CIO: Welche Folgen hat die aktuelle Krise in der IT-Branche für dieArbeitsbedingungen?
Müller: Der Druck ist bis zur Unerträglichkeit gewachsen. ImSiemens-Zentralbereich Telekommunikation in München sollen von 12 000Mitarbeitern etwa 3000 entlassen werden. Gleichzeitig gibt es Überstundenohne Ende. Bei anderen Firmen wie zum Beispiel Compaq läuft es genauso.Jetzt fallen alle Hemmungen.
CIO: Woran liegt das?
Müller: Es gibt in der Branche kaum langfristig gewachseneArbeitsbedingungen. Häufig handelt es sich bei den Firmen in Deutschland umTöchter amerikanischer Mütter, und daher kommt die verbreitete Hire- undFire-Mentalität.
CIO: Wo liegen, abgesehen von Überstunden und Angst um den Job, weitereQuellen für den Frust vieler IT-Angestellter?
Müller: Neue Mitarbeiter werden kaum eingearbeitet, jeder muß sofort dievolle Leistung bringen. Die vorhandenen Kräfte haben keine Zeit,Hilfestellung zu leisten, weil sich ihre eigene Arbeit bis zur Deckestapelt.
Reisezeiten gehen häufig zu Lasten des Mitarbeiters, und die Anzahl derWeiterbildungstage pro Jahr ist zuletzt deutlich gesunken. Außerdem führtder Konkurrenzdruck dazu, dass die Marketingabteilungen ständig Projektemit völlig unrealistischen Zeitvorgaben verkaufen. Um den Kunden nicht zuverlieren, müssen die Entwickler dann rund um die Uhr arbeiten. Und wennsie 40 sind, sagt man ihnen, du bist zu alt für unsere IT. Die Branchebenutzt diese Leute wie Einweg-Bierflaschen. Austrinken und wegschmeissen.In den USA gibt es Umfragen, nach denen würden 60 Prozent der IT-Workereinen anderen Beruf wählen, wenn sie nochmal studieren könnten.
CIO: Liegt es an den schlechten Arbeitsbedingungen, dass es in Deutschlandan gut ausgebildeten IT-Fachkräften mangelt?
Müller: Das stimmt überhaupt nicht. Der Fachkräftemangel ist eineSchnapsidee, die Siemens-Chef Heinrich von Pierer dem Bundeskanzler beimTennis eingeredet hat. Ich kenne Hunderte von arbeitslosen IT-Experten, dietrotz der schlechten Bedingungen gern einen Job hätten.
CIO: Was muß sich aus gewerkschaftlicher Sicht ändern?
Müller: Wenn die Branche ein Problem mit Fachkräften hat, dann muß siedafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen stimmen. Es kann nicht sein, dassdie 35-Stunden-Woche ein Halbtagsjob ist.
Das Interview führte Christoph Lixenfeld