Auf den ersten Blick entbehrt die Nachricht nicht einer gewissen Ironie: Als Gründer und Chef von Amazon ("Kindle") hat Jeff Bezos wie kaum ein anderer die Verdrängung gedruckter Bücher durch E-Books beschleunigt. Jetzt kauft er sich die "Washington Post". Aber vielleicht passt die Geschäftsphilosophie des 49-Jährigen zum derzeitigen Zustand der Zeitungsbranche in Amerika: Er ist bereit, jahrelange Durststrecken in Kauf zu nehmen.
Zudem ist Bezos nicht darauf angewiesen, dass die "Washington Post" ihn reicher macht. Die 250 Millionen Dollar, die er für eine der berühmtesten Zeitungen der Welt bezahlte, machen höchstens ein Prozent seines geschätzten Vermögens aus.
Bezos ist vor allem bekannt als aggressiver Innovator, der mit gnadenlosem Preiskampf den klassischen Einzelhandel das Fürchten lehrte. Der unprätentiöse zierliche Mann, dessen Markenzeichen ein schallendes Lachen ist, kann hart sein. "Es ist unser Job, den Kunden den besten Preis und den besten Service zu bieten. Die Kunden entscheiden, wo sie kaufen, nicht wir", sagte er einmal auf die Frage nach den Branchen, die Amazon umpflügt. Wachstum geht Bezos erst mal vor Gewinn: Bis heute ist der Riese Amazon - anders etwa als Apple - nicht besonders profitabel. Der Börsenkurs zeigt dennoch stetig nach oben.
Bezos bewies auch, dass er neben dem Geschäft ein Herz für selbstlose Leidenschaften haben kann. Seit er fünf ist, brennt er für die Raumfahrt. Bezos versucht, Reisen ins Weltall auf die Beine zu stellen, eigenes Raumschiff inklusive. Ein Prototyp stürzte bei einem unbemannten Testflug ab. Bezos bleibt dran und scheute in der Zwischenzeit keine Mühen, um Triebwerke der Trägerrakete von "Apollo 11" vom Meeresgrund zu heben.
Sein Interesse an der Medienwelt offenbarte Bezos erstmals im Frühjahr, als er fünf Millionen Dollar in die Website "Business Insider" investierte - ein Blog, das Wirtschafts-Berichterstattung mit klickträchtigen Schlagzeilen verbindet.
Wie stark sich Bezos bei der "Washington Post" einbringen wird, ist unklar. Schon mit seinem Tagesjob bei Amazon und dem Raumfahrt-Hobby ist Bezos gut ausgelastet. Das ließ er seine neuen Angestellten auch sofort wissen: "Ich werde die "Washington Post" nicht im Tagesgeschäft führen." Zugleich kündigte er Veränderungen an: Durch das Internet sei alles im Wandel und es gebe keine Landkarte für den Weg in die Zukunft. "Wir werden experimentieren müssen."
Bezos' Führungsstil bei Amazon ist so eigenwillig wie kontrovers. Man erzählt, er lasse in Besprechungen oft einen Stuhl frei - für den imaginären Kunden. In den klammen Anfangsjahren wurden kurzerhand Türen zu Schreibtischen unfunktioniert, Top-Manager müssen alle paar Jahre an die Telefon-Hotline.
Bezos, der als Kind viel Zeit auf der Ranch seines Großvaters in Texas verbrachte, gründete Amazon 1994. Die Firma überlebte das Platzen der Internet-Blase vor über zehn Jahren und ist der weltgrößte Online-Einzelhändler. "Ich habe in meinen Jahren im Geschäft gelernt, dass es am Gefährlichsten ist, sich nicht von den anderen zu unterscheiden", sagte Bezos in einem dpa-Interview. "Wir wollen Sachen erfinden, die den Leuten anfangs ungewöhnlich vorkommen - aber einige Jahre später für alle normal sind." (dpa/rs)