Fachkräftemangel

Jedes zweite Startup kann Stellen nicht besetzen

07.08.2017 von Christiane Pütter
Insgesamt 53 Prozent der deutschen Startups konnte wegen des Fachkräftemangels schon mindestens einmal einen Job nicht besetzen. Es fehlen vor allem Backend-Entwickler. Das berichtet der Bitkom.
  • Entwickler in den Bereichen Backend, Javascript und Mobile fehlen
  • Gründer Hermann Sauer: "Wir benötigen länger, um den passenden Menschen zu entdecken beziehungsweise auf uns aufmerksam zu machen, aber erhalten dann ein engagiertes passendes Teil des Ganzen."

"Wir sind die Gallier und nicht die Römer und können es hinsichtlich Gehalt nicht mit dem Big Player aufnehmen." Das sagt Hermann Sauer, Geschäftsführer von Comidio. 2014 hat er sein Startup in Eltville gegründet, Comidio versteht sich als Spezialist für Internet-Sicherheit in kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Privathaushalten. Sauer bestätigt eine Umfrage des Bitkom: Auch Startups spüren den Fachkräftemangel.

Hermann Sauer hat 2014 sein Startup Comidio gegründet. Er sagt: "Auch wir spüren den leergefegten Fachkräftemarkt."
Foto: Hermann Sauer/Comidio

Insgesamt 53 Prozent der deutschen Gründer konnten schon mindestens einmal eine Stelle nicht besetzen, berichtet der Branchenverband. Grundlage ist eine Umfrage unter mehr als 250 Startups.

Sie beklagen in erster Linie den Mangel an Backend-Entwicklern. Weitere dreizehn Prozent sprechen allgemein von einem Fehlen an Entwicklern und Programmierern. Acht Prozent finden keine Javascript-Entwickler, sieben Prozent keine Mobile-Entwickler. Auch seien Big Data- und Data-Science-Experten schwer zu bekommen.

Flüchtlinge als Hoffnungsträger gegen den IT-Fachkräftemangel
Hoffungsträger gegen den Fachkräftemangel
Können Flüchtlinge – insbesondere aus Syrien – den Fachkräftemangel in der deutschen IT abmildern? Daten dazu gibt es kaum, aber einzelne Erfahrungen. Drei Stimmen.
Erdal Ahlatci, MovingImage24
Erdal Ahlatci ist COO beim Videoservices-Spezialisten MovingImage24. In seinem Team arbeiten eine Israelin, ein Marokkaner und ein Flüchtling aus Syrien mit den anderen Kollegen zusammen. Seine These: Der hohe Bildungsstand und die gemeinsamen Ziele verbinden die Kollegen.
Stephan Pfisterer, Bitkom
Stephan Pfisterer, Arbeitsmarktexperte des Bitkom, kann das Potenzial der Flüchtlinge derzeit noch nicht einschätzen. „Wegen des Massenandrangs ist es selbst für Ausländerbehörden und Jobcenter schwer, einen Überblick über die Qualifikationen der Flüchtlinge zu bekommen“, sagt er.
Luuk Houtepen, Sthree
Luuk Houtepen ist Head of Business Development DACH beim Personaldienstleister Sthree. Er weiß von bayerischen Unternehmen, die händeringend einen IT-Spezialisten suchten und den geeigneten Kandidaten nicht wollten - dieser kam aus Hamburg.
Dünne Datenlage
Der „MINT-Herbstreport 2015 – Regionale Herausforderungen und Chancen der Zuwanderung“ vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln verbreitet wenig Optimismus. Erste Auswertungen zur Qualifikation der aktuellen Flüchtlinge aus den Krisen- und Kriegsgebieten zeigen, „dass diese noch einmal deutlich geringere Qualifikationen aufweisen und dass mehr als 71 Prozent weder eine Ausbildung noch ein Studium absolviert haben“.

Bitkom-Präsident Achim Berg kommentiert: "Gerade bei Startups, die sich noch relativ leicht für einen Standort im Ausland entscheiden können, kann der Fachkräftemangel zu einem gravierenden Nachteil für den Standort Deutschland werden."

So dramatisch sieht es Comidio-Gründer Sauer nicht. Er sagt aber: "Ja, auch wir spüren den leergefegten Fachkräftemarkt." Da er potenziellen Kandidaten nicht die Gehälter eines Konzerns bieten kann, will er mit Inhalt punkten. Sein junges Unternehmen entwickelt Lösungen, die nicht nur Unternehmen, sondern beispielsweise auch Ärzte und Anwälte vor Datendiebstahl schützen soll.

Ehtische Grundsätze und die Angst vor Reputationsverlust

Damit sei Comidio als Arbeitgeber "sehr attraktiv für Menschen mit ethischen Grundsätzen und bietet gleichzeitig die Chance der technologischen Identifikation." Immerhin stellt der Berater KPMG in seinem "CEO-Outlook 2017" fest, dass deutsche Unternehmen Reputationsrisiken mittlerweile zu den drei größten Risiken für ihr Unternehmen zählen - in der Vorjahresstudie tauchte diese Risikoart noch gar nicht in den Top Ten auf.

Sauer trommelt außerdem mit den klassischen Startup-Vorteilen für sich: Man sei "wendiger als ein träger Pott", man biete "weniger Bürokratie und stattdessen mehr individuelle Freiräume und Möglichkeiten des Mitgestaltens". Er will seine Firma nun beispielsweise über Fachvorträge und Beiträge in Fachmedien bekannt machen. Sein Fazit nach rund drei Jahren Geschäftstätigkeit: "Wir benötigen länger, um den passenden Menschen zu entdecken beziehungsweise auf uns aufmerksam zu machen, aber erhalten dann ein engagiertes passendes Teil des Ganzen."

Doch der Bitkom berichtet nicht nur von Fachkräftemangel bei IT-Stellen, sondern auch in Vertrieb, Marketing und Kommunikation. Dagegen sei es weniger schwer, Positionen in Geschäftsführung und Projekt-Management zu besetzen. Berg rät Gründern, "auch international nach Kandidaten zu suchen, um nicht in der Wachstumsphase durch Personalmangel ausgebremst zu werden."