mail geht es erstens um die Trennung von Adressierung und Zugriffsrechten. Wenn sie in E-Mail jemanden adressieren, bekommt er das Recht, auf einen Inhalt zuzugreifen. Umgekehrt müssen sie jemanden adressieren, damit er einen Inhalt sehen darf, was eine Menge Probleme erzeugt. Social separiert diese Konzepte. Zweitens hat bei Mail jeder seine separate Kopie eines Inhalts. Social hingegen ist kanonisch, alle beziehen sich auf dasselbe Dokument, dieselbe Unterhaltung.
Die Trennung von Adressierung und Permissions kann man auf viele Dinge übertragen, Meetings zum Beispiel - Leute, die zum Beispiel aufgrund einer Terminkollision nicht teilnehmen könnten, sollten trotzdem Zugriff auf die benutzten Dokumente haben, sollten einen Mittschnitt bekommen können. So etwas funktioniert heute noch nicht. Gute ist: Die meisten Leute verwenden heute Outlook und Exchange, um ihre Meetings zu organisieren. Da heißt, wir haben die besten Chancen, hier etwas zu bewegen. Aber wenn wir das nicht tun, dann wird es jemand anders machen, klar Sache. Es bewegt sich einfach alles in diese Richtung. Wir sind nicht die einzigen, die über so etwas nachdenken, das tut wahrscheinlich jedes einzelne Startup im Silicon Valley, das sich mit Produktivität beschäftigt.
Hinweis: Interessierte können sich den englischsprachigen Original-Mittschnitt des Interviews mit Adam Pisoni in voller Länger von gut 36 Minuten bei Soundcloud anhören. Mehr Fotos vom Event gibt es bei flickr.